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Korrespondenz

DRONABINOL ZUR SCHMERZTHERAPIE UND APPETITSTIMULATION?

Ist Ihnen die Anwendung von Tetrahydrocannabinol bei Schmerzen im Rahmen neurologischer Erkrankungen bekannt? Welche Erfahrungen gibt es zu Wirkstärke, Nebenwirkungen, Verträglichkeit usw.? ...

P. RISEL (Apotheker)
D-31860 Emmerthal
Interessenkonflikt: keiner

Ein großes ungelöstes Problem bei Tumorkachexie ist die weitgehende therapeutische Machtlosigkeit... Wie beurteilen Sie die Wirksamkeit von Dronabinol bei Appetitlosigkeit im Zusammenhang mit Tumorkachexie?

R. ARBOGAST (Apotheker)
D-76199 Karlsruhe
Interessenkonflikt: keiner

Seit Februar 1998 ist Dronabinol (Δ9-Tetrahydrocannabinol, Delta-9-THC oder THC), der Hauptwirkstoff der Cannabispflanze, auch in Deutschland verkehrs- und verschreibungsfähig. Ein zugelassenes Fertigarzneimittel mit Dronabinol gibt es hierzulande jedoch nicht, mithin auch keine zugelassenen Indikationen und keine offizielle Produktinformation. Dronabinol wird nur als Rezeptursubstanz angeboten. Es kann auf Betäubungsmittelrezept verordnet werden. Cave: Die Verantwortung für Indikation, Dosierung und Produktinformation trägt allein der Arzt. Im Schadensfall haftet er. In den USA ist Dronabinol (MARINOL, Import möglich) als Antiemetikum bei Chemotherapie und zur Appetitsteigerung bei AIDS zugelassen.1

Cannabisprodukten wird eine Vielzahl von therapeutischen Effekten nachgesagt. In klinischen Studien ist vorrangig die Wirksamkeit bei Schmerzen, Erbrechen sowie bei Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust untersucht worden. Autoren einer 2001 veröffentlichten systematischen Übersicht randomisierter kontrollierter Studien mit insgesamt 222 Patienten beurteilen den Nutzen von Cannabinoiden, darunter Dronabinol, bei Schmerzen als nicht besser als den von Kodein (CODI OPT u.a.). Sie halten die Anwendung in der klinischen Praxis wegen der häufigen Störwirkungen und angesichts der verfügbaren wirksameren und besser verträglichen Alternativen nicht für sinnvoll.2 Nur zwei der in diesen Studien untersuchten Patienten leiden unter chronischen nichtmalignen Schmerzen, einer der beiden unter schmerzhaften spastischen Beschwerden. Bei diesem Patienten sollen 5 mg Dronabinol pro Tag in einer so genannten n-of-1-Studie (eine Person nimmt abwechselnd hintereinander für bestimmte Zeit verblindet die zu vergleichenden Mittel ein) die Spastik besser beeinflusst haben als Plazebo oder einmal täglich 50 mg Kodein.3

Zum Nutzen von Dronabinol bei spastischen Beschwerden finden wir zwei weitere randomisierte plazebokontrollierte Studien. In einem sechswöchigen Vergleich mit 13 Multiple-Sklerose (MS)-Patienten wird eine signifikante Linderung der Spastik unter einer Tagesdosis von 7,5 mg von den Patienten, nicht jedoch von den Prüfärzten angegeben. In die Auswertung gehen nur 8 (62%) der initial aufgenommenen Teilnehmer ein. Nach Studienende wünscht die Mehrzahl der Patienten keine Behandlung mit dem Cannabinoid.4 In einer systematischen Übersicht zur antispastischen Therapie bei MS wird diese Studie wegen zu kurzer Dauer nicht berücksichtigt.5 Nach Ergebnissen einer Cross-over-Studie reduzieren zweimal täglich 2,5 mg bzw. 5 mg Dronabinol oder ein Cannabisextrakt, eingenommen über jeweils vier Wochen, bei 16 Patienten mit MS spastische Symptome nicht besser als Plazebo.6

Die US-amerikanische Zulassung von Dronabinol zur Appetitstimulation bei AIDS beruht auf einer Studie mit 139 Patienten. Dronabinol steigert den Appetit stärker als Plazebo, führt im Verlauf von sechs Wochen jedoch nicht zur Gewichtszunahme.1 Eine Wirksamkeit zur Appetitstimulation bei Krebserkrankungen ist nicht nachgewiesen. Plazebokontrollierte Untersuchungen fehlen. In der einzigen veröffentlichten randomisierten Studie nehmen 469 Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung einmal pro Tag das Gestagen Megestrolazetat (MEGESTAT, 800 mg, in USA als Suspension zur Appetitstimulation bei AIDS zugelassen), zweimal täglich 2,5 mg Dronabinol oder eine Kombination der beiden Arzneimittel ein. Das Cannabinoid wirkt als Monotherapie signifikant schlechter und in der Kombination nicht besser als Megestrolazetat allein.7

Bis zu 38% der Patienten beschreiben zentralnervöse Effekte wie Euphorie, Somnolenz, Schwindel, Angst, Verwirrtheit u.a.8 Ataxie, Halluzinationen und Denkstörungen sowie Tachykardie, Herzklopfen und Sehstörungen kommen bei mehr als 1% der Patienten vor, gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen bei 3% bis 10%.1

 Ein relevanter Nutzen von Dronabinol bei Schmerzen oder Spastik im Rahmen neurologischer Erkrankungen oder als Appetitstimulans bei Tumorkachexie ist nicht hinreichend belegt, -Red.

© 2003 arznei-telegramm

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