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Therapiekritik

PERKUTANE THERAPIE DER AORTENKLAPPENSTENOSE (TAVI)

Aortenklappenstenosen bleiben lange asymptomatisch, verlaufen nach Auftreten erster Beschwerden aber schnell progredient und führen unbehandelt bei etwa 50% der Patienten innerhalb von zwei Jahren zum Tod. Bei schwerer Symptomatik ist der Klappenersatz Therapie der Wahl. Die Behandlung bessert Beschwerden und verlängert das Überleben. Ein relevanter Anteil der Patienten ist dann aber bereits inoperabel.1 Eine so genannte Transkatheter-Aortenklappen-Implantation (TAVI), bei der nach Punktion einer großen Arterie perkutan ein Katheter zur Ballondilatation der Klappenstenose eingeführt und anschließend eine expandierbare Prothese eingesetzt wird, könnte in dieser Situation eine weniger invasive Alternative bieten.2

Die PARTNER*-Studien untersuchen erstmals randomisiert den Nutzen der TAVI bei Patienten mit hohem Operationsrisiko im Vergleich zu bisher üblicher Versorgung. Eine der beiden schließt 358 (12%) von 3.105 gescreenten Patienten mit sehr hohem Risiko aufgrund der Klappenstenose selbst oder wegen schwerer Begleiterkrankungen ein, die von mindestens zwei Operateuren, und anschließend im Rahmen einer Webkonferenz bestätigt, als inoperabel beurteilt werden.3 Ihre Ergebnisse wurden jetzt publiziert. Die Patienten sind im Mittel 83 Jahre alt, 93% leiden an einer Herzinsuffizienz NYHA III bis IV, die verbleibende Öffnungsfläche beträgt im Mittel 0,6 cm2 und der Druckgradient 44 mmHg. Begleiterkrankungen wie koronare Herzkrankheit (71%), zerebrale (27%) bzw. periphere Gefäßerkrankungen (28%) oder chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (48%) sind häufig. Die Aortenklappenprothesen aus bovinem Perikard werden in Allgemeinanästhesie am schlagenden Herzen implantiert. Im Anschluss erhalten die Patienten über sechs Monate Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN, Generika) und Clopidogrel (PLAVIX, Generika). Bei Patienten mit üblicher Therapie gemäß derzeitiger Praxis wird im Studienverlauf über im Mittel 1,6 Jahre in 84% eine Ballondilatation der Klappe vorgenommen. 12% der Patienten erhalten doch noch einen Klappenersatz.3

Nach einem Jahr ist die Mortalität unter TAVI signifikant und deutlich geringer als unter üblicher Versorgung (30,7% versus 49,7%; p < 0,001) und auch Krankenhausaufnahmen sind seltener (22,3% vs. 44,1%; p < 0,001), der Patientenanteil ohne oder mit nur geringen (NYHA I bis II) Beschwerden (74,8% vs. 42,0%; p < 0,001) liegt höher. Schlaganfälle (10,6% vs. 4,5%; p = 0,04), schwere, vor allem durch den arteriellen Zugang bedingte Gefäßkomplikationen (16,8% vs. 2,2%; p < 0,001) und Blutungskomplikationen (22,3% vs. 11,2%; p = 0,007) sind nach TAVI dagegen häufiger. Paravalvuläre Lecks neben den per Katheter implantierten Klappen finden sich bei 10,5% der Patienten, mäßige bis schwere Klappeninsuffizienzen bei 4,2% (und bei 15,2% bei Patienten mit üblicher Versorgung). Die Autoren sehen in der TAVI für inoperable Patienten mit Aortenstenose das neue Verfahren der Wahl, weisen aber auch auf die hohe Schlaganfallrate und weiteren Forschungsbedarf für die Klappenimplantate hin.3 Das begleitende Editorial ist kritischer und hält die TAVI wegen fehlender Langzeitdaten nur bei inoperablen Patienten mit begrenzter Lebenserwartung für vertretbar.4

„Weltmeister bei Transkatheter-Klappenersatz” titelt die Ärzte Zeitung schon vor der vollständigen Publikation der PARTNER-Studie mit Blick auf Deutschland.5 Im Gegensatz zu den USA, wo die TAVI weiterhin nicht zugelassen ist, wird das Verfahren in Deutschland bereits großzügig angewendet: Die Eingriffe sollen nach dem „Herzbericht 2009” von 41 im Jahr 2006 auf 2.152 im Jahr 2009 zugenommen haben6 und machen damit inzwischen knapp 20% der chirurgisch implantierten Aortenklappen aus. Diese Zahlen dürften weiter steigen, zumal seit Beginn 2010 die TAVI über eine spezielle DRG**-Ziffer abgerechnet werden kann und die Erlöse für die Krankenhäuser bei der TAVI knapp dreifach höher liegen als für einen chirurgischen Aortenklappenersatz. Einige Herzzentren werben bereits damit, eine TAVI anbieten zu können. Herzchirurgen dagegen warnen vor unkritischem Einsatz und weisen auf die nach Registerdaten hohen Raten früher (periprozeduraler) Todesfälle (um 10%) und paravalvulärer Lecks (über 40%) hin, die ein Mehrfaches der bei chirurgischem Ersatz betragen sollen.6,7 Ein Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung fordert zu allgemeiner Zurückhaltung bei der Indikationsstellung auf, ohne die Kriterien weiter zu konkretisieren. Es fordert Herzteams aus Kardiologen und Herzchirurgen, die in jedem Einzelfall die Indikation gemeinsam prüfen sollen, sowie die Erfassung möglichst aller Aortenklappeninterventionen in einem 2009 neu eingerichteten Register.7

∎  Bei schwerer symptomatischer Aortenklappenstenose bleibt der chirurgische Klappenersatz Therapie der Wahl.

∎  Inoperable Patienten mit begrenzter Lebenserwartung könnten verglichen mit üblichen konservativen Therapien einschließlich Ballondilatation von einer Transkatheter-Aortenklappen-Implantation (TAVI) profitieren.

∎  Mittelfristig werden Überleben und Belastbarkeit durch TAVI relevant verbessert und stationäre Aufnahmen reduziert. Schlaganfälle, Gefäß- und Blutungskomplikationen nehmen jedoch deutlich zu.

∎  Ausreichende Erfahrungen über mehr als ein Jahr liegen mit der neuen Technik nicht vor. Die Klappenimplantate und die technischen Verfahren werden als noch verbesserungsbedürftig angesehen.

∎  Kommt ein Aortenklappenersatz per Katheter zum Einsatz, sollten die Patienten dringend in das Register für Aortenklappeninterventionen aufgenommen werden.

  (R =randomisierte Studie)
1 CARABELLO, B.A., PAULUS, W.J.: Lancet 2009; 373: 956-66
2 KAHLERT, P. et al.: J. Kardiol. 2008; 15: 124-31
R  3 LEON, M.B. et al.: N. Engl. J. Med. 2010; 363: 1597-607
4 LAZAR, H.L.: N. Engl. J. Med.: 2010; 363: 1667-8
5 Ärzte Ztg. vom 12. Okt. 2010, Seite 10
6 http://www.springermedizin.de/tv-sendung-panorama-nimmtdie-klappen-schieber-auf-die-hoerner/294932.html
7 FIGULLA, H.R. et al.: Kardiologe 2009; 3: 199-206

* PARTNER= Placement of Aortic Transcatheter Valves
** DRG = Diagnosis Related Groups = Diagnosebezogene Fallgruppen

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 3. Dezember 2010

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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