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Kurz und bündig

Nutzenbelege für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) von „ernüchternder“ Qualität1

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA; e a-t 8/2024a) könnten im Prinzip die ärztliche Therapie sinnvoll ergänzen und zum Selbstmanagement von Erkrankungen beitragen. Laut Spitzenverband der Anbieter liegt für alle Applikationen, die dauerhaft in das DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgenommen sind, mindestens eine randomisierte kontrollierte Studie vor.2 Mit dieser „Übererfüllung regulatorischer Vorgaben“ – ausreichend wären beispielsweise auch Fallkontroll-, Beobachtungsstudien u.a.2,3 – und der Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis des BfArM (derzeit 434) sieht der Lobbyverband die Evidenzqualität gewährleistet.2 Die Bewertung der methodischen Qualität der vom BfArM in einem dreimonatigen Fast-Track-Verfahren beurteilten randomisierten Studien und Daten fällt jedoch aus Sicht der Krankenkassen und verschiedener Arbeitsgruppen insgesamt ernüchternd aus.1,5 Die Vorbehalte: Ein hohes Verzerrungspotenzial besteht beispielsweise bei unverblindeten Studien und wenn es sich ausschließlich oder überwiegend um Endpunkte handelt, die nicht mit objektiven Messmethoden erfasst, sondern von den Anwendenden selbst berichtet werden (vgl. deprexis, siehe a-t 2025; 56: 37).5-7 Diese Strategie kann zwar ggf. sinnvoll sein, mindert aber die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse.6 Vergleiche von DiGAs derselben Indikationsgebiete fehlen.8 Hohe Drop-out-Raten lassen zudem befürchten, dass es schwierig sein könnte, Patienten im Versorgungsalltag zu motivieren, die freigeschalteten DiGA regelmäßig zu nutzen.6 Sofern Teilnehmende an DiGA-Studien nicht über Arztpraxen, sondern über das Internet rekrutiert werden, dürften diese eher digitalaffin und die Ergebnisse nicht generalisierbar sein.5 Die insgesamt unbefriedigende Aussagekraft der Nutzennachweise ist unter anderem Folge der als sehr niedrig einzustufenden6,9 Anforderungen im Fast-Track-Verfahren. Mit diesem werden Bewertungsroutinen umgangen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Arzneimittelbereich etabliert sind, wie Nutzenbewertungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss.9 Der Gesetzgeber hat es angesichts des „geringen Risikopotenzials“ und der angenommenen „vergleichsweise niedrigen Kosten“* von DiGAs für „unverhältnismäßig“ erachtet, für den Nachweis des geforderten positiven Versorgungseffektes vergleichbar hohe Evidenzanforderungen zu stellen wie beispielsweise für den Nachweis des Zusatznutzens von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen.3 Der Zielkonflikt ist dadurch programmiert: Einerseits haben Versicherte einen Leistungsanspruch, sobald eine DiGA in das amtliche Verzeichnis aufgenommen ist, andererseits muss die GKV dafür Sorge tragen, dass die von der Versichertengemeinschaft finanzierten Maßnahmen wirtschaftlich, zweckmäßig und medizinisch notwendig sind.1 Für die vom Lobbyverband der DiGA-Unternehmen behauptete Stärkung der Souveränität von Patientinnen und Patienten und Entlastung des Gesundheitssystems10 finden wir jedenfalls keine hinreichenden Belege, –Red.

*Bei kontinuierlich steigender Zahl von Freischaltungen hat die GKV allerdings bis Ende 2024 234 Millionen Euro für DiGAs insgesamt aufgewendet.1
1GKV Spitzenverband: DiGA Bericht 2024, 1. Apr. 2025; https://a-turl.de/5vj3
2Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung e.V.: Stellungnahme zum Bericht des GKV Spitzenverbandes zu DiGA, 2. Apr. 2025; https://a-turl.de/crwy
3Deutscher Bundestag: Drucksache 19/13438 vom 23. Sept. 2019, Seite 59; https://a-turl.de/w858
4BfArM: DiGA-Verzeichnis; https://a-turl.de/6hfe
5DIETZEL, N. et al.: GGW: 2025; 25 (Nr. 1): 16-23; https://a-turl.de/83fb
6EIKERMANN, M.: KVH-Journal 6/2022: 28-33
7KOLOMINSKY-RABAS, P.L. et al.: Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh.wesen (ZEFQ) 2022; 175: 1-16
8KÖNIG, I.R. et al.: Die Innere Medizin 2022; 63: 1298-306
9GREGOR-HAACK J. et al.: Bundesgesundheitsbl. 2021; 64: 1220-7
10Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung e.V.: DiGA-Report 2024; 31. März 2025; https://a-turl.de/szak

© 2025 arznei-telegramm, publiziert am 16. Mai 2025

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