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Keine Selbstverständlichkeit – unwirksame Medikamente sollten vom Markt genommen werden

Zugelassene Arzneimittel müssen „sicher und wirksam“ sein. Verändert sich die Datenlage durch neue Erkenntnisse zu Risiken, werden diese ggf. durch Rote-Hand-Briefe kommuniziert oder sie führen zur Marktrücknahme. Was passiert jedoch, wenn sich der Nutzen eines zugelassenen Arzneimittels trotz Wirksamkeitsbeschreibungen, die in der Vergangenheit von Behörden akzeptiert worden sind, durch aktuelle aussagekräftige Studien nicht belegen lässt? Wohl nichts, denn nachträgliche Zweifel an der Wirksamkeit gehören nicht zu den gesetzlichen Widerrufsgründen einer Zulassung.1 Nach erteilter Vermarktungsgenehmigung trotz unzureichender Nutzenbelege für Injektionen inaktivierter Streptokokken (STROVAC) bei Harnwegsinfektionen und trotz nachfolgender Negativstudie sieht das zuständige Paul-Ehrlich-Institut noch nicht einmal eine rechtlich zulässige Begründung, vom Anbieter eine Wirksamkeitsstudie zu verlangen (a-t 2024; 55: 54). Vor knapp 50 Jahren hatte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA Phenylephrin per os, das in Erkältungsmitteln Beschwerden einer verstopften Nase lindern soll, erstmals als „sicher und effektiv“ eingestuft.2 Nach Auswertung des aktuellen Kenntnisstands bewertet die Behörde das perorale Sympathomimetikum inzwischen jedoch nicht mehr als wirksam.2,3 Selbst in höheren als den empfohlenen Dosierungen unterscheidet es sich hinsichtlich Linderung einer verstopften Nase nicht von Placebo (a-t 2023; 54: 70). Regulatorische Maßnahmen werden in den USA ab der zweiten Hälfte 2026 erwartet,4 – spät, aber immerhin. Bei der europäischen Arzneimittelagentur EMA gibt es hingegen keine Aktivitäten, die Wirksamkeit peroraler Phenylephrin-haltiger Präparate bei verstopfter Nase neu zu bewerten,1 von denen hierzulande pro Jahr 1 Million Packungen – überwiegend GELOPROSED (60%) sowie WICK DAYMED Kombi, OTRICOMPLEX und DOREGRIPPIN – verkauft werden. Auf unsere Frage nach eigenverantwortlichen Maßnahmen verweisen Anbieter auf die positive Bewertung zum Zeitpunkt der Zulassung und auf die Zuständigkeit der Behörden.5,6 Ein weiteres Problem sind beschleunigte Zulassungen, die einem ungedeckten medizinischen Bedarf abhelfen sollen, jedoch auf der dürftigen Basis von Surrogatkriterien oder Zwischenergebnissen erfolgen können. Bleibt ein Nutzennachweis in Bestätigungsstudien aus, folgt aber keineswegs automatisch der Entzug der Zulassung. So wurde der COX-2-Hemmer Celecoxib (ONSENAL) für Patienten mit familiärer adenomatöser Polyposis beschleunigt zugelassen, ohne dass ein Schutz vor Darmkrebs oder seltenere chirurgische Eingriffe belegt waren. Erst als sich acht Jahre später ein Nutzen immer noch nicht nachweisen ließ, verzichtete Pfizer auf die EU-Zulassung.7 Eine vorschnelle Zulassung kann sogar die Durchführung erforderlicher Bestätigungsstudien behindern, wenn Studienteilnehmer mit Verweis auf eine vorhandene Zulassung Placebo ablehnen.8 Bleiben Arzneimittel auf dem Markt, für die ein tragfähiger Wirksamkeitsnachweis jahrelang ausbleibt, was beispielsweise bei Krebsmitteln durchaus häufig ist,9 kann dies – neben falschen Hoffnungen bei Patienten und Verordnern – vermeidbare unerwünschte Wirkungen, Vorenthalten potenziell wirksamer Therapien und Verschwendung von Ressourcen bedeuten. Eine langfristige Vermarktung ohne Nutzenbeleg dient den kommerziellen Interessen der Anbieter, nicht aber der Gesundheit der Behandelten. Gesetzliche Rahmenbedingungen, die beispielsweise bei begründetem Verdacht auf Unwirksamkeit behördliche Maßnahmen oder den Entzug einer beschleunigten Zulassung vorsehen, wenn die geforderten Bestätigungsdaten innerhalb eines definierten Zeitraums nicht vorgelegt werden, wären ein wesentlicher Beitrag für vorbeugenden Verbraucherschutz. Arzneimittelbehörden sollten zudem seltener beschleunigt zulassen und zu robusten Evidenzanforderungen zurückkehren,10 – Red.

1BfArM: Schreiben vom 4. Juni 2025
2TANVEER, S., IOANNIDIS, J.P.A.: JAMA 2025; 333: 937-8
3FDA: Pressemitteilung vom 7. Nov. 2023; https://a-turl.de/2hqa
4LIVORESE, D.L., ELLISON, J.P.: FDA Law Blog, 12. Nov. 2024; https://a-turl.de/bib9
5Pohl-Boskamp: Schreiben vom 4. Juni 2025
6Medice: Schreiben vom 3. Juni 2025
7EMA: Pressemitteilung vom 1. Apr. 2011; https://a-turl.de/yfd5
8AARON, D.G. et al.: JAMA 2022; 328: 2394-5
9LIU, I.T.T. et al.: JAMA 2024; 331: 1471-9
10WIESELER, B.: AVP 2020; 47: 168-70

© 2025 arznei-telegramm, publiziert am 16. Juni 2025

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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