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Therapiekritik

ANTIBIOTIKA-PROPHYLAXE BEI CHEMOTHERAPIE-INDUZIERTER NEUTROPENIE

Bakterielle Infektionen sind gefürchtete Komplikationen bei Neutropenien im Rahmen chemotherapeutischer Behandlungen maligner Erkrankungen. Der Nutzen einer Antibiotikaprophylaxe zur Minderung der Infektionsrate wird seit Jahren kontrovers beurteilt und scheint von der Art der malignen Erkrankung sowie von Ausmaß und Dauer der Neutropenie abzuhängen. Wegen begrenzter Effektivität, möglicher Störwirkungen und der Gefahr von Resistenzentwicklung wird in Leitlinien von einer generellen Prophylaxe abgeraten.1,2

Jetzt werden die Ergebnisse zweier methodisch valide durchgeführter randomisierter, doppelblinder plazebokontrollierter Studien mit Levofloxacin (TAVANIC) aus Großbritannien und Italien mitgeteilt. Es sind die bisher größten zu dieser Fragestellung durchgeführten Untersuchungen. In die britische Studie3 werden 1.565 Patienten mit soliden Tumoren (Mammakarzinom 35%; Lungenkarzinom 23%; Hodentumor 14%) und Lymphomen (13%) eingeschlossen. Die im Median 55 Jahre alten Patient(innen)en erhalten gängige Zytostatikaregime mit bekanntem Risiko für Neutropenien, davon 44% als adjuvante Chemotherapie. Beginnend mit der Neutropeniephase erhalten sie sieben Tage lang täglich 500 mg Levofloxacin oder Scheinmedikament.

Mindestens eine febrile Episode (primärer Endpunkt) tritt unter Levofloxacin während aller Chemotherapie-Zyklen bei 10,8% der Patienten auf gegenüber 15,2% unter Plazebo (absolute Risikoreduktion [ARR] 4,4%, p = 0,01). Somit müssen gut 20 Patienten behandelt werden, um bei einem febrile Episoden zu verhindern (Number needed to treat [NNT]); bezogen auf einen Behandlungszyklus sind es sogar 70 Patienten. Wahrscheinliche Infektionen, klinisch diagnostiziert anhand von sehr unscharf definierten Infektzeichen wie fokalen Symptomen, Tachykardie, Hypothermie und Antibiotikagebrauch (34,2% vs. 41,5%; p = 0,004) und stationäre Aufnahmen wegen Infektionen (15,7% vs. 21,6%; p = 0,004) nehmen unter Levofloxacin ebenfalls ab. Schwere und/oder tödlich verlaufende Infektionen bleiben dagegen unbeeinflusst (1% vs. 2%; p = 0,15). Exantheme und gastrointestinale Störwirkungen sind unter dem Antibiotikum numerisch häufiger.

In die italienische Studie4 werden 760 im Mittel 48 Jahre alte Patienten aufgenommen, stratifiziert nach akuten Leukämien (49%) bzw. soliden Tumoren und Lymphomen (51%). Nahezu 90% der Patienten mit Lymphom oder solidem Tumor erhalten Stammzell-Transplantationen und somit eine intensive Chemotherapie mit einem im Vergleich zur britischen Studie höheren Risiko für Neutropenien. Die Patienten erhalten schon mit Beginn der Chemotherapie täglich 500 mg Levofloxacin oder Plazebo. Die Prophylaxe wird bis zum Ende der Neutropenie 15 (Lymphom-Gruppe) bzw. 26 Tage lang (Leukämie- Gruppe) fortgesetzt.

Febrile Episoden (primärer Endpunkt) treten unter Levofloxacin bei 65% und unter Plazebo bei 85% der Patienten auf (ARR 20%; 95% Konfidenzintervall [CI] 14 -26; NNT = 5). Der Effekt ist in der Leukämie- und der Lymphom-Gruppe nahezu identisch. Auch mikrobiologisch dokumentierte Infektionen nehmen unter Levofloxacin ab (22% vs. 39%, ARR 17%; 95% CI 10-24, NNT = 6), während klinisch dokumentierte Infektionen (9% vs. 10%) und Fieber unklarer Ursache (34% vs. 37%) unbeeinflusst bleiben. Die Ergebnisse für die Subgruppen weichen nur unwesentlich von denen im Gesamtkollektiv ab. Die Mortalität wird weder in der gesamten Studie (3% vs. 5%, p = 0,15) noch in den Subgruppen vermindert. Unter Antibiotikaprophylaxe entwickeln sich bei gram-negativen (77% vs. 17%) wie auch bei gram-positiven Keimen (91% vs. 64%) häufiger als unter Plazebo Resistenzen gegen Levofloxacin.

 In zwei großen randomisierten plazebokontrollierten Studien senkt eine Antibiotikaprophylaxe bei Chemotherapie-induzierter Neutropenie die Rate fieberhafter Episoden. Die klinische Relevanz dieses Befundes ist jedoch fraglich.

 Die Reduktion der Infektionsrate lässt einen gewissen klinischen Nutzen erkennen bei allerdings weichen Diagnosekriterien in der britischen Studie. Die Mortalität wird nicht beeinflusst.

 Der Nutzen ist von der Infektionsrate und damit der Intensität der Chemotherapie abhängig. Wegen beobachteter Resistenzentwicklungen ist es sinnvoll, die Prophylaxe auf lang anhaltende und schwere Neutropenien zu beschränken.

 

 

(R = randomisierte Studie)

 

1

BADEN, L.R.: N. Engl. J. Med. 2005; 353: 1052-4

 

2

HUGHES, W.T. et al.: Clin. Infect. Dis. 2002; 34: 730-51

R

3

CULLEN, M. et al.: N. Engl. J. Med. 2005; 353: 988-98

R

4

BUCANEVE, G. et al.: N. Engl. J. Med. 2005; 353: 977-87

© 2005 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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