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Nebenwirkungen

RISIKEN DER FREIZEITDROGE LACHGAS

Eine kürzlich erschienene kanadische Übersicht1 macht auf die gesundheitlichen Risiken des als Freizeitdroge verwendeten Distickstoffmonoxids (N2O, Lachgas) aufmerksam. Hierzulande scheint der Missbrauch laut einer Online-Befragung unter deutschen Drogenkonsumenten zuletzt zuzunehmen. 2022 gaben 5% der Befragten an, Lachgas verwendet zu haben. Im aktuellen Quartalsbericht von 2023 liegt die 12-Monats-Prävalenz sogar bei 9,5%.2,3 Repräsentative Daten fehlen jedoch.

Das farblose Gas wird außerhalb des medizinischen Bereichs (Analgesie, Narkose u.a.) legal und erschwinglich online, in Supermärkten oder Kiosken in – eigentlich zum Aufschlagen von Sahne bestimmten – Kartuschen angeboten, aus denen es z.B. auf Partys mit Hilfe von Ballons inhaliert wird. Der dadurch ausgelöste Rauschzustand hält nur wenige Minuten an und wird subjektiv als Euphorie, Entspannung und dissoziativer Effekt beschrieben. Konsumenten schätzen das Gas allgemein als risikoarm ein.4

Die unmittelbaren unerwünschten Wirkungen wie Benommenheit oder Übelkeit sollen normalerweise mild verlaufen und nur von kurzer Dauer sein.1,4 Seit 2017 häufen sich jedoch in der Literatur Berichte über schwere Schäden, darunter akute Folgen wie Erfrierungen im Bereich des Mundes und der Atemwege sowie Lungenschäden durch direkte Inhalation aus der Kartusche, außerdem Unfälle unter Einfluss der Droge und Tod durch Ersticken.4 Bei anhaltendem Missbrauch werden vor allem neurologische Schäden wie subakute kombinierte Degeneration des Rückenmarks und periphere Neuropathie beschrieben. Sie manifestieren sich durch beidseitige Parästhesien oder Taubheit, Muskelschwäche der Extremitäten, Gangstörungen, Hypo- bzw. Hyperreflexie sowie Blasen- und Mastdarmstörungen.1 Im MRT finden sich meist auf zervikaler Ebene in den beiden Hinterhörnern des Rückenmarks T2-Hyperintensitäten.1,4,5 Psychiatrische Symptome können Zeichen einer Enzephalopathie sein.1,4 Auch thromboembolische Ereignisse werden berichtet.6

Der Pathomechanismus der neurologischen Schäden ist nicht vollständig geklärt, jedoch inaktiviert Distickstoffmonoxid im Körper bioaktive Formen von Vitamin B12, das als Coenzym unter anderem an der Synthese von Myelin sowie an der Blutbildung beteiligt ist.1,4 Basierend auf Daten aus Literaturberichten zeigt sich der funktionelle Vitamin-B12-Mangel bei einem Großteil der symptomatischen Patienten laborchemisch am ehesten indirekt durch Zunahme der zu den enzymatischen Reaktionen gehörenden Ausgangsstoffe Methylmalonsäure und Homozystein. Die Serumwerte von Vitamin B12 können dabei durchaus im Normbereich liegen.5,8,9 Makrozytäre Anämie ist aufgetreten.5,8

Ein unbedenkliches Maß des Gebrauchs als Freizeitdroge scheint es nicht zu geben.10 Gemäß den Literaturberichten haben Geschädigte Lachgas zum Teil zwar exzessiv konsumiert mit mehr als 100 Kartuschen am Tag über mehrere Monate bis Jahre.8,10 Bei gelegentlichem Konsum oder medizinischer Verwendung wurden jedoch ebenfalls neurologische Störungen beobachtet.5,7,10 Hinreichende Daten zur Prognose und Behandlung der neurologischen Symptome fehlen. Literaturberichten zufolge tritt eine Verbesserung der Symptome nach konsequentem Lachgasverzicht und Vitamin-B12-Zufuhr oftmals erst verzögert ein, bleibende Schäden sind beschrieben.8,9,10

Während in Großbritannien,11 Dänemark12 und in den Niederlanden13 bereits Verbote zur Eindämmung des Lachgasmissbrauchs eingeführt wurden, sind in Deutschland aktuell keine einschränkenden Regelungen in Sicht, –Red.

1De HALLEUX, C., JUURLINK, D.N.: CMAJ 2023; 195: E1075-81
2BERGMANN, H. et al.: NEWS: Substanzkonsum in deutschen Partyszenen 2022; https://a-turl.de/r6b2
3JFT: NEWS Quartalsbericht 03/2023; https://a-turl.de/3ew9
4European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction: Recreational use of nitrous oxide: a growing concern for Europe, Publications Office of the European Union 2022; https://a-turl.de/sdyj
5OUSSALAH, A. et al.: J. Clin. Med. 2019; 8: 551 (18 Seiten)
6OULKADI, S.: J. Thromb. Thrombolysis 2022; 54: 686-95
7PATEL, K.K. et al.: Clin. Neurol. Neurosurg. 2018; 173: 163-8
8MARSDEN, P. et al.: Emerg. Med. Australas. 2022; 34: 492-503
9YU, M. et al.: Brain Behav. 2022; 12: e2533 (10 Seiten)
10LARGEAU, B. et al.: Eur. J. Neurol. 2022; 10: 2173-80
11GOV.UK: News Story vom 18. Okt. 2023; https://a-turl.de/nru2
12Sikkerhedsstyrelsen: Pressemitteilung vom 30. Juni 2023; https://a-turl.de/m73s
13Rijksoverheid: Pressemitteilung vom 14. Nov. 2022; https://a-turl.de/w5sp

© 2023 arznei-telegramm, publiziert am 17. November 2023

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