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Korrespondenz

"INTEGRIERTE VERSORGUNG": AOK UND JANSSEN-CILAG

Die AOK Niedersachsen hat einen Vertrag zur integrierten Versorgung von Schizophrenie-Patienten mit einer Management-Firma (I3G GmbH) geschlossen, die 100%ige Tochter von Janssen-Cilag ist. Einer Pressemitteilung1 der AOK zu Folge übernimmt die Firma die ,,Budgetverantwortung, organisiert die Versorgungsforschung und sichert die Qualität”. Auch wenn die AOK die Unabhängigkeit der Versorgung von den Interessen Dritter (in diesem Fall Janssen-Cilag) betont, ist dies ein sehr weitreichender, bedenklicher Vorgang. Eine Krankenkasse, deren Selbstverständnis und Aufgabe es ist, Versicherteninteressen zu vertreten und ihre Patienten vor fehlgeleiteter Versorgung zu schützen, überträgt die Versorgung – und dies bei einer besonders sensiblen Patientengruppe (psychisch Kranke) – an ein profitorientiertes Unternehmen, dessen Nähe zu einem Hersteller von Psychopharmaka kaum zufällig ist. Es gehört nicht viel Phantasie dazu anzunehmen, dass sich Janssen-Cilag direkte und indirekte Vorteile verspricht, sei es hinsichtlich des Absatzes eigener Produkte, der Medikalisierung der Versorgung oder der Möglichkeit, sich als ,,Player“ in der Versorgungsgestaltung zu positionieren. Ob diese Interessen kompatibel sind mit denen der Patienten und der gesetzlichen Krankenversicherung, ist fraglich.

PD Dr. med. N. SCHNEIDER (Facharzt f. Allgemein- und Palliativmedizin)
D-30625 Hannover
Interessenkonflikt: keiner

1

AOK Niedersachsen: Pressemitteilung vom 9. Sept. 2010 http://www.aok.de/nieders/tool/presse/index.php?cid=1&aid=438

Bislang konnten Krankenkassen die Arzneimittelversorgung im Rahmen der integrierten Versorgung über Rabattverträge regeln. Darüber hinausgehende umfassende Versorgungsverträge mit der Pharmaindustrie durften sie nicht abschließen, wohl aber mit Managementgesellschaften.1 Diese Möglichkeit haben die AOK Niedersachsen und Janssen-Cilag offenbar genutzt. Künftig sind solche Umwege nicht mehr nötig: Der Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der Gesetzlichen Krankenversicherung (AMNOG)2 sieht vor, dass auch pharmazeutische Unternehmen – und nach der vom Bundestag im November verabschiedeten Fassung auch Hersteller von Medizinprodukten3 – direkte Vertragspartner der Krankenkassen werden können. Dies sei „sinnvoll”, da „die Versorgung mit Arzneimitteln ... wesentlicher Bestandteil innovativer, integrierter Versorgungskonzepte sein” könne, begründet die Bundesregierung den Vorstoß.2 Sowohl der bekannt gewordene Vertrag in Niedersachsen als auch die geplante direkte Beteiligung von Arzneimittelherstellern an der integrierten Versorgung wird von Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (DGSP) kritisiert: Befürchtet wird unter anderem, dass die Behandlung mit Psychopharmaka in den Vordergrund rückt, dabei den Produkten des Herstellers der Vorzug gegeben wird und „eine Vielzahl von nicht hinnehmbaren Interessenkonflikten”4 entsteht,4,5 – zu Recht, wie wir meinen, –Red.

1 PFLUGMACHER, I.: Ärzte Ztg. vom 24. Nov. 2010, Seite 13
2 CDU/CSU und FDP: Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 6. Juli 2010; http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/024/1702413.pdf
3 Deutscher Bundestag: Drucksache 17/3698, 10. Nov. 2010 http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/036/1703698.pdf
4 DGPPN: Stellungnahme Nr. 7 vom 14. Okt. 2010 http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/ stellungnahmen/2010/stn-2010-10-14-stellungnahme-integrierte_versorgung.pdf
5 DGSP: Stellungnahme vom 20. Okt. 2010 http://psychiatrie.de/data/pdf/da/0b/00/Stellungnahme_AMNOG.pdf

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 3. Dezember 2010

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