Der Versuch, Insulin über die Atemluft zu verabreichen, ist bereits kurz nach der Entdeckung des Hormons unternommen,1 wegen
schlechter Absorption aber wieder aufgegeben worden. Obwohl mit der Entwicklung von nahezu schmerzfreien Injektionsmethoden das Problem der "Angst vor
der Nadel" kaum noch besteht, gab es auch in den letzten Jahren Phase-1-Studien zu inhalativem Insulin mit und ohne Hilfsstoffe, die seine Aufnahme ins Blut
verstärken. Nun werden erstmals zwei klinische Studien zur blutzuckersenkenden Wirksamkeit des inhalativen Insulins publiziert.2,3
In einer unkontrollierten dreimonatigen Studie erhalten 26 Patienten mit Typ-2-Diabetes inhalatives Insulin vor den Mahlzeiten und subkutan gespritztes
Verzögerungsinsulin vor dem Schlafen. Der HbA1c-Wert sinkt von 8,7% auf 8,0%. Leichte Unterzuckerungen treten bei 69% der Patienten auf, im Durchschnitt
0,83 Episoden pro Monat.2 Fälschlicherweise wird die vom Hersteller Pfizer gesponserte Studie in der Zusammenfassung als "randomisiert"
bezeichnet. Noch unredlicher ist aber: Die Autoren verschweigen, dass die Studie ursprünglich als kontrollierter Vergleich gegen konventionelle Insulintherapie
durchgeführt wurde.4 Nachdem die Kontrollgruppe mit subkutan gespritztem Insulin relativ besser abschneidet als die Studiengruppe mit inhalativem
Insulin - bei deutlich niedrigerem Ausgangswert (7,8%) sinkt der HbA1c hier ebenfalls um 0,7% -, hat man sie in der Publikation2 kurzerhand weggelassen,
was an wissenschaftlichen Betrug grenzt.
An der zweiten ebenfalls von Pfizer gesponserten dreimonatigen Studie3 nehmen 72 Patienten mit Typ-1-Diabetes teil. Während das inhalative Insulin
im Rahmen einer intensivierten Therapie verwendet wird, behalten die Patienten der Kontrollgruppe mit Insulin subkutan ihr bisheriges Schema bei, bei einem Teil
offensichtlich ein konventionelles mit zwei bis drei Injektionen pro Tag. Trotz suboptimaler Therapie sinkt auch hier das HbA1c in der Kontrollgruppe etwas
stärker (von eingangs jeweils 8,5% auf 7,7% vs. 7,9%). Die Patienten sind mit dem inhalativen Insulin angeblich zufriedener. Dies kann als Ergebnis eines nicht
validierten Fragebogens im Rahmen einer offenen Hersteller-Studie kaum überraschen.5 Die Autoren verschleiern den hohen Bedarf an inhalativem
Insulin, indem sie als Äquivalenzdosis in I.E. nur den Teil angeben, der (bei geringer Bioverfügbarkeit) tatsächlich im Blut ankommt: "Die
durchschnittliche Tagesdosis war 12,2 mg inhaliertes Insulin äquivalent mit 36,6 Einheiten subkutanes Insulin bei 10%iger
Bioverfügbarkeit"3. Im Klartext: Es werden rund 350 I.E./Tag benötigt.
Inhalatives Insulin scheint demnach den Blutzucker schlechter zu senken als subkutan gespritztes. Von vorrangiger Bedeutung sind aber fehlende
Sicherheitsnachweise für das eingeatmete Insulin. Seine Langzeitwirkung in der Lunge ist unbekannt, ebenso wie die der inhalierten Begleitsubstanzen
Mannitol, Glycin und Natriumzitrat. Klinische Daten zur Veränderung der Lungenfunktion unter inhalativem Insulin liegen bisher nur als Kongressbericht
vor.6 Diese zweijährige Studie kann aber auf Grund ihres Designs selbst kurzfristige pulmotoxische Effekte nicht zuverlässig ausschließen.
Wie häufig Lungenfibrosen oder maligne Veränderungen bei langjähriger Anwendung zu erwarten sind, ist unklar. Angesichts offensichtlicher
Datenmanipulationen sowie eines zum Vorteil des inhalativen Insulins eingerichteten Studiendesigns in den publizierten Studien stellt sich die Frage, ob die
Durchführung der Sicherheitsuntersuchungen den Pharmafirmen überlassen werden darf.
Die Markteinführung des inhalativen Insulins ist in zwei bis drei Jahren vorgesehen. Derzeit kostet eine Einheit Humaninsulin etwa 7 Pfennig. Bei einem
durchschnittlichen Tagesbedarf von 18 Einheiten für einen Patienten mit Typ-2-Diabetes kostet subkutan gespritztes humanes Altinsulin monatlich etwa 38 DM.
Für die vergleichbare Wirkung des inhalativen Insulins werden etwa 350 Einheiten pro Tag benötigt, was einem Monatspreis von 735 DM entsprechen
würde. Wir dürfen gespannt sein, ob (und mit welcher Begründung) Pfizer inhalatives Insulin billiger anbieten wird.
FAZIT: Nach ersten Therapiestudien scheint inhalatives Insulin schwächer blutzuckersenkend zu wirken als subkutan gespritztes. Daten wurden
offensichtlich zum Vorteil des Prüfpräparates manipuliert. Welches Sicherheitsrisiko zukünftige Anwender eingehen, lässt sich bisher nicht
absehen. Sollte das schlecht bioverfügbare inhalative Insulin pro Einheit so viel kosten wie injiziertes, würde die Therapie unbezahlbar.
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