ANDROGENE FÜR FRAUEN? | ||||
Seit kurzem ist das Testosteronpflaster INTRINSA für Frauen nach chirurgisch bedingter Menopause mit vermindertem sexuellen Verlangen in Deutschland auf dem Markt. Es wird als niedrig dosiert und pflanzlichen Ursprungs beworben. Das klingt sehr nach Schaffung einer neuen Zielgruppe und eines neuen Marktes... Haben Sie zu diesem Medikament eine Einschätzung? C. BURGERT (Feministisches Frauen Gesundheits Zentrum e.V.) | ||||
Das seit Februar 2007 erhältliche Testosteronpflaster INTRINSA ist
für Frauen zugelassen, die nach Entfernung beider Eierstöcke und der Gebärmutter an vermindertem sexuellen Verlangen (HSDD*) leiden. Es darf
nur gleichzeitig mit Östrogenen angewendet werden, wobei für diese die niedrigste wirksame Dosis und die kürzest mögliche Behandlungsdauer
zu wählen sind.1 Nach Ovarektomie können die Testosteronspiegel innerhalb kurzer Zeit um etwa 50% sinken.2 Zudem sollen nach
Untersuchungen des Anbieters Procter & Gamble je nach Alter 38% bis 46% der Betroffenen über vermindertes sexuelles Interesse berichten.3 Eine
Korrelation von Androgenkonzentrationen und Libido ist jedoch nicht belegt.4 Der Testosteronspiegel allein hat weder einen positiven Vorhersagewert bei
der Diagnose einer HSDD noch eignet er sich zur Einschätzung des Schweregrades.5
EIGENSCHAFTEN: Jedes Pflaster enthält 8,4 mg Testosteron und setzt in 24 Stunden 300 µg frei. Es wird alle drei bis vier
Tage gewechselt, wobei jeweils eine andere Applikationsstelle im Bereich des unteren Abdomens unterhalb der Taille zu wählen ist. Der Hautbereich soll nicht
von enger Kleidung bedeckt sein.1 KLINISCHER NUTZEN: An den beiden entscheidenden sechsmonatigen Studien INTIMATE SM 1 und 2** nehmen 562 beziehungsweise 533
ansonsten gesunde Frauen im Alter von 20 bis 70 Jahren (im Mittel 49 Jahre, Partnerschaft seit 18 bis 19 Jahren) teil, denen vor durchschnittlich neun Jahren die
Eierstöcke entfernt wurden. Unter dem Testosteronpflaster steigt die Häufigkeit befriedigender sexueller Aktivitäten (primärer Endpunkt) von
eingangs durchschnittlich 3 Ereignissen/Monat auf etwa 5/Monat im Vergleich zu 4/Monat unter Plazebo.3,8,9 Dieses magere Ergebnis ist zudem fraglich
robust, da 20% und mehr die Studien vorzeitig abbrechen, am häufigsten wegen unerwünschter Effekte und aus nicht näher beschriebenen
Gründen ("freiwilliger Abbruch"). Bei Frauen, die begleitend konjugierte Östrogene einnehmen, sowie bei über 65-Jährigen lässt
sich in Subgruppenanalysen kein Effekt nachweisen.3
STÖRWIRKUNGEN:: Neben sehr häufigen Lokalreaktionen (bei 30%) dominieren erwartungsgemäß androgene Störwirkungen (18%): 9% entwickeln Akne, 7% Hirsutismus, 3,4% Alopezie und 2,3% eine tiefere Stimme. Die Effekte sind bei 27% (Akne), 40% (Alopezie, Stimmvertiefung) bzw. 58% (Hirsutismus) der Betroffenen nicht reversibel.3 Häufig kommen auch Gewichtszunahme (um mindestens 7%: 4,7%) und Migräne (2,3%) vor. Angina pectoris und transitorisch ischämische Attacke sind beschrieben.3 Völlig offen sind die potenziellen Langzeitrisiken des Testosteronpflasters: Befürchtet werden ein erhöhtes Risiko von Brustkrebs und kardiovaskulären Erkrankungen sowie von Endometriumkarzinomen bei - zu erwartendem - Fehlgebrauch des Pflasters von Frauen mit Uterus.3,5 Im Tierversuch fördert Testosteron in hoher Dosierung das Wachstum von Tumoren in Geschlechtsorganen, Brustdrüse und Leber.1 Prospektive Beobachtungsstudien weisen auf eine positive Korrelation von endogenen Androgenkonzentrationen und Brustkrebsrisiko hin.10 In einer großen prospektiven Kohortenstudie haben Frauen mit natürlicher Menopause, die Östrogene plus Testosteron anwenden, ein zweieinhalbmal größeres Risiko, ein invasives Mammakarzinom zu entwickeln als Frauen, die nie Hormone verwendet haben. Die Gefährdung ist signifikant höher als unter alleinigem Gebrauch von Östrogenen und unterscheidet sich kaum von der einer Östrogen-Gestagen-Kombination.11 In klinischen Studien wird bei 2 Frauen nach 5- bzw. 29-wöchiger Anwendung von INTRINSA ein Mammakarzinom diagnostiziert.3 In Studien mit Frauen mit intaktem Uterus lässt sich bei 2 (0,9%) von 226 Teilnehmerinnen eine Endometriumhyperplasie nachweisen.3 Die EMEA zeigt sich zwar "besorgt" angesichts der "begrenzten" Daten.3 Sie gibt sich aber damit zufrieden, dass die potenziellen Risiken nach Markteinführung untersucht werden. Dagegen hat ein Beraterkomitee der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA 2004 eine Zulassung einstimmig abgelehnt und sowohl die vorgelegten Daten als auch die geplanten Postmarketingstudien als inadäquat für die Beurteilung der langfristigen Sicherheit des Pflasters eingestuft.12 Die Experten wie auch FDA-Mitarbeiter erinnern an die Hormonsubstitution mit Östrogenen und Gestagenen, deren Risiken erst nach jahrzehntelanger breiter Anwendung mit Publikation der WHI-Studie definitiv bekannt wurden, und folgern, dass Kurzzeitstudien und unkontrollierte Untersuchungen für die Einschätzung der Gefährdung nicht ausreichen.5,12 Zudem dürfte der zu erwartende langfristige Gebrauch von transdermalem Testosteron eine - nicht erwünschte - verlängerte Anwendung von Östrogenen fördern.5 Das Testosteronpflaster INTRINSA erhöht bei Frauen mit chirurgisch bedingter Menopause und geringem sexuellen Verlangen, die gleichzeitig Östrogene anwenden, die Zahl sexuell befriedigender Ereignisse von durchschnittlich 3 pro Monat auf 5, Plazebo auf 4. Dem dürftigen Nutzen stehen häufig irreversible androgene Effekte wie Hirsutismus und Alopezie gegenüber. Die Langzeitsicherheit ist ungeklärt: Befürchtet wird vor allem ein erhöhtes Risiko von Brustkrebs, Endometriumkrebs (bei zu erwartendem Off-Label-Use von Frauen mit Uterus) und kardiovaskulären Erkrankungen. Wir raten von der Anwendung des unzureichend geprüften, schwach wirksamen und potenziell riskanten Lifestyle-Arzneimittels ab. |
| (R= randomisierte Studie) | |
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1 |
Procter & Gamble: Fachinformation INTRINSA, Stand Aug. 2006 |
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2 |
Revue Prescrire 2007; 27: 409-1 bis 409-3 |
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3 |
EMEA: Europ. Bewertungsbericht INTRINSA, Stand Sept. 2006 zu finden unter: http://www.emea.europa.eu/htms/human/epar/i.htm |
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4 |
BASSON, R.: N. Engl. J. Med. 2006; 354: 1497-506 |
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5 |
FDA: Medical review INTRINSA, Nov. 2004; zu finden unter: http://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/04/briefing/2004- 4082b1.htm |
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6 |
Ärzte Ztg. vom 25. März 2004 |
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7 |
Gemeinsamer Bundesausschuss: Dt. Ärztebl. 2007; 104: C-1969 |
R |
8 |
SIMON, J. et al.: J. Clin. Endocrinol. Metab. 2005; 90: 5226-33 |
R |
9 |
BUSTER, J.E. et al.: Obstet. Gynecol. 2005; 105: 944-52 |
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10 |
KEY, T. et al.: J. Natl. Cancer Inst. 2002; 94: 606-16 |
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11 |
TAMINI, R.M. et al.: Arch. Intern. Med. 2006; 166: 1483-9 |
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12 |
Advisory Committee for Reproductive Health Drugs, 2. Dez. 2004 http://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/04/transcripts/2004-4082T1.pdf |
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