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Kurz und bündig

Migräneprophylaxe bei Kindern - Plazebo die beste Medizin?

2014 hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA das Antiepileptikum Topiramat (TOPAMAX, Generika) auf Basis einer kleinen plazebokontrollierten Studie mit 103 Teilnehmern1 zur Migräneprophylaxe für Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren zugelassen.2 Diese Entscheidung wird durch die öffentlich finanzierte deutlich größere doppelblinde CHAMP-Studie3 mit jungen Migränepatienten nun infrage gestellt. 361 Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 17 Jahren mit eingangs im Mittel 11,4 Kopfschmerztagen pro Monat werden randomisiert einer 24-wöchigen Prophylaxe mit zweimal täglich Amitriptylin (SAROTEN, Generika; Zieldosis 1 mg/kg Körpergewicht [KG] pro Tag), Topiramat (Zieldosis 2 mg/kg KG pro Tag) oder Plazebo zugeteilt. Nach der ersten von zwei geplanten Zwischenanalysen wird die Studie wegen fehlenden Nutzens vorzeitig abgebrochen. Im primären Endpunkt zeigt sich zwischen den Behandlungsarmen kein Unterschied: Bei etwa gleich vielen Patienten pro Gruppe sinkt die Zahl der monatlichen Kopfschmerztage im Vergleich zum Ausgangswert um mindestens die Hälfte (Amitriptylin 52%, Topiramat 55%, Plazebo 61%). Sekundäre Wirksamkeitsendpunkte unterscheiden sich ebenfalls nicht: Die Zahl der Kopfschmerztage pro Monat nimmt im Mittel unter Verum um jeweils 6,7 Tage, unter Plazebo um 5,9 Tage ab. Auch hinsichtlich der durch Migräne beeinträchtigten Alltagsaktivitäten (PedMIDAS*-Score) schneiden Amitriptylin und Topiramat nicht besser ab als Plazebo. Störwirkungen treten unter beiden Mitteln hingegen deutlich häufiger auf als unter Scheinmedikament. In Verbindung mit Amitriptylin kommen Müdigkeit (30% versus 14% unter Plazebo) und Mundtrockenheit (25% vs. 12%) häufiger vor, unter Topiramat unter anderem Parästhesien (31% vs. 8%), Müdigkeit (25% vs. 14%), Gedächtnisstörungen (17% vs. 10%), Aphasien (16% vs. 10%) und Gewichtsabnahme (8% vs. 0%). In der Amitriptylingruppe werden eine schwere Synkope und eine anaphylaktische Reaktion, unter Topiramat ein Suizidversuch berichtet (vgl. a-t 2008; 39: 24).3 Der deutliche Plazeboeffekt ist auch aus anderen Kopfschmerzstudien bekannt, ebenso ein allenfalls geringfügiger Nutzen einer medikamentösen Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen.4 Amitriptylin ist hierzulande nicht zur Vorbeugung von Migräneanfällen zugelassen, Topiramat nur bei Erwachsenen. Dennoch betont eine hiesige Leitlinie5 den Nutzen von Topiramat zur Migräneprophylaxe bei Kindern - unseres Erachtens auf der Basis zweifelhafter Evidenz. Wir raten wegen negativer Nutzen-Schaden-Bilanz von Amitriptylin und Topiramat zur Vorbeugung von Migräneattacken bei Kindern und Jugendlichen ab. Nichtmedikamentöse Maßnahmen sollten hier im Vordergrund stehen (vgl. a-t 2000; 31: 19-21), -Red.

* PedMIDAS = Pediatric Migraine Disability Assessment Scale, Fragebogen mit 6 Items zu schulischen, häuslichen, spielerischen und sozialen Aktivitäten
 (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
R  1 LEWIS, D. et al.: Pediatrics 2009; 123: 924-34
2 FDA: Pressemitteilung vom 28. März 2014; http://www.a-turl.de/?k=ehma
R  3 POWERS, S.W. et al.: N. Engl. J. Med. 2017; 376: 115-24
M  4 EL-CHAMMAS, K. et al.: JAMA Pediatr. 2013; 167: 250-8
5 Deutsche Gesellschaft für Neurologie: S1-Leitlinie - Therapie der Migräne, Stand Sept. 2012; http://www.a-turl.de/?k=elum

© 2017 arznei-telegramm, publiziert am 17. Februar 2017

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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