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Korrespondenz

STADA-DIAGNOSTIK-DNA-STATINE-TEST -
…verbesserte Statintherapie durch Gentest?

Ich möchte Sie um eine Stellungnahme zu dem seit Mitte 2013 angebotenen STADA-Diagnostik-DNA-Statine-Test und eine Einschätzung seiner therapeutischen Relevanz bitten. Zumindest wird in den Schulungsunterlagen behauptet, dass "nicht nur Nebenwirkungen ... auch das generelle Ansprechen auf die Statintherapie ... (dem Einfluss genetischer Variationen) unterliegt. Im genetischen Bauplan ... sind mehrere Veränderungen bekannt, bei deren Vorhandensein die gewünschten Cholesterinspiegel unter Standarddosierung meist nicht erreicht werden können."1

J. SIEVERS (Apotheker)
D-38259 Salzgitter
Interessenkonflikt: keiner

1   Humatrix AG: Musterbefund Therapiesicherheit Statine, 2013

Der 261 € teure STADA-Diagnostik-DNA-Statine-Test ermittelt in einer Blutprobe insgesamt 12 Genvarianten (Polymorphismen) in drei für die Statinkinetik verantwortlichen Transporter-Genen (ABCB1 = p-Glykoprotein, ABCG2 und SLCO1B1) sowie in den Genen für das Zielenzym HMG-CoA-Reduktase und für ein Enzym, das an der Biosynthese von Coenzym Q10 beteiligt ist.1 Die Firma liefert zusammen mit dem Testergebnis konkrete Empfehlungen an den behandelnden Arzt, welches Statin in welcher Dosis "optimal wirken kann und das geringste Nebenwirkungsprofil aufweist".2 Vollmundig verspricht STADA: "Mit STADA Diagnostik Statine wird Ihr individuelles Statinwirkprofil bestimmt... Auf dieser Basis kann Ihre persönliche Statintherapie so geplant werden, dass Sie Ihrem Herzen etwas Gutes tun, ohne Muskelveränderungen zu riskieren."3

Für das Konzept, eine Therapie mithilfe von Biomarkern wie genetischen Polymorphismen zielgerichteter zu gestalten und damit zu verbessern, stehen Schlagwörter wie "personalisierte" oder "individualisierte Medizin" oder auch "Präzisionsmedizin". Der klinische Nutzen des Konzepts, in dem es um eine Wechselwirkung zwischen Markern und Therapieeffekten geht, muss ebenso nachgewiesen werden wie der der Therapie selbst. Es muss belegt sein, dass Patienten, die auf der Basis von Testbefunden unterschiedlich behandelt werden, von diesen unterschiedlichen Behandlungen jeweils profitieren, am besten in randomisierten kontrollierten Studien.4 Laut EGAPP*, einer Initiative der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention, muss für einen genetischen Test wie den von STADA neben der analytischen Validität (wie gut misst der Test die Genvarianten, die er messen soll?) und der klinischen Validität (wie gut sagt der Test den entsprechenden Phänotyp vorher?) auch der klinische Nutzen (bringt eine Therapiesteuerung mit dem Test patientenrelevante Vorteile?) belegt sein.5

* EGAPP = Evaluation of Genomic Applications in Practice und Prevention

Nutzenbelege für den STADA-Test gibt es nicht. Selbst für die im Zusammenhang mit Statinen am besten geprüfte der zwölf Genvarianten, ein bestimmter Polymorphismus am SLCO1B1-Transporter-Gen,** finden wir nur Studien zur klinischen Validität, also Beobachtungsstudien, die eine Assoziation zwischen dem varianten Allel und dem Myopathierisiko vor allem unter Simvastatin (ZOCOR, Generika) aufzeigen. Am deutlichsten ist diese Assoziation zudem unter der 80-mg-Dosierung von Simvastatin, die wegen fehlender Vorteile bei schlechterer Verträglichkeit ohnehin nicht verwendet werden sollte (a-t 2011; 42: 63): Nach einer retrospektiven Genomanalyse von 175 Teilnehmern der SEARCH-Studie6 nimmt das relative Myopathierisiko*** unter Simvastatin in Hochdosis bei heterozygoten Trägern auf das 4,5-Fache, bei homozygoten auf das 16,9-Fache zu. Etwa 60% der Myopathien unter täglich 80 mg Simvastatin in der SEARCH-Studie werden dem Polymorphismus zugeschrieben.7 Unter der Standarddosis von täglich 40 mg Simvastatin haben heterozygote Träger des varianten Allels nach Genotypisierung in der Heart-Protection-Studie8 ein gegenüber den Trägern ausschließlich des "Wildtyp"-Allels 2,6-fach höheres Myopathierisiko (das Risiko homozygoter Träger wird nicht mitgeteilt).7

** Punktpolymorphismus SLCO1B1 c.521T > C

Der Zusammenhang zwischen dem Polymorphismus und einer Simvastatin-induzierten Myopathie ist in unabhängigen Studien bestätigt worden.9 Die Häufigkeit dieser Genvariante wird in der europäischen Bevölkerung auf 14% bis 23% geschätzt.10 Das absolute Myopathierisiko ist bei heterozygoten Trägern unter der Standarddosis von 40 mg Simvastatin trotz des erhöhten relativen Risikos gering: Nach den Daten der Heart-Protection-Studie, in der bei insgesamt 0,22% der Anwender eine beginnende oder definitive Myopathie*** diagnostiziert wird,7,8 läge es rechnerisch immer noch unter 1%. Bei homozygoten Betroffenen läge es bei unter 1,5%, wenn ein relatives Risiko von 6,8 (dem Quadrat des relativen Risikos Heterozygoter11) zu Grunde gelegt wird. Somit ist bei der großen Mehrheit auch der von dem Polymorphismus Betroffenen unter Simvastatin in Standarddosis nicht mit einer Myopathie zu rechnen. Andererseits kommen Simvastatin-bedingte Muskelschädigungen auch ohne den Polymorphismus vor. Statinbedingte Myopathien sind zudem in der Regel bei Dosisreduktion oder Absetzen reversibel und nur in Ausnahmefällen lebensbedrohlich.

*** sowohl beginnende Myopathie": Anstieg der Kreatinkinase (CK) auf über das 3-Fache der oberen Norm und das 5-Fache des Ausgangswertes plus der GPT auf über das 1,7-Fache des Ausgangswerts ohne isolierten GPT-Anstieg, als auch "definitive Myopathie": CK-Anstieg auf über das 10-Fache der oberen Norm plus Muskelsymptome7

Der Einfluss des Polymorphismus auf das Myopathierisiko unter anderen Statinen ist schlechter untersucht. Soweit Daten vorhanden sind, scheint unter Pravastatin (PRAVASIN, Generika) und Rosuvastatin (CRESTOR) kein erhöhtes Risiko in Verbindung mit dem varianten Allel zu bestehen, die Daten zu Atorvastatin (SORTIS, Generika) sind widersprüchlich.9 Wie für Simvastatin sind allerdings auch für verschiedene andere Statine, darunter Atorvastatin und Rosuvastatin, bei Trägern des varianten Allels erhöhte Plasmaspiegel beschrieben.10 Der mögliche Zusammenhang der übrigen Polymorphismen im STADA-Test mit Statin-bedingten Myopathien ist ebenfalls schlechter geprüft als der des SLCO1B1-Transporter-Gens bei Simvastatin. Ob hier relevante Assoziationen vorliegen, ist unseres Erachtens unzureichend gesichert. Die Vorhersage einer verminderten LDL-senkenden Wirksamkeit mittels Gentest erscheint uns ohnehin überflüssig, da dieser Effekt, wenn man es denn wollte (vgl. a-t 2013; 44: 107-8), einfacher und kostengünstiger mit LDL-Bestimmungen selbst überprüft werden kann.

Prospektive Studien, die belegen, dass eine auf der Basis der Testbefunde stratifizierte Statintherapie das Myopathierisiko verringert oder die Adhärenz fördert - Vorteile, die STADA für seinen Test beansprucht12 - gibt es nicht. Somit bleibt offen, ob die Patienten von dem Test einen klinischen Vorteil haben und nicht viel mehr einen Schaden, wenn ihnen beispielsweise anstelle von Simvastatin in Standarddosis - der bestgeprüften Statintherapie - ein schlechter geprüftes Statin wie Fluvastatin (LOCOL, Generika) empfohlen wird. Test und darauf basierende Dosierungsempfehlungen können zudem eine falsche Sicherheit erzeugen. Dies gilt in besonderer Weise, wenn Patienten mit dem haltlosen Versprechen einer Statintherapie ohne Risiko von Muskelveränderungen gelockt werden. Wir haben diese grob irreführende Werbung bei der zuständigen Landesbehörde angezeigt.

Der Mangel an aussagekräftigen Daten ist charakteristisch für das Gebiet der Pharmakogenetik.13,14 Die hohen Erwartungen an diesen Forschungszweig, in dem es um genetisch bedingte Unterschiede in Pharmakodynamik und Pharmakokinetik geht, sind bislang nur in wenigen Fällen erfüllt worden. Dazu gehört etwa der Test auf HLA-B*5701 vor Verordnung des HIV-Mittels Abacavir (ZIAGEN). Durch Ausweichen auf alternative HIV-Mittel bei Vorliegen des HLA-B*5701-Allels lassen sich nach einer randomisierten kontrollierten Studie Überempfindlichkeitsreaktionen deutlich mindern (a-t 2008; 39: 59-60).15 Dass auch plausible Modelle scheitern können, verdeutlicht das Beispiel der Gentest-gesteuerten Dosierung von Cumarinen. Nach drei großen randomisierten Studien gelingt die INR-Einstellung mithilfe der Genotypisierung nicht16,17 bzw. nur geringfügig besser18 als bei üblichem Vorgehen.

Wir finden eine Leitlinie zum Thema Genotypisierung bei Statintherapie.19 Sie bezieht sich jedoch ausschließlich auf den Polymorphismus am SLCO1B1-Transporter-Gen bei Simvastatin-Anwendern und stammt im Übrigen von einem internationalen Konsortium, das sich ausdrücklich zum Ziel gesetzt hat, Pharmakogenetik in die Praxis zu implementieren. In den Fachinformationen zu Statinen wird eine Genotypisierung bislang nicht empfohlen. In die Fachinformation zu Simvastatin soll laut aktueller Empfehlung des Ausschusses für Risikobewertung im Rahmen der Pharmakovigilanz (PRAC) aber ein Hinweis aufgenommen werden, dass vor Verordnung von täglich 80 mg Simvastatin als Teil der individuellen Nutzen-Schaden-Einschätzung auch ein Test auf Polymorphismus am SLCO1B1-Transporter-Gen - wenn verfügbar - in Betracht gezogen werden soll. Bei homozygoten Trägern des varianten Allels sollen hohe Dosen vermieden werden.20 Die Fachinformationen zu Atorvastatin,21 Pitavastatin (LIVAZO; außer Handel)22 und Rosuvastatin23 weisen auf Genvarianten, vor allem die im SLCO1B1-Transporter-Gen, hin und mahnen zu Vorsicht21 bzw. zu niedrigerer Tagesdosis23 bei Patienten mit bekanntem Polymorphismus. Wenn auf den SLCO1B1-Polymorphismus überhaupt getestet werden soll, ist dies auch gezielt möglich. Der STADA-Test wird dafür nicht gebraucht.

Von den meisten gesetzlichen Krankenkassen wird der STADA-Test, der im Internet beworben wird und in Apotheken erhältlich ist, nicht bezahlt. Wie STADA zu seinen Therapieempfehlungen kommt, ist nicht nachvollziehbar. Den Algorithmus, der zur Bestimmung der Dosisempfehlungen verwendet wird, will die Firma auf Nachfrage "aus Wettbewerbsgründen" nicht aufschlüsseln.1 Als Datenbasis für diesen Algorithmus überlässt uns STADA eine Liste mit neun Literaturstellen,24 darunter vier narrative Übersichten, zwei Beobachtungsstudien zum Problem der Adhärenz unter Statinen von 2002 sowie die oben genannte Leitlinie. Nur bei zwei Arbeiten handelt es sich um Beobachtungsstudien zur Statinpharmakogenetik, aber auch diese betreffen wie die Leitlinie ausschließlich den Polymorphismus am SLCO1B1-Transporter-Gen. Mehrere der im Test geprüften Polymorphismen werden in dem Literatursammelsurium nicht einmal erwähnt.

∎  Der STADA-Diagnostik-DNA-Statine-Test ermittelt zwölf Genvarianten, unter anderem in drei für die Pharmakokinetik von Statinen verantwortlichen Transporter-Genen.

∎  Prospektive Studien, die belegen, dass eine auf der Basis der Testbefunde stratifizierte Statintherapie das Myopathierisiko verringert oder die Adhärenz fördert - Vorteile, die STADA für seinen Test beansprucht - gibt es nicht. Ob Patienten von dem Test profitieren oder nicht vielmehr Schaden nehmen, ist daher offen.

∎  Auch für die im Zusammenhang mit Statinen am besten geprüfte der zwölf Genvarianten, ein bestimmter Polymorphismus am SLCO1B1-Transporter-Gen, ist bislang nur eine Assoziation mit dem Myopathierisiko, vor allem unter hochdosiertem Simvastatin (80 mg; ZOCOR FORTE XL, Generika), gezeigt worden.

∎  Vor Verordnung von täglich 80 mg Simvastatin soll auf Empfehlung der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zukünftig der Test auf SLCO1B1-Polymorphismus in Betracht gezogen werden. Dieser Test lässt sich - wenn überhaupt - auch gezielt durchführen. Wir raten allerdings von Simvastatin in der 80-mg-Dosierung wegen fehlender Vorteile bei schlechterer Verträglichkeit grundsätzlich ab.

∎  Die Vorhersage der LDL-senkenden Wirksamkeit eines Statins mittels Gentest ist überflüssig und ein Nutzen für die Patienten unbewiesen. Wenn der Effekt in Einzelfällen überhaupt überprüft werden soll, ist die LDL-Bestimmung selbst einfacher und kostengünstiger.

∎  Wir raten von dem 261 € teuren STADA-Test ab.

  (R =randomisierte Studie)
1 STADA: Schreiben vom 26. Febr. 2014
2 STADA: STADA Diagnostik Statine Schulungsunterlagen, Stand Apr. 2013
http://www.a-turl.de/?k=prin
3 STADA: Werbung für STADA Diagnostik DNA Statine, Stand März 2013
http://www.a-turl.de/?k=abak
4 WINDELER, J., LANGE, S.: Ethik in der Medizin 2013; 25: 173-82
5 TEUTSCH, S.M. et al.: Genet. Med. 2009; 11: 3-14
R    6 SEARCH Collaborative Group: Lancet 2010; 376: 1658-69
7 SEARCH Collaborative Group: N. Engl. J. Med. 2008; 359: 789-99
R    8 Heart Protection Study Collaborative Group: Lancet 2002; 360: 7-22
9 STEWART, A.: PLOS Curr.; online publ. am 4. Dez. 2013 doi: 10.1371/currents.eogt.d21e7f0c58463571bb0d9d3a19b82203
10 GELISSEN, I.C., McLACHLAN, A.J.: Pharmacol. Res., online publ. Dez. 2013; doi: 10.1016/jphrs.2013.12.002
11 ATTIA, J. et al.: JAMA 2009; 301: 304-8
12 STADA : Schreiben vom 18. Febr. 2014
13 KOLLEK, R.: Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh.wesen 2012; 106: 40-5
14 IOANNIDIS, J.P.A.: Circ. Cardiovasc. Genet. 2013; 6: 413-8
R  15 MALLAL, S. et al.: N. Engl. J. Med. 2008; 358: 568-79
R  16 KIMMEL, S.E. et al.: N. Engl. J. Med. 2013; 369: 2283-93
R  17 PIRMOHAMED, M. et al.: N. Engl. J. Med. 2013; 369: 2294-303
R  18 VERHOEF, T.I. et al.: N. Engl. J. Med. 2013; 369: 2304-12
19 WILKE, R.A. et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 2012; 92: 112-7
20 EMA: PRAC recommendations on signals. Adopted at the PRAC meeting of 7-10 April 2014;
http://www.a-turl.de/?k=auff
21 Pfizer: Fachinformation SORTIS, Stand Jan. 2014
22 Recordati: Fachinformation LIVAZO, Stand Sept. 2012
23 AstraZeneca: Fachinformation CRESTOR, Stand Sept. 2013
24 STADA: Schreiben vom 20. Febr. 2014

© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 9. Mai 2014

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