logo
logo
Die Information für medizinische Fachkreise
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
vorheriger Artikelblitz-a-t 04.09.2020nächster Artikel
blitz-a-t

SARS-COV-2, REKONVALESZENTENPLASMA U.A.: FDA BEUGT SICH POLITISCHEM DRUCK
... EIN LEIDER NOTWENDIGER KOMMENTAR

Die Daten zum Nutzen des Virustatikums Remdesivir (VEKLURY) bei COVID-19 sind widersprüchlich. Allenfalls bei bestimmten schwer erkrankten hospitalisierten Patienten verkürzt Remdesivir in der für die Zulassung maßgeblichen Studie (ACTT-1) die Zeit bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus um wenige Tage, ohne dass ein Einfluss auf die Sterblichkeit nachgewiesen ist (a-t 2020; 51: 57-9).1 Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA weitet aktuell jedoch die Notfallzulassung (EUA, Emergency Use Authorization) des Virustatikums auf alle hospitalisierten Patienten mit COVID-19-Erkrankung aus – unabhängig von der Schwere der Erkrankung.2 Wie passt dies zusammen? Die Zulassungserweiterung beruht auf der Auswertung einer Subgruppe von Patienten der ACTT-1-Studie1 mit milder und mäßiger Erkrankung, bei denen Remdesivir die Krankheitsdauer „numerisch“ verkürzt haben soll,2 sowie auf einer kleinen randomisierten offenen Studie,3 der die europäische Arzneimittelbehörde EMA4 methodische Mängel bescheinigt und bei der sie in einer Zwischenauswertung keinen Nutzen ableiten konnte. Die Datenbasis ist somit noch schlechter als bei der EUA für schwere COVID-19-Erkrankungen. Die breite Notfallzulassung ignoriert den Mangel an wissenschaftlicher Evidenz, kommentiert Eric TOPOL, Chefredakteur von Medscape, einem internetbasierten medizinischen Informationsdienst für Kliniker, und viel zitierter Wissenschaftler im Bereich der Medizin. In einem scharf formulierten offenen Brief an den Leiter der FDA, den erst im Dezember 2019 von US-Präsident TRUMP ins Amt eingeführten Onkologen Stephen HAHN, beklagt TOPOL eine dramatische Vertrauenskrise aufgrund von zunehmend politisch motivierten Entscheidungen der Behörde.5

Unmittelbar nachdem Präsident TRUMP Hydroxychloroquin (QUENSYL, Generika) im März 2020 aggressiv als Wundermittel gegen COVID-19 propagiert hatte, folgte trotz fehlender Nutzenbelege die Notfallzulassung des Malariamittels in dieser Indikation durch die FDA (e a-t 4/2020b).5 Bereits zehn Wochen später widerruft die Behörde diese EUA und warnt vor der Anwendung von Hydroxychloroquin bei COVID-19 wegen unzureichender Evidenz für eine Wirksamkeit und kardialer Störwirkungen (blitz-a-t vom 19. Juni 2020).6

Einen eklatanten Verstoß gegen die wissenschaftlichen Standards, denen die FDA verpflichtet ist, leistet sich der Leiter der FDA im August 2020 in einer Pressekonferenz mit Präsident TRUMP aus Anlass der Notfallzulassung von Rekonvaleszentenplasma*, dem TRUMP eine „unglaubliche Erfolgsrate“ bei COVID-19 mit zahllosen geretteten Leben attestiert.7 HAHN pflichtet dem Präsidenten bei. Er spricht von einer 35%igen Mortalitätsreduktion durch das Plasma und behauptet, dass von 100 COVID-19-Kranken 35 überleben würden,5,8 wenn sie mit hoch konzentriertem Plasma behandelt werden. Das ist offensichtlicher Unsinn. Später korrigiert sich der Leiter der FDA halbherzig per Twitter, er habe lediglich eine relative Risikoreduktion gemeint und keine absolute.9 Aber auch für eine relative 35%ige Reduktion der Sterblichkeit fehlt eine hinreichende Datenbasis. Die Wirksamkeitsbehauptung geht auf eine vorab – ohne Peer Review – veröffentlichte Beobachtungsstudie10 aus der Mayo Clinic zurück, in der retrospektiv erhobene Daten von mehr als 35.000 COVID-19-Patienten ohne Vergleichsgruppe ausgewertet werden. In kleineren Subgruppen von rund 1.000 Patienten soll beispielsweise ein höher konzentriertes Plasma mit geringerer Mortalität assoziiert sein als ein niedriger konzentriertes (13,7% versus 8,9%; Differenz absolut 4,8%, relativ 35%).5,9,10 Solche Daten eignen sich nicht dazu, eine Verringerung der Mortalität zu belegen, sondern allenfalls zur Hypothesenbildung.

In randomisierten Untersuchungen ließ sich ein Nutzen von Rekonvaleszentenplasma bei COVID-19 bislang nicht belegen: Eine auf einem Preprint-Server veröffentlichte holländische randomisierte Studie, in der bei hospitalisierten Patienten das Plasma mit alleiniger üblicher Therapie verglichen werden sollte, wurde nach Aufnahme von 86 Patienten vorzeitig abgebrochen, da die meisten COVID-19-Patienten bereits bei Klinikaufnahme hohe Titer neutralisierender Antikörper hatten, die überwiegend auf dem Niveau der Plasmaspender lagen. Ein Nutzen des Plasmas wurde daher bezweifelt.11 Eine kleine chinesische Multicenter-Studie (Wuhan) wurde wegen mangelnder Rekrutierung ebenfalls abgebrochen. Anhand der erfassten 105 Teilnehmer lässt sich in der wahrscheinlich unterpowerten Studie ein Effekt von Rekonvaleszentenplasma im Vergleich zur Standardtherapie nicht feststellen.12

Auch die Ankündigung des FDA-Leiters HAHN, dass es abhängig von den Daten möglich sei, eine SARS-CoV-2-Vakzine bis zum 3. November 2020, dem Tag der Präsidentenwahl in den USA, zuzulassen, selbst wenn die Phase-III-Erprobung noch nicht abgeschlossen ist, lässt auf einen Mangel an Autonomie der FDA von der TRUMP-Administration schließen und gefährdet das ohnehin fragile Vertrauen der Öffentlichkeit in Impfstoffe.5**

„Gefangen zwischen Wissenschaftlern und dem Präsidenten“, beschreibt die New York Times die Situation.14 Jahrzehntelang galt die FDA als Blaupause für eine Arzneimittelbehörde, die für akkurate und wissenschaftsbasierte Entscheidungen im Sinne von Patienten und Fachkreisen steht. Derzeit ist beinahe täglich zu beobachten, wie Qualität und Standards bei FDA-Entscheidungen abnehmen beziehungsweise missachtet werden. Dies hat Konsequenzen für die übrigen relevanten Arzneimittelbehörden der Welt, insbesondere auch für die europäische EMA. Deren Verantwortung steigt, unabhängig von finanziellen Interessen und politischem Druck evidenzbasiert über die Zulassung von Arzneimitteln zu entscheiden, –Red.

(R = randomisierte Studie)
R1BEIGEL, J.H. et al.: N. Engl. J. Med., online publ. am 22. Mai 2020; https://doi.org/10.1056/NEJMoa2007764 (12 Seiten)
2FDA: Pressemitteilung vom 28. Aug. 2020; http://www.a-turl.de/?k=berm
R3SPINNER, C.D. et al.: JAMA online publ. am 21. Aug. 2020; https://doi.org/10.1001/jama.2020.16349
4EMA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) VEKLURY, Stand Juli 2020; http://www.a-turl.de/?k=ibel
5TOPOL, E.J.: Dear Commissioner Hahn: Tell the Truth or Resign, Medscape, 31. Aug. 2020; http://www.a-turl.de/?k=olfh
6FDA: Pressemitteilung vom 15. Juni 2020; http://www.a-turl.de/?k=uhme
7LIVE: TRUMP Announces Emergency Use Authorization For Convalescent Plasma, 23. Aug. 2020; https://youtu.be/kboX_umIrmU
8McDONALD, J.: Trump, Hahn Mischaracterize Data on COVID-19 Convalescent Plasma. FactCheck.org, 27. Aug. 2020; http://www.a-turl.de/?k=rges
9PERRONE, M., RIECHMANN, D.: „FDA chief apologizes for overstating plasma effect on virus“, Associated Press 25. Aug. 2020; http://www.a-turl.de/?k=ulda
10JOYNER, M.J. et al.: medRxiv, online publ. am 12. Aug. 2020; http://www.a-turl.de/?k=eesh
R11GHARBHARAN, A. et al.: medRxiv; http://www.a-turl.de/?k=iero
R12LI, L. et al.: JAMA 2020; 324: 460-70
13GUMBRECHT, J., FOX, M.: CDC documents say states should prepare to distribute Covid-19 vaccines as soon as late October. CNN, 3. Sept. 2020; http://www.a- turl.de/?k=huro
14KAPLAN, S.: New York Times vom 10. Aug. 2020; http://www.a-turl.de/?k=iesk
*Rekonvaleszentenplasma = Plasma von Patienten nach überstandener COVID-19-Erkrankung, das Antikörper gegen SARS-CoV-2 enthält.
**Mangel an Autonomie fällt auch bei der Seuchenbekämpfungsbehörde Centers for Disease Control (CDC) auf: Am gleichen Tag, an dem TRUMP einen Impfstoff noch in diesem Jahr angekündigt hat, haben die CDC den 50 Bundesstaaten Anleitungen für die Verteilung von SARS-CoV-2-Vakzinen zugesandt sowie für eine Impfung gegen COVID-19, die bereits für Ende Oktober/Anfang November für medizinisches Personal und andere Risikogruppen vorgesehen ist.13

© 2020 arznei-telegramm, publiziert am 4. September 2020

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.

vorheriger Artikelblitz-a-t 04.09.2020nächster Artikel