HODGKIN-LYMPHOM IM FRÜHSTADIUM: REDUZIERTE THERAPIE MÖGLICH?
Als breit akzeptierter Standard der initialen Therapie des frühen HODGKIN-Lymphoms gelten vier Zyklen des so genannten ABVD*-Schemas, gefolgt von der Bestrahlung betroffener Areale mit 30 Gray (siehe Kasten).1 Jetzt werden die Ergebnisse einer vierarmigen randomisierten Studie mit 2-mal-2-faktoriellem Design (vgl. a-t 2008; 39: 119) der deutschen HODGKIN-Studiengruppe publiziert, die prüft, ob bei guter Prognose im Stadium I oder II die Zahl der ABVD-Zyklen und/oder die Dosis der Bestrahlung ohne Wirksamkeitsverlust reduziert werden können.2 1.370 zuvor unbehandelte Patienten im Alter von 16 bis 75 Jahren ohne Risikofaktoren wie großer Mediastinaltumor, extranodale Manifestation, Befall von drei oder mehr Lymphknotenarealen oder erhöhte Blutsenkung nehmen teil. Sie erhalten zwei oder vier ABVD-Zyklen, gefolgt von Bestrahlungen nach vier bis sechs Wochen mit 20 oder 30 Gray. Primärer Endpunkt ist das Nichtauftreten von Therapieversagen nach fünf Jahren, wobei Therapieversagen definiert wird als Progression oder Rezidiv der Erkrankung, Therapiewechsel wegen unzureichenden Ansprechens oder Tod. Sekundär werden Gesamt- und progressionsfreies Überleben, komplette Remissionen und Toxizität der Therapie analysiert. Die Studie ist auf Nichtunterlegenheit der niedriger dosierten Chemo- bzw. Strahlentherapie gegenüber der höher dosierten angelegt. Ausgewertet wird primär nach Intention-to-treat.2
THERAPIE DES HODGKIN-LYMPHOMS
Das HODGKIN-Lymphom wird erst seit 15 Jahren definitiv den Malignomen zugeordnet. Mit tausend Neuerkrankungen jährlich in Deutschland macht es etwa 1% aller Krebserkrankungen aus. Mehr als 80% der Patienten fallen durch Lymphknotenschwellungen in einer Region oberhalb des Zwerchfells auf. Jeder dritte hat Allgemeinsymptome wie Fieber, Nachtschweiß oder Gewichtsabnahme.
Die Ann-Arbor-Klassifikation (Stadium I-IV) unterscheidet frühe Formen mit Beteiligung von ein (I) oder zwei (II) Lymphknotenregionen auf einer Seite des Zwerchfells von fortgeschrittenen mit Lymphknotenbefall beidseits des Zwerchfells (III) oder ausgedehnten Organ- oder Gewebeinfiltrationen in mindestens einer Region (IV). Jedes Stadium wird zusätzlich in A oder B unterteilt, abhängig vom Vorliegen der genannten Allgemeinsymptome (B-Symptomatik). Das mittlerweile mit bildgebenden Verfahren nichtinvasiv durchgeführte Staging ist für die Therapieplanung von entscheidender Bedeutung.3,4
Insgesamt können heute etwa 80% der Patienten mit HODGKIN-Lymphom geheilt werden. Bei frühen Stadien liegen die Heilungsraten nach fünf Jahren über 90% und die Überlebensraten über 95%, bei fortgeschrittenen zwischen 55% und 80% bzw. 80% und 90% in Abhängigkeit von den Behandlungsregimen und Prognosefaktoren.5,6 Unter den Chemotherapien gilt heute das ABVD*-Schema als Standard. In fortgeschrittenen Stadien kommen auch intensivere Kombinationen wie das BEACOPP*-Schema zur Anwendung. Einige verbessern die frühen Behandlungserfolge, sind aber auch toxischer. Ob sie das Langzeitüberleben verbessern, ist derzeit noch unklar. Die Chemotherapie wird in Frühstadien fast immer mit einer Hochvolttherapie betroffener Areale ("involved field") kombiniert. In fortgeschrittenen Stadien kann die Bestrahlung zur Konsolidierung eingesetzt werden, verbessert aber offenbar nicht die Langzeiterfolge.5-7
Wegen der hohen langfristigen Heilungsraten gewinnen gerade beim frühen HODGKIN therapiebedingte Spätkomplikationen zunehmend an Bedeutung. Bei prognostisch günstigen Formen besteht die Gefahr, dass im Langzeitverlauf mehr Patienten an den Spätfolgen der Therapie als an der Erkrankung versterben. Wesentliche Spätfolgen sind einerseits Zweitmalignome wie Brustkrebs, Non-HODGKIN-Lymphome und Leukämien und andererseits kardiale und kardiovaskuläre Komplikationen wie koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Klappen- und Perikarderkrankungen. Nach 10 bis 15 Jahren treten sie zunehmend häufiger und dann mit einer Inzidenz von 1% pro Jahr auf. Sie sind vor allem von der Bestrahlungsintensität abhängig. Unter den Chemotherapeutika erhöhen alkylierende Mittel typischerweise das Risiko für Malignome und Leukämien, Anthrazykline wie Doxorubicin (ADRIMEDAC u.a. Generika) das Risiko für eine Herzinsuffizienz.5,8
Derzeitiges Forschungsziel beim frühen HODGKIN ist es, die Intensität der kombinierten Radiochemotherapie zu reduzieren, ohne die langfristigen Therapieerfolge zu gefährden. In diesem Rahmen erfolgt eine weitere Risikostratifizierung der Patienten. Häufig verwendete Kriterien für eine schlechte Prognose bei frühem HODGKIN sind großer Mediastinaltumor ("bulky tumour"), extranodale Manifestation, Befall von drei bzw. vier oder mehr Lymphknotenarealen, Alter über 50 Jahre und erhöhte Blutsenkung in Zusammenhang mit Allgemeinsymptomen.5
Mit allen vier Regimen werden initial Remissionsraten über 96% erreicht. Nichtauftreten von Therapieversagen (91,1% versus 93,0%; Risikodifferenz [RD] -1,9%, 95% Vertrauensbereich [CI] -5,2 bis 1,4) und Gesamtüberleben (96,6% vs. 97,1%; RD 0,5%, 95% CI -2,6 bis 1,6) unterscheiden sich unter der auf zwei Zyklen reduzierten Chemotherapie nicht von der Standardbehandlung. Auch mit 20 oder 30 Gray werden gleiche Raten erreicht (Nichtauftreten von Therapieversagen 92,9% vs. 93,4%; RD -0,5%, 95% CI -3,6 bis 2,6; Gesamtüberleben 97,5% vs. 97,7%; RD -0,2%, 95% CI 2,0 bis 1,7). Die mit zwei ABVD-Zyklen und 20 Gray am wenigsten intensive Therapie ist der intensivsten mit vier ABVD-Zyklen und 30 Gray hinsichtlich des primären Endpunktes (RD -1,6%, 95% CI -6,3 bis 3,1) und des Gesamtüberlebens (RD -0,4%, 95% CI 3,4 bis 2,7) nicht unterlegen. Per-Protokoll-Auswertungen führen zu qualitativ gleichen Ergebnissen.2
Akute schwere Störwirkungen (Grad III und IV nach WHO) sind unter Chemo- bzw. Strahlentherapie in Standarddosis häufiger als unter dosisreduzierter (51,7% vs. 33,2% bzw. 8,7% vs. 2,9%). Zweitmalignome und Todesfälle werden über eine mediane Beobachtungszeit von 7,5 Jahren erfasst. Zweitmalignome treten unter zwei oder vier ABVD-Zyklen gleich häufig auf, bei höherer Strahlendosis aber numerisch häufiger als bei niedrigerer (5,4% vs. 4,1%). Am HODGKIN-Lymphom selbst versterben in allen Behandlungsgruppen weniger als 1% der Patienten. Dagegen beträgt die Rate der Todesfälle infolge akuter Therapietoxizität oder Spätkomplikationen wie Zweitmalignomen und kardiovaskulären Erkrankungen über alle Behandlungsgruppen gemittelt 2,7%. Bei Bestrahlung mit 30 Gray ist sie numerisch höher als bei einer Dosis von 20 Gray (3,3% vs. 2,2%).2 Zur abschließenden Bewertung der Langzeitfolgen unter den Regimen reicht die Beobachtungsdauer allerdings nicht aus.
Bei HODGKIN-Lymphomen in Frühstadien ohne Risikofaktoren scheint eine Reduktion der derzeit üblichen Chemo- und Strahlentherapiedosen ohne Einbuße an mittelfristigen Therapieerfolgen möglich. Akute Störwirkungen im Rahmen der Therapie können so vermindert werden.
Ob dadurch auch therapiebedingte Spätkomplikationen relevant gesenkt und die Langzeitprognose der Patienten verbessert wird, ist noch unklar.
Die Ergebnisse scheinen aber ein Baustein zur Lösung der Frage zu sein, ob bei frühem HODGKIN mit guter Prognose die Strahlentherapie verzichtbar ist.
(R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse) | |
1 | NCCN: Clinical Practice Guideline Hodgkin Lymphoma Version 2.2010,zu finden unter http://www.nccn.org |
R 2 | ENGERT, A. et al.: N. Engl. J. Med. 2010; 363: 640-52 |
3 | ANSELL, S.M., ARMITAGE, J.O.: Mayo Clin. Proc. 2006; 81: 419-26 |
4 | MANI, H., JAFFE, E.S.: Clin. Lymphoma Myeloma 2009; 9: 206-16 |
5 | ARMITAGE, J.O.: N. Engl. J. Med 2010; 363: 653-62 |
6 | KURUVILLA, J.: Hematology Am. Soc. Hematol. Educ. Program 2009; 497-506 |
7 | DIEHL, V.: N. Engl. J. Med. 2007; 357: 1968-71 |
8 | TRAVIS, L.B.: Hematology Am. Soc. Hematol. Educ. Program 2007; 192-96 |
* | ABVD = Doxorubicin (= Adriamycin), Bleomycin, Vinblastin, Dacarbazin BEACOPP = Bleomycin, Etoposid, Doxorubicin (= Adriamycin), Cyclophosphamid, Vincristin (= Oncovine), Procarbazin, Prednisolon |
© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 17. September 2010
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