logo
logo
Die Information für medizinische Fachkreise
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
vorheriger Artikela-t 2023; 54: 34-5nächster Artikel
Therapiekritik

HARNWEGSINFEKTIONEN: IMPFSTOFF STROVAC NICHT BESSER ALS PLAZEBO

Über sechs Jahre blieben die Daten im Verborgenen: Die Ergebnisse der Negativstudie RUDIS1 zur Injektionssuspension STROVAC, die spezielle inaktivierte Enterobakterien enthält und zur Therapie und Prophylaxe rezidivierender Harnwegsinfektionen angeboten wird. Zwischen Januar 2012 und März 2015 wurde die Doppelblindstudie in 40 deutschen Zentren durchgeführt.* Die vollständige Publikation2 liegt aber erst seit Oktober 2022 vor. 375 Frauen und 1 Mann** zwischen 18 und 80 Jahren mit mindestens 5 unkomplizierten symptomatischen bakteriellen Harnwegsinfektionen im Jahr vor Studienbeginn erhalten nach randomisierter Zuteilung drei intramuskuläre Injektionen im Abstand von jeweils zwei Wochen (+/- sieben Tage) mit entweder STROVAC oder Plazebo. Im primären Endpunkt, der Zahl der bakteriellen Harnwegsinfektionen in den 13,5 Monaten nach der Randomisierung, wirkt die Bakteriensuspension nicht besser als das Scheinmedikament: In der Verumgruppe geht die Häufigkeit von durchschnittlich 5,5 im Jahr zuvor auf 1,2, in der Plazebogruppe von 5,4 auf 1,3 zurück (p = 0,63). Die Zeit bis zum ersten Rezidiv (323 Tage versus 365 Tage) und der Anteil ohne Rezidiv in den zwölf Monaten nach der Therapie (46% vs. 51,6%) unterscheiden sich ebenfalls nicht signifikant.2

*Laut Publikation2 wurde die Studie zwischen Januar 2012 und März 2015 durchgeführt („conducted“), gemäß EU-Studienregister endete sie am 19. März 2015, und die abschließende Analyse fand am 22. Febr. 2016 statt.1 In gewissem Widerspruch dazu heißt es in der Publikation jedoch an anderer Stelle, dass die Patienten bis März 2015 randomisiert wurden.2
**Nach Angaben im Studienregister der EU 370 Frauen und 6 Männer.1

Gesamtzahl (426 vs. 193) und Rate (62,2% vs. 44,1%) der unerwünschten Ereignisse während der Behandlungsperiode sind in der RUDIS-Studie unter Verum aber deutlich höher als unter Plazebo.2 Dies gilt insbesondere für Schmerzen und Schwellungen an der Injektionsstelle (37,2% vs. 5,3% bzw. 6,4% vs. 0), Influenza-ähnliche Beschwerden (11,7% vs. 4,8%), Fieber (8% vs. 2,7%) und Schüttelfrost (7,5% vs. 1,1%) sowie die Zahl schwerer Ereignisse (55 vs. 17), darunter vor allem lokale Schmerzen, Fieber und Grippe-ähnliche Erkrankung.1,2

Die Arbeit erscheint erst, nachdem Anbieter Strathmann eine sehr spezielle Lösung für die Interpretation des misslichen Ergebnisses gefunden hatte: Der fehlende Vorteil von STROVAC gegenüber Plazebo soll darauf zurückzuführen sein, dass das verwendete Scheinmedikament, das außer Thiomersal und Phenol alle Hilfsstoffe des Verums enthält, aber keine inaktivierten Enterobakterien, selbst prophylaktisch wirksam ist. Grund soll der in Verum und Plazebo enthaltene Hilfsstoff Dextran sein, für den die Firma 2018 ein Patent zur Immunprophylaxe von Allgemeininfektionen angemeldet hat. Als Beleg dient laut Patentschrift ein Tierversuch mit 50 Mäusen.3

Bei RUDIS handelt es sich unseres Wissens um die erste sicher randomisierte Studie zu STROVAC. Frühere Untersuchungen sind entweder rein beobachtend4-7 oder pseudorandomisiert,8,9 indem die Patienten abwechselnd den jeweiligen Vergleichsgruppen zugeteilt wurden. Eine weitere Arbeit wird zwar in Abstract und Einleitung als „randomisiert“ angekündigt, in der Publikation der in vieler Hinsicht mangelhaften Untersuchung wird aber ansonsten mit keinem Wort beschrieben, wie die Zuteilung erfolgt.10 Es fehlt mithin ein aussagekräftiger Nutzenbeleg für den Bakterienimpfstoff, der jedoch, wie auch in RUDIS deutlich wird, mit potenziell schweren Schadwirkungen einhergeht: Im NETZWERK DER GEGENSEITIGEN INFORMATIONEN dokumentieren wir zu STROVAC eine massive allergische Reaktion mit Schüttelfrost, Fieber und Gelenkschmerzen, einen Kreislaufkollaps mit Blutdruckabfall und Erbrechen sowie extreme Schmerzen am Oberarm des geimpften Arms und starke Müdigkeit jeweils nach den Injektionen (Netzwerk-Berichte 13.737, 14.285 und 17.928).

Angesichts der fehlenden validen Nutzenbelege und häufigen auch schweren unerwünschten Wirkungen bewerten wir die Nutzen-Schaden-Bilanz von STROVAC gegen rezidivierende Harnwegsinfektionen als negativ und raten von den Injektionen ab. Die Marktrücknahme erachten wir als überfällig.

(R = randomisierte Studie)
1STRATHMANN GmbH & Co. KG: EU Clinical Trials Register Nr. 2010-020882-25; https://a-turl.de/ewzu
R2NESTLER, S. et al.: Int. Urol. Nephrol. 2022; 55: 9-16
3Weltorganisation für geistiges Eigentum: Patentanmeldung WO 2019/011514 A1, 17. Jan. 2019; https://a-turl.de/26g4
4RIEDASCH, G., MÖHRING, K.: Therapiewoche Schweiz 1986; 10: 896-900
5LITSCHGI, M.: Geburtsh. Frauenheilk. 1987; 47: 107-10
6LENK, S., DORSCH, B.: Aktuel. Urol. 2009; 40: 360-65
7NESTLER, S. et al.: Int. Urol. Nephrol. 2021; 53: 2267-72
8GRISCHKE, E. M., Rüttgers. H.: Urol. Int. 1987; 42: 338-41
9NAYIR, A. et al.: Vaccine 1995; 13: 987-90
10BONILLA-MUSOLES, F. et al.: Therapiewoche Schweiz 1991; 7, 12: 859-64

© 2023 arznei-telegramm, publiziert am 12. Mai 2023

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.

vorheriger Artikela-t 2023; 54: 34-5nächster Artikel