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COVID-19: WAS IST ZUM NUTZEN VON CHLOROQUIN UND HYDROXYCHLOROQUIN BEKANNT?

Am 17. Februar 2020 gab die chinesische Staatsregierung in einer Pressekonferenz bekannt, dass das Malariamittel Chloroquin (nur noch als Import: RESOCHINA von Beragena u.a., derzeit jedoch alle nicht lieferbar) in mehreren klinischen Studien bei Lungenentzündungen, die mit COVID-19 assoziiert sind, eine gute Wirksamkeit und akzeptable Verträglichkeit gezeigt habe. Erwähnt werden Daten von mehr als 100 Patienten, die auf eine Überlegenheit von Chloroquin gegenüber einer – nicht näher beschriebenen – Kontrolltherapie im Hinblick auf Fortschreiten der Pneumonie, Verbesserung radiologischer Befunde und Verkürzung des Krankheitsverlaufs weisen sollen.1 Veröffentlicht sind diese Studien bislang nicht.

Aus In-vitro-Untersuchungen ist schon länger bekannt, dass Chloroquin die Replikation verschiedener Coronaviren einschließlich des SARS*-Virus hemmt.2 Inzwischen wurde dies auch für das neue SARS-CoV-2 nachgewiesen.3 Das mit Chloroquin eng verwandte Hydroxychloroquin (QUENSYL, Generika) hemmt in der Zellkultur ebenfalls die Vermehrung von SARS-CoV-2, wobei der Effekt im Vergleich zu Chloroquin in einer Untersuchung4 stärker und in einer weiteren5 schwächer ausgeprägt zu sein scheint. Klinische Wirksamkeit lässt sich aus solchen Daten allerdings nicht ableiten, unter anderem weil sie keine Rückschlüsse auf die im Gewebe erzielten Wirkstoffkonzentrationen erlauben, die für einen therapeutischen Effekt entscheidend sind.6

Französische Forscher haben jetzt eine klinische Studie7 vorveröffentlicht, in der sie erste Daten zum Effekt von Hydroxychloroquin auf SARS-CoV-2 beschreiben. Sie haben dabei allerdings weder ein randomisiertes Design noch einen klinischen Endpunkt gewählt, sondern untersuchen primär den Anteil der Patienten, bei denen sechs Tage nach Studieneinschluss im Rachenabstrich kein Virus mehr nachweisbar ist. Insgesamt 42 Patienten ab zwölf Jahren mit positivem nasopharyngealen PCR-Test nehmen teil, unabhängig von ihrem klinischen Status. 26 Patienten der eigenen Klinik erhalten zehn Tage lang dreimal täglich 200 mg Hydroxychloroquin. Von den 26 scheiden 6 Patienten vorzeitig aus, unter anderem weil sie auf die Intensivstation verlegt werden (n = 3) oder sterben (n = 1), sie werden von der Analyse ausgeschlossen. Die 16 Teilnehmer der Kontrollgruppe stammen entweder aus der gleichen Klinik und dürfen Hydroxychloroquin wegen Kontraindikationen nicht einnehmen oder lehnen dies ab, oder sie kommen aus anderen Krankenhäusern. Alle Studienteilnehmer erhalten eine symptomatische Therapie und ggf. Antibiotika zur Prophylaxe bakterieller Superinfektionen nach klinischer Einschätzung der Prüfärzte. Details dazu werden nicht beschrieben.7

Zwischen den beiden Gruppen fallen erhebliche Unterschiede auf: Die Patienten der Verumgruppe sind deutlich älter (im Mittel 51,2 Jahre versus 37,3 Jahre, p = 0,06), weisen bei Studienbeginn häufiger eine Beteiligung der tiefen Atemwege auf (6 [30%] vs. 2 [12,5%]) und sind eingangs seltener asymptomatisch (2 [10%] vs. 4 [25%]).7 Nach Einschätzung des Virologen und Corona-Experten Christian DROSTEN legen diese Daten nahe, dass sich die Kriterien für eine stationäre Aufnahme in den Krankenhäusern unterschieden haben dürften und dass der Krankheitsverlauf bei den Patienten der Hydroxychloroquin-Gruppe bei Studieneinschluss wahrscheinlich weiter fortgeschritten war.6 Das Ergebnis, dass an Tag 6 unter Hydroxychloroquin der Anteil der Patienten ohne Virusnachweis im Rachenraum größer ist als in der Kontrollgruppe (70% vs. 12,5%),7** spiegelt seiner Ansicht nach daher lediglich den natürlichen Verlauf der Infektion wider:6 Zu Beginn – etwa während der ersten zehn Tage – ist SARS-CoV-2 im Rachen nachweisbar. Danach findet sich das Virus dort nur noch unregelmäßig.6,8 Mit dem klinischen Verlauf von COVID-19 hat dies jedoch nichts zu tun. In der Lunge vermehrt sich das Virus vor allem bei schwerer Erkrankung zu diesem Zeitpunkt weiterhin.6

Kaum bekannt scheint zudem zu sein, dass in einer kleinen chinesischen – randomisierten – Studie9 mit 30 Patienten für Hydroxychloroquin (400 mg/Tag über 5 Tage) gegenüber üblicher Therapie allein weder ein signifikanter Vorteil hinsichtlich der Viruselimination im Rachen (primärer Endpunkt; 87% vs. 93%) noch verschiedener klinischer Parameter einschließlich der Zeit bis zur klinischen Besserung nachweisbar ist.9,10

Obwohl ein klinischer Nutzen von Hydroxychloroquin derzeit also nicht belegt ist, wird das Mittel offenbar verbreitet off label bei COVID-19 eingesetzt: Rheumatologen beklagen bereits, dass die bei Kollagenosen wie Lupus erythematodes unverzichtbare Substanz kaum noch lieferbar sei.11 Nach Auskunft einer von uns befragten Apotheke ist Hydroxychloroquin aktuell nur noch von Aristo erhältlich. In Australien wurde die Neuverordnung daher jetzt eingeschränkt. Die australische Arzneimittelbehörde weist zudem ausdrücklich darauf hin, dass Hydroxychloroquin aufgrund der begrenzten Daten bei COVID-19 und erheblicher potenzieller Schadwirkungen wie Kardiotoxizität und irreversiblen Sehstörungen außerhalb zugelassener Indikationen derzeit nur in klinischen Studien oder – bei schwer erkrankten Patienten – unter stationären Bedingungen angewendet werden soll.12

Die vermeintlich positiven Daten werden auch auf Chloroquin übertragen, dessen Produktion die Firma Bayer eigentlich Ende 2019 eingestellt hatte. Inzwischen wurde sie wieder hochgefahren.13 Neben Deutschland, das laut Bundesgesundheitsminister Jens SPAHN „bereits größere Mengen Chloroquin reserviert“ hat,14 sollen auch die USA „Millionen“ Dosen bestellt haben, so Präsident Donald TRUMP.15

In Deutschland und anderen Ländern sollen Studien zum Nutzen von Chloroquin und Hydroxychloroquin in Kürze beginnen. Auch die WHO, die die mangelnde Qualität bisheriger Studien zu COVID-19-Medikamenten beklagt, will jetzt eine große mehrarmige Studie („SOLIDARITY“) auflegen, in der neben Chloroquin und Hydroxychloroquin das antiviral wirkende Remdesivir sowie die bei HIV verwendete Kombination aus Lopinavir und Ritonavir (KALETRA u.a.) untersucht werden sollen.16 Letztere beeinflusst in einer aktuell publizierten randomisierten Studie mit 199 hospitalisierten, an COVID-19 erkrankten Patienten Krankheitsverlauf und Sterblichkeit gegenüber Standardversorgung allein allerdings nicht signifikant.17

Ein klinischer Nutzen von Chloroquin und Hydroxychloroquin bei Infektionen mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 ist bislang nicht belegt. Beide sollten derzeit zur Therapie von COVID-19 nur im Rahmen klinischer Studien verwendet werden – auch um einer Verknappung des für die Behandlung von Kollagenosen wichtigen Hydroxychloroquin zu begegnen, –Red.

(R = randomisierte Studie)
1GAO, J. et al.: Biosci. Trends 2020; 14: 72-3
2COLSON, P. et al.: Int. J. Antimicrob. Agents, online publ. am 4. März 2020, doi: 10.1016/j.ijantimicag.2020.105932
3WANG, M. et al.: Cell Res. 2020; 30: 269-71
4YAO, X. et al. : Clin. Infect. Dis., online publ. am 9. März 2020; doi: 10.1093/cid/ciaa237
5LIU, J. et al.: Cell Discov., online publ. am 18. März 2020; doi: 10.1038/s41421- 020-0156-0
6DROSTEN, C.: Coronavirusupdate Folge 17. NDR Info vom 19. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=adel
7GAUTRET, P. et al.: Int. J. Antimicrob. Agents, Vorveröffentlichung vom 20. März 2020, doi: 10.1016/j.ijantimicag.2020.105949; http://www.a-turl.de/?k=eezd
8WOELFEL, R. et al.: Virological assessment of hospitalized cases of coronavirus disease 2019. Vorveröffentlichung vom 8. März 2020, doi: 10.1101/2020.03.05.20030502; http://www.a-turl.de/?k=eits
9CHEN, J. et al.: J. Zhejiang Univ. (Med. Sci.), März 2020, doi: 10.3785/j.issn.1008-9292.2020.03.03 (chinesisch, zitiert nach Abstract)
10WHO: R & D Blueprint COVID-19 (Entwurf), Stand 13. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=demi
11JUCHE, A.: Persönliche Mitteilung vom 23. März 2020
12TGA: Sicherheitsinformation vom 24. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=rafl
13MÖTHRATH, C.: Bayer: Neue Chance für RESOCHIN, Apotheke adhoc vom 21. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=oppa
14aerzteblatt.de vom 18. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=rfts
15DENKLER, T.: Süddeutsche Ztg. vom 21. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=osec
16ZINKANT, K.: Süddeutsche Ztg. vom 25. März 2020; Seite 14
R17CAO, B. et al.: N. Engl. J. Med., online publ. am 20. März 2020; DOI: 10.1056/NEJMoa2001282
18T-Online vom 24. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=ltst

*SARS = schweres akutes respiratorisches Syndrom
**Die Autoren heben zudem hervor, dass alle 6 Patienten der Hydroxychloroquin-Gruppe, die zusätzlich das Makrolid Azithromycin (ZITHROMAX, Generika) erhalten haben, virusfrei waren gegenüber 8 von 14 Patienten (57%) unter Hydroxychloroquin allein, und vermuten einen synergistischen Effekt.7 Ein Nutzenbeleg für die Kombination bei COVID-19, für die Donald TRUMP in den USA bereits geworben hat,18 lässt sich aus diesen Daten nicht ableiten.

© 2020 arznei-telegramm, publiziert am 25. März 2020

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