ZUM PERIOPERATIVEN MANAGEMENT BEI KHK-PATIENTEN UNTER ASS
Ich habe eine Frage zur ASS-Pause bei KHK-Patienten. Immer wieder wird mir empfohlen, bei operativen Eingriffen eine Art "Bridging" mit Heparin durchzuführen. Ist das sinnvoll bei KHK? Ist ein Nutzen belegt?
Dr. M. KLAHR (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-26954 Nordenham
Interessenkonflikt: keiner
Ähnlich wie bei oraler Antikoagulation (a-t 2004; 35: 94-6) sind beim perioperativen Management unter Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern bei koronarer Herzkrankheit (KHK) Risiken durch Blutungen bei Beibehaltung der Therapie gegen Risiken durch Koronarereignisse bei Unterbrechung der Therapie abzuwägen. Risiken durch Blutungen werden durch die Häufigkeit, aber auch durch Lokalisation und Stillbarkeit bestimmt. Drohende Koronarereignisse sind Infarkte, ggf. Stentthrombosen und kardiale Todesfälle. Da belastbare Daten aus randomisierten Studien zum optimalen Vorgehen weitgehend fehlen, sind entsprechende Empfehlungen beispielsweise in Leitlinien überwiegend konsensbasiert und mit Unsicherheiten behaftet.1-3 Dies gilt auch für die Einschätzung des Blutungs- und koronaren Risikos (siehe Tabelle Seite 20).5-7
Bei Eingriffen mit niedrigem Blutungsrisiko empfehlen kardiologische Leitlinien einheitlich, Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN, Generika) oder Clopidogrel (PLAVIX, Generika) oder auch eine duale Therapie beizubehalten.1-3 Werden die Eingriffe ambulant durchgeführt, sind Aufklärung und Handlungsanweisungen für die Patienten wichtig.4 Bei mittlerem Blutungsrisiko sollte eine Unterbrechung von ASS nur bei niedrigem Koronarrisiko erwogen werden, beispielsweise wenn keine manifeste Gefäßerkrankung vorliegt und ASS nur wegen koronarer Risikofaktoren verwendet wird.1 Absetzen einer Monotherapie mit ASS (oder Clopidogrel) wegen KHK empfehlen Leitlinien nur bei sehr hohem Risiko durch Blutungen wie bei intrakraniellen oder Rückenmarksoperationen oder Eingriffen im hinteren Augenbereich.1-3 Ein Abstand von fünf bis sieben Tagen zum Eingriff reicht aus. Am Tag nach dem Eingriff kann die Therapie wie präoperativ weiter geführt werden.1-3,6
Nach akutem Koronarsyndrom (STEMI*, NSTEMI*, instabile Angina) oder Einlage von unbeschichteten bzw. beschichteten Stents wird wegen des besonderen Koronarrisikos ASS meist mit Clopidogrel, ggf. auch mit Prasugrel (EFIENT; a-t 2009; 40: 34-6) oder Ticagrelor (BRILIQUE; a-t 2011; 42: 1-3), kombiniert. Wenn immer möglich, sollten beide Mittel in den ersten zwölf Monaten nach beschichteten Stents und in den ersten sechs Wochen nach unbeschichteten Stents oder akuten Koronarsyndromen weiter verwendet werden. Bei hohem Blutungsrisiko (Neurochirurgie, hintere Augenchirurgie) ist eine Unterbrechung von Clopidogrel für fünf bis sieben Tage vor dem Eingriff bei Weiterführung von ASS zu erwägen.1-3 Ausreichende Erfahrungen für den Umgang mit Prasugrel oder Ticagrelor liegen bisher nicht vor. Grundsätzliche Unterschiede zu Clopidogrel dürften nicht bestehen.
Heparine haben wegen mangelnder Effektivität keinen Stellenwert als Ersatz für Aggregationshemmer in der perioperativen Phase. Leitlinien raten von solchem Vorgehen explizit ab.1-3 Erste positive Berichte aus kleinen Studien existieren für parenterale Glykoprotein-IIb/IIIa-Blocker wie Tirofiban (AGGRASTAT), das bei Patienten mit frisch implantiertem beschichteten Stent und Noteingriffen mit hohem Blutungsrisiko überbrückend statt Clopidogrel eingesetzt wurde.8 Es wird aber zur Zurückhaltung geraten, bis weitere Studienergebnisse vorliegen.1,2,6
Bei elektiven Eingriffen sollte immer erwogen werden, ob eine Verschiebung möglich und sinnvoll ist. Dies gilt beispielsweise für die ersten sechs Monate nach akuten Koronarsyndromen oder Implantation eines unbeschichteten Stents bzw. für die ersten zwölf Monate nach Einlage eines beschichteten Stents.2,3
1 | KORTE, W. et al.: Thromb. Haemost. 2011; 105: 743-9 |
2 | The Cardial Society of Australia and New Zealand: Heart Lung Circ. 2010; 19: 2-10 |
3 | BELL, A.D. et al.: Can. J. Cardiol. 2011; 27: 208-21 |
4 | DOUKETIS, J.D.: Hosp. Pract. 2011; 39: 41-54 |
5 | GRAW, J. et al.: Chirurg 2009; 80: 498-501 |
6 | CHASSOT, P.G. et al.: Am. Fam. Physician 2010; 82: 1484-9 |
7 | BELL, B. et al.: Heart Lung Circ. 2011; 20: 438-45 |
8 | SAVONITTO, S. et al.: Br. J. Anaesth. 2010; 104: 285-91 |
* | NSTEMI = Nicht-ST-Hebungsinfarkt; STEMI = ST-Hebungsinfarkt |
© 2012 arznei-telegramm, publiziert am 10. Februar 2012
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