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MEDIKAMENTÖSE RAUCHERENTWÖHNUNG II

In a-t 2012; 43: 49-52 beschrieben wir, wie ehemalige Raucher vom Rauchstopp profitieren und welche Strategien hilfreich sind. Als Mittel der Wahl für die pharmakologische Unterstützung gilt Nikotinersatz. Die in Studien erhobenen Abstinenzraten nach bis zu zwölf Monaten sind allerdings dürftig und wahrscheinlich unter Alltagsbedingungen noch bescheidener. In dieser Ausgabe besprechen wir die übrigen zur Raucherentwöhnung relevanten Medikamente.

BUPROPION (ZYBAN): Die auch als Antidepressivum (ELONTRIL; a-t 2007; 38: 45-6) zugelassene amphetaminartige Substanz (auch Amfebutamon genannt) wirkt zentral als Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Welche Effekte bei der Raucherentwöhnung wirksam sein sollen, ist nicht geklärt. Diskutiert wird eine positive Beeinflussung depressiver Verstimmungen während des Nikotinentzugs, aber auch eine direkte Blockade nikotinerger Azetylcholinrezeptoren.1 In einer Metaanalyse zur Wirksamkeit von Antidepressiva zur Raucherentwöhnung werden 36 randomisierte kontrollierte Studien mit mindestens sechsmonatiger Nachbeobachtung und mehr als 11.000 entwöhnungswilligen Rauchern ausgewertet, in denen Bupropion als alleinige Pharmakotherapie gegen Plazebo geprüft wird.1 Der Nutzen liegt in einer Größenordnung wie bei Nikotinersatz (Relatives Risiko [RR] für Abstinenz nach sechs bis zwölf Monaten: 1,7; 95% CI 1,5-1,9). Die 12-Monatsergebnisse (RR 1,6) sind dabei numerisch schlechter als die Resultate nach sechs Monaten (RR 1,8). Direkte Vergleichsdaten mit Nikotinersatz sind spärlich und lassen nicht auf einen Vorteil von Bupropion schließen.1 Der Nutzen von Bupropion als Reserve nach erfolglosem Abstinenzversuch mit Nikotinersatz ist kaum untersucht, die Daten dazu sind widersprüchlich.1 Auch unter Bupropion ist mit späten Rückfällen zu rechnen.

Störwirkungen sind sehr häufig und zum Teil bedrohlich (a-t 2001; 32: 35): 30% bis 40% klagen über Schlaflosigkeit, 10% über trockenen Mund und Übelkeit. Zu den schweren neuropsychiatrischen Schadwirkungen gehören Krampfanfälle, deren Häufigkeit mit 0,1% angegeben wird.2 Die mittleren störwirkungsbedingten Abbruchraten liegen zwischen 7% und 12%, in einzelnen Studien jedoch bis 31%.1

Wie bei anderen Antidepressiva besteht auch unter Bupropion ein Risiko suizidaler Gedanken und suizidalen Verhaltens. 2009 berichtet die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA von 29 Patienten mit Suizidversuchen (davon 10 tödlich) und 46 mit Suizidgedanken unter Bupropion, die ihr im Rahmen der Spontanerfassung gemeldet wurden. Die Behörde geht zudem von einer relevanten Dunkelziffer aus.3 Die Ereignisse treten mehrheitlich bei Patienten ohne depressive Verstimmung in der Vorgeschichte auf. In den USA muss seitdem vor möglicher Suizidalität in Form einer "boxed warning" gewarnt werden.4 Gegenüber Nikotinersatz wird aus den Daten der zwischen 1998 bis September 2010 bei der FDA gemeldeten Störwirkungsberichte zu Depression und Suizidalität bzw. Selbstverletzung ein erhöhtes Risiko unter Bupropion errechnet (Odds ratio [OR] 2,9; 95% CI 2,3-3,7).5

Von der Anwendung in der Schwangerschaft raten wir grundsätzlich ab: Eine 2010 publizierte Fallkontrollstudie ergibt ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen des linken Herzens (OR 2,6; 95% CI 1,2-5,7).6

VARENICLIN (CHAMPIX): Der seit 2007 zugelassene partielle Nikotin-Azetylcholin-Rezeptor-Agonist bindet an α4β2-Rezeptoren und soll Rauchverlangen und Entzugssymptome verringern (a-t 2007; 38: 25-7). Zudem soll durch gleichzeitige antagonistische Wirkung das durch Rauchen zugeführte Nikotin eine verringerte (angenehme) Wirksamkeit entfalten und damit Suchtverhalten durchbrochen werden.7 Laut Hersteller ist eine zwölfwöchige Behandlungsdauer mit Option auf Verlängerung auf 24 Wochen vorzusehen.8 Eine 2010 publizierte Metaanalyse zum Nutzen von Vareniclin (14 Studien, 6.166 Teilnehmer) errechnet im Plazebovergleich für die Tagesdosierung von 2 mg eine Erhöhung der Abstinenzrate nach sechs- bis zwölfmonatiger Nachbeobachtung auf mehr als das Doppelte (RR 2,3, 95% CI: 2,0-2,6; Number needed to treat [NNT] = 10).7 Die vom Hersteller empfohlene Standarddosis (2 x tgl. 1 mg) ist dabei niedrigeren Dosierungen (2 x 0,3-0,5 mg) nur wenig überlegen (RR für hohe versus niedrige Dosierung 1,25; 95 % CI 1,0-1,6). Gemäß gepoolter Auswertung dreier direkter Vergleiche mit Bupropion mit 1.600 Teilnehmern führt Vareniclin häufiger zu anhaltender Abstinenz über ein Jahr (RR 1,5, 95% CI 1,2-1,8).1,7 In einer der Studien werden Raucher eingeschlossen, die bereits einen erfolglosen Therapieversuch mit Bupropion hinter sich haben. Dies dürfte zu einer Verzerrung der Ergebnisse zu Gunsten von Vareniclin beigetragen haben. In offen durchgeführten Vergleichen mit Nikotinpflaster ist kein Vorteil zu sichern.7

Häufigste Störwirkung ist dosisabhängige Übelkeit (bei 13% bis 44% der Anwender), die bei bis zu 8% zum Therapieabbruch führt. Es kommt darüber hinaus oft zu Schlaflosigkeit, abnormen Träumen und Kopfschmerzen.7

2009 berichtet die FDA in einem Warnhinweis über 116 Anwender mit Suizidgedanken und 37 mit Suizidversuch (19 Todesfälle) unter Vareniclineinnahme.3 In einer vergleichenden Auswertung von Meldungen an die FDA zwischen 1998 und September 2010 wird ein gegenüber Nikotinersatz erheblich erhöhtes Risiko für Depression bzw. Suizidalität/ Selbstverletzung errechnet (OR 8,4).5 Wie bei Bupropion ist weniger als die Hälfte der Ereignisse bei Rauchern mit früheren depressiven Episoden aufgetreten. Die Empfindungen werden von den Anwendern oftmals als neue, bisher nicht bekannte Erlebnisse beschrieben. Die FDA hat daraufhin einen Warnhinweis ("boxed warning") angeordnet.4 Die Meldungen beruhen möglicherweise sogar auf unvollständigen Daten. Das "Institute for Safe Medication Practices" weist Ende 2010 darauf hin, dass die Behörde offenbar von hunderten Berichten zu schweren psychiatrischen Ereignissen unter Vareniclin keine Kenntnis hatte, darunter 150 vollendete Suizide.9 Die FDA erhält zudem für Vareniclin mit Abstand am häufigsten von allen Arzneimitteln Berichte im Zusammenhang mit Gewaltanwendung (bis 2009 408 Berichte; e a-t vom 19. Aug. 2011).10 Auch der europäischen Arzneimittelbehörde EMA liegen bis Anfang 2011 478 Berichte zu Aggression und 1.073 zu suizidalen Gedanken vor.11 Eine Kohortenstudie12 mit insgesamt 80.660 medikamentös behandelten Rauchern, darunter knapp 11.000 mit Vareniclin, errechnet zwar keine statistisch signifikante Steigerung für das Risiko von Selbstverletzungen gegenüber Nikotinersatz, kann jedoch aufgrund des weiten Konfidenzintervalls eine Verdopplung des Risikos nicht ausschließen (RR 1,12; 95% CI 0,7-1,9). Mit dieser Auswertung lässt sich unseres Erachtens das Risikosignal für Vareniclin nicht entkräften.

Auffällig erscheinen auch kardiovaskuläre Gefährdungen (e a t vom 14. Okt. 2011): In einer 2011 durchgeführten Metaanalyse mit Einschluss von 14 randomisierten kontrollierten Studien mit 8.216 Teilnehmern wird eine signifikante Zunahme schwerer kardiovaskulärer Ereignisse unter Vareniclin im Vergleich zu Plazebo errechnet (1,06 % versus 0,82 %; OR 1,7; 95 % CI 1,1-2,7).13 Die Autoren kalkulieren, dass bei einem von 28 Rauchern mit stabiler kardiovaskulärer Erkrankung die Behandlung mit Vareniclin ein zusätzliches schweres kardiovaskuläres Ereignis auslösen kann (Number needed to harm = 28).13 Vareniclin steigert den Blutdruck und erhöht die Herzfrequenz, was möglicherweise zu den Ereignissen beiträgt. In einer kürzlich veröffentlichten zweiten Metaanalyse14 mit Auswertung von 22 Studien sehen die Autoren hingegen keinen Hinweis für eine Gefährdung (Risikodifferenz 0,27%, nicht signifikant). Allerdings ist das relative Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse mit 1,4 (95% CI 0,82-2,39) auch in dieser Arbeit gegenüber Plazebo numerisch erhöht. Die Methodik, unter anderem die primär verwendete statistische Auswertung (Risikodifferenz) wurde zudem scharf kritisiert.15 Die Autoren begrenzten außerdem die Erfassung der Ereignisse auf 30 Tage nach Einnahmeende.14 Die Arbeit erweckt den Eindruck, von Anfang an auf Entlastung der Verdachtsmomente angelegt worden zu sein. Die Hauptautorin ist Studienleiterin einer vom Vareniclin-Hersteller Pfizer gesponserten Studie.14 Auch wenn die EMA das Nutzen-Schaden-Verhältnis positiv beurteilt,16 sehen wir nach wie vor ein relevantes Risikosignal.

In der Schwangerschaft ist Vareniclin kontraindiziert.

WEITERE MITTEL: Für den nur noch als Antihypertensivum angebotenen Alpha-2-Agonisten Clonidin (CATAPRESAN, Generika) wird Linderung von Entzugssymptomen auch bei der Raucherentwöhnung beschrieben. Die Datenlage ist jedoch unbefriedigend: Lediglich sechs Studien mit insgesamt 776 Rauchern (drei Arbeiten mit Clonidin per os, drei mit transdermaler Applikation) sind im Rahmen einer Metaanalyse17 mit längerer Nachbeobachtung (mindestens drei Monate nach Beendigung der medikamentösen Behandlung) auswertbar. Zwar ergibt sich bei gepoolter Auswertung gegenüber Scheinmedikament eine höhere Rate abstinenter Raucher (RR 1,6; 95% CI 1,2-2,2). Aufgrund der schwachen methodischen Qualität der Originalarbeiten wird das Ergebnis jedoch als unsicher eingestuft.17 Zudem treten sehr häufig Störwirkungen (unter anderem Mundtrockenheit, Sedierung, Schwindel) auf, orthostatische Reaktionen unter täglich 300 µg bei 10% der Raucher.17

Für das ebenfalls nicht als Raucherentwöhnungsmittel zugelassene trizyklische Antidepressivum Nortriptylin (NORTRILEN) finden sich nur sechs kleinere plazebokontrollierte Studien mit insgesamt knapp 1.000 Patienten. Nach gepoolter Berechnung1 erhöht Nortriptylin die Chance für einen Rauchverzicht nach sechs bis zwölf Monaten auf das Doppelte (RR 2,0; 95% CI 1,5-2,8). Die zusätzliche Einnahme von Nortriptylin bei Nikotinersatzbehandlung hat hingegen keinen sicheren Einfluss auf die Abstinenzrate. Das Spektrum der Störwirkungen entspricht dem der trizyklischen Antidepressiva: Benommenheit, Mundtrockenheit, Obstipation u.a.

Cytisin (Polen: TABEX), ein in einigen osteuropäischen Ländern vermarktetes und in vielen Internet-"Nichtraucher-Foren" diskutiertes Alkaloid aus dem Gemeinen Goldregen, bindet wie Vareniclin an α4β2-Nikotin-Azetylcholin-Rezeptoren. In einer plazebokontrollierten Studie18 aus Polen mit 740 Rauchern erreichen 8,4% unter Verum und 2,4% unter Plazebo eine zwölf Monate anhaltende Abstinenz. Eine gepoolte Auswertung zusammen mit einer zweiten, kleineren Studie (insgesamt 937 Teilnehmer) errechnet für anhaltende Abstinenz ein RR von 3,98 (95% CI 2-7,9).7 Aufgrund der Vareniclin-artigen Wirkungsweise ist jedoch ein ähnliches Störwirkungsspektrum zu befürchten.

Für eine Reihe weiterer Verfahren bzw. Arzneimittel fehlt die Evidenz für einen Nutzen (siehe Tabelle).

Tabelle: Interventionen ohne gesicherte Evidenz für einen Nutzen bei der Raucherentwöhnung:


∎   Akupunktur19
∎   Akupressur19
∎   Lasertherapie19
∎   Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI)1
∎   Naltrexon (NEMEXIN, Generika)20
∎   DETOX-N (a-t 2008; 39: 86-7)


KOSTEN: Die unterschiedlichen Raucherentwöhnungsmittel werden zu monatlichen Kosten im Preisbereich zwischen 72 € und 113 € angeboten. Dabei sind Nikotinkaugummis mit Monatskosten von 106 € bzw. 113 €bei täglich zwölf Kaugummis zu 2 mg bzw. 4 mg (NICORETTE u.a.) teurer als Nikotinpflaster (72 € für NIKOFRENON 20), Bupropion (ZYBAN; 87 € bei 300 mg/Tag) und Vareniclin (CHAMPIX; 100 € bei 2 mg/Tag).

∎  Das amphetaminartige Bupropion (ZYBAN) bringt ähnliche Abstinenzraten nach sechs bis zwölf Monaten wie Nikotinersatz (NICORETTE u.a.). Es bestehen jedoch Risikosignale insbesondere hinsichtlich Auslösung suizidalen Verhaltens. Wir erachten Bupropion allenfalls als Reservemittel.

∎  Auch mit dem partiellen Nikotinrezeptoragonisten Vareniclin (CHAMPIX) lässt sich die Rate abstinenter Raucher steigern. Wir sehen jedoch eine erhebliche Gefährdung durch kardiovaskuläre und neuropsychiatrische Störwirkungen (wie aggressives Verhalten, Suizidalität). Aufgrund der relevanten Risikosignale raten wir vom Gebrauch ab.

  (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
M    1 HUGHES J.R. et al.: Antidepressants for smoking cessation. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Juli 2009
2 GlaxoSmithKline: Fachinformation ZYBAN, Stand Juli 2011
3 FDA Drug Safety Newsletter 2009, 2, No. 1: Varenicline and bupropion
http://www.fda.gov/downloads/Drugs/DrugSafety/DrugSafetyNewsletter/UCM107318.pdf
4 FDA: Boxed Warning on Serious Mental Health Events to be Required for Chantix and Zyban, 1. Juli 2009;
http://www.fda.gov/NewsEvents/Newsroom/PressAnnouncements/2009/ucm170100.htm
5 MOORE, T.J. et al.: PLoS One 2011; 6: e27016 (7 Seiten)
6 ALWAN, S.: Am. J. Obstet. Gynecol. 2010; 203: 52.e1-6. Epub 24. Apr. 2010
M    7 CAHILL, K., et al.: Nicotine receptor partial agonists for smoking cessation. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand März 2012
8 Pfizer: Fachinformation CHAMPIX, Stand April 2012
9 Institute for Safe Medication Practices: Quarter Watch: 2010 Quarter 3
http://www.ismp.org/quarterwatch/2010Q3.pdf
10 MOORE, T.J. et al.: PLoS One 2010; 5: e15337 (5 Seiten)
11 EMA: Schreiben vom 14. Apr. 2011
12 GUNNELL, D. et al.: BMJ 2009; 339: b3805 (7 Seiten)
M  13 SINGH, S. et al.: CMAJ 2011; 183: 1359-66
M  14 PROCHASKA, J.J., HILTON, J.F.: BMJ 2012; 344: e2856 (11 Seiten )
15 DEEKS, J.: Conclusions about bias in meta-analytical methods are not justified and potentially dangerous, BMJ Rapid Response vom 17. Mai 2012
http://www.bmj.com/content/344/bmj.e2856/rr/585295
16 EMA Pressemitteilung vom 21. Juli 2011: European Medicines Agency confirms positive benefit-risk balance for Champix
http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Press_release/2011/07/WC500109177.pdf
M  17 GOURLAY, S.G. et al.: Clonidine for smoking cessation. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Juni 2008
R  18 WEST, R. et al.: N. Engl. J. Med. 2011; 365: 1193-200
M  19 WHITE, A.R. et al.: Acupuncture and related interventions for smoking cessation. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Nov. 2010
M  20 DAVID, S.P.: Opioid antagonists for smoking cessation. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Juni 2009

© 2012 arznei-telegramm, publiziert am 6. Juli 2012

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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