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Im Blickpunkt

 SARS-COV-2: IMPFSTOFFE, REKONVALESZENTENPLASMA U.A.
... FDA beugt sich politischem Druck

Jahrzehntelang galt die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA als Blaupause für eine Arzneimittelbehörde, die – wenn auch ab und zu mit gewissen Abstrichen – für akkurate und wissenschaftsbasierte Entscheidungen im Sinne von Patienten und Fachkreisen steht. Derzeit ist aber beinahe täglich zu verfolgen, wie Qualität und Standards von FDA-Entscheidungen abnehmen beziehungsweise missachtet werden.

*Vorversion am 4. September 2020 als blitz-a-t veröffentlicht.

Ende August 2020 hat die FDA die Notfallzulassung (Emergency Use Authorization; EUA) des Virustatikums Remdesivir (VEKLURY) auf alle hospitalisierten Patienten mit COVID-19 ausgeweitet – unabhängig von der Schwere der Erkrankung.1 Daten zum Nutzen von Remdesivir bei COVID-19 sind allerdings widersprüchlich. Allenfalls bei bestimmten schwer erkrankten hospitalisierten Patienten verkürzt das Virustatikum in der für die Zulassung maßgeblichen Studie ACTT-1 die Zeit bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus um wenige Tage. Ein Einfluss auf die Sterblichkeit ist nicht nachgewiesen (a-t 2020; 51: 57-9).2 Die aktuelle Zulassungserweiterung beruht auf der Auswertung einer Subgruppe von Patienten der ACTT-1-Studie mit milder und mäßiger Erkrankung, bei denen Remdesivir die Krankheitsdauer „numerisch“ verkürzt haben soll,1 sowie auf einer kleinen randomisierten offenen Studie,3 der die europäische Arzneimittelbehörde EMA4 methodische Mängel bescheinigt und bei der sie in einer Zwischenauswertung** keinen Nutzen ableiten konnte. Die Datenbasis ist somit noch schlechter als bei der EUA für schwere COVID-19-Erkrankungen. Auch angesichts der weltweiten Knappheit von Remdesivir5 sollte die Anwendung auf die Patienten beschränkt werden, die beim derzeitigen Kenntnisstand am ehesten davon profitieren.

**Patientenzahlen und die wesentlichen Ergebnisse stimmen mit der späteren Publikation3 überein.

Die breite Notfallzulassung ignoriert den Mangel an wissenschaftlicher Evidenz, kommentiert Eric TOPOL, Chefredakteur von Medscape, einem internetbasierten medizinischen Informationsdienst für Kliniker, und viel zitierter Mediziner. In einem scharf formulierten offenen Brief an den Leiter der FDA, den erst im Dezember 2019 von US-Präsident TRUMP ins Amt eingeführten Onkologen Stephen HAHN, beklagt TOPOL eine dramatische Vertrauenskrise aufgrund zunehmend politisch motivierter Entscheidungen der Behörde.6

Unmittelbar nachdem Präsident TRUMP Hydroxychloroquin (QUENSYL, Generika) im März 2020 aggressiv als Wundermittel gegen COVID-19 propagiert hatte, erteilte die FDA trotz fehlender Nutzenbelege eine Notfallzulassung für das Malariamittel in dieser Indikation (e a-t 4/2020b).6 Sprunghaft stiegen in den USA noch im gleichen Monat die Verordnungen von Hydroxychloroquin und Chloroquin durch Ärzte, die diese typischerweise nicht verordnen, im Vergleich zu März 2019 auf das 80-Fache.7 Bereits nach zehn Wochen widerruft die Behörde die Notfallzulassung und warnt vor der Anwendung bei COVID-19 wegen unzureichender Evidenz für eine Wirksamkeit und kardialer Störwirkungen (blitz-a-t vom 19. Juni 2020).8

Einen eklatanten Verstoß gegen die wissenschaftlichen Standards, denen die FDA verpflichtet ist, leistet sich der Leiter der FDA im August 2020 in einer Pressekonferenz mit Präsident TRUMP aus Anlass der Notfallzulassung von Rekonvaleszentenplasma***, dem TRUMP eine „unglaubliche Erfolgsrate“ bei COVID-19 mit zahllosen geretteten Leben attestiert.9 HAHN pflichtet dem Präsidenten bei. Er spricht von einer 35%igen Mortalitätsreduktion durch das Plasma und behauptet, dass von 100 COVID-19-Kranken 35 überleben würden,6,10 wenn sie mit hoch konzentriertem Plasma behandelt werden. Das ist offensichtlicher Unsinn. Später korrigiert sich der Leiter der FDA halbherzig per Twitter, er habe lediglich eine relative Risikoreduktion gemeint und keine absolute.11 Aber auch für eine relative 35%ige Reduktion der Sterblichkeit fehlt eine seriöse Datenbasis. Die Wirksamkeitsbehauptung geht auf eine vorab – ohne Peer Review – veröffentlichte Beobachtungsstudie12 aus der Mayo Clinic zurück, in der retrospektiv erhobene Daten von mehr als 35.000 COVID-19-Patienten ohne Vergleichsgruppe ausgewertet werden. In kleineren Subgruppen von rund 1.000 Patienten soll beispielsweise ein höher konzentriertes Plasma mit geringerer Mortalität assoziiert sein als ein niedriger konzentriertes (13,7% versus 8,9%; Differenz absolut 4,8%, relativ 35%).6,11,12 Solche Daten eignen sich jedoch nicht dazu, eine Verringerung der Mortalität zu belegen, sondern allenfalls zur Hypothesenbildung.

***Rekonvaleszentenplasma = Plasma von Patienten nach überstandener COVID-19-Erkrankung, das Antikörper gegen SARS-CoV-2 enthält.

Aus randomisierten Untersuchungen lässt sich ein Nutzen von Rekonvaleszentenplasma bei COVID-19 bislang nicht ableiten: Eine auf einem Preprint-Server veröffentlichte holländische randomisierte Studie mit hospitalisierten Patienten wurde nach Aufnahme von 86 Teilnehmern vorzeitig abgebrochen, da die meisten COVID-19-Patienten bereits bei Klinikaufnahme hohe Titer neutralisierender Antikörper hatten, die überwiegend auf dem Niveau der Plasmaspender lagen. Ein Nutzen des Plasmas wurde daher bezweifelt.13 Weitere vier überwiegend kleine randomisierte Studien finden ebenfalls keinen oder keinen signifikanten Effekt.14-17

Auch die Ankündigung des FDA-Leiters HAHN, dass es abhängig von den Daten möglich sei, eine SARS-CoV-2-Vakzine bis zum 3. November 2020, dem Tag der Präsidentenwahl in den USA, zuzulassen, selbst wenn die Phase-III-Erprobung noch nicht abgeschlossen ist, lässt auf einen Mangel an Autonomie der FDA**** von der TRUMP-Administration schließen. Solche Vorgänge gefährden das ohnehin fragile Vertrauen der Öffentlichkeit in Impfstoffe (siehe auch S. 71).6

****Mangel an Autonomie fällt auch bei der Seuchenbekämpfungsbehörde Centers for Disease Control (CDC) auf: Am gleichen Tag, an dem TRUMP einen Impfstoff noch in diesem Jahr angekündigt hat, haben die CDC den 50 Bundesstaaten der USA Anleitungen für die Verteilung von SARS-CoV-2-Vakzinen zugesandt sowie für eine Impfung gegen COVID-19, die bereits für Ende Oktober/Anfang November für medizinisches Personal und andere Risikogruppen vorgesehen ist.18 Der für Infektionskrankheiten zuständige CDC-Direktor, der in einer Stellungnahme vor dem US-Senat eine breite Vorsorgung der Bevölkerung mit Impfstoff erst im 2. oder 3. Quartal 2021 für wahrscheinlich hält, wird von TRUMP demontiert: Er sei „verwirrt“ gewesen bei dieser „inkorrekten Information“.19

„Gefangen zwischen Wissenschaftlern und dem Präsidenten“, positioniert die New York Times die FDA.20 Diese Situation wirkt sich auch auf die übrigen relevanten Arzneimittelbehörden der Welt aus, etwa die europäische EMA. Diese können durch frühe Entscheidungen der FDA unter Druck geraten, ebenfalls (zu) rasch zuzulassen. Die Verantwortung auch der EMA steigt, als Gegenpol unabhängig von finanziellen Interessen und politischem Druck evidenzbasiert über die Zulassung von Arzneimitteln zu entscheiden.

(R = randomisierte Studie)
1FDA: Pressemitteilung vom 28. Aug. 2020; http://www.a-turl.de/?k=berm
R2BEIGEL, J.H. et al.: N. Engl. J. Med. 2020; 324: 1048-57
R3SPINNER, C.D. et al.: JAMA 2020; 324: 1048-57
4EMA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) VEKLURY, Stand Juni 2020; http://www.a-turl.de/?k=ibel
5Health Canada: Dear Healthcare Professional Letter, 15. Sept. 2020; http://www.a-turl.de/?k=lsho
6TOPOL, E.: Dear Commissioner Hahn: Tell the Truth or Resign, Medscape, 31. Aug. 2020; http://www.a-turl.de/?k=olfh
7BULL-OTTERSON, L. et al.: MMWR 2020; 69: 1210-5; http://www.a-turl.de/?k=frei
8FDA: Pressemitteilung vom 15. Juni 2020; http://www.a-turl.de/?k=uhme
9LIVE: TRUMP Announces Emergency Use Authorization For Convalescent Plasma, 23. Aug. 2020; https://youtu.be/kboX_umIrmU
10McDONALD, J.: Trump, Hahn Mischaracterize Data on COVID-19 Convalescent Plasma. FactCheck.org, 27. Aug. 2020, updated 3. Sept. 2020; http://www.a-turl.de/?k=rges
11PERRONE, M., RIECHMANN, D.: „FDA chief apologizes for overstating plasma effect on virus“. Associated Press, 25. Aug. 2020; http://www.a-turl.de/?k=ulda
12JOYNER, M.J. et al.: medRxiv, online publ. am 12. Aug. 2020; http://www.a-turl.de/?k=eesh
R13GHARBHARAN, A. et al.: medRxiv, online publ. am 3. Juli 2020; http://www.a-turl.de/?k=iero
R14LI, L. et al.: JAMA 2020; 324: 460-70
R15AVENDANO-SOLA, C. et al.: medRxiv, online publ. am 1. Sept. 2020; http://www.a-turl.de/?k=rums
R16AGARWAL, A. et al.: medRxiv, online publ. am 8. Sept. 2020; http://www.a-turl.de/?k=orkh
R17BALCELLS, M.E. et al.: medRxiv, online publ. am 18. Sept. 2020; http://www.a-turl.de/?k=ilsd
18GUMBRECHT, J., FOX, M.: CDC documents say states should prepare to distribute Covid-19 vaccines as soon as late October. CNN, 3. Sept. 2020; http://www.a-turl.de/?k=huro
19VAZQUES, M.: Trump disputes CDC head’s vaccine timeline and mask claims, CNN politics, updated 17. Sept. 2020; http://www.a-turl.de/?k=arot
20KAPLAN, S.: New York Times vom 10. Aug. 2020, updated 28. Aug. 2020; http://www.a-turl.de/?k=iesk

© 2020 arznei-telegramm, publiziert am 25. September 2020

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