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Im Blickpunkt

MEDIKAMENTÖSE BEHANDLUNG
DER BENIGNEN PROSTATAHYPERPLASIE

Die benigne Prostatahyperplasie (BPH, Prostataadenom) ist eine Erkrankung des Alters. Ihre Häufigkeit nimmt von 30% im 7. Lebensjahrzehnt auf 100% in der 10. Dekade zu.1 Oft werden obstruktive Symptome wie Abschwächung des Harnstrahls, langsamer Miktionsbeginn und terminales Nachträufeln von irritativen Erscheinungen wie vermehrtem und nächtlichem Harndrang, "Restharngefühl" und "Druck über der Blase" begleitet.2 Sie sind Ausdruck des Stadiums 1 der BPH mit beginnender kompensatorischer Detrusorhyperaktivität. Im Stadium 2 versagt die Kompensation des Detrusors und führt zu Entleerungsstörungen, Restharnbildung, Wanddehnung und Volumenzunahme.

Die Ursachen der BPH sind weitgehend ungeklärt. Somit fehlt ein kausales Behandlungskonzept. Die Verwendung von Prostatamitteln geht auf Hypothesen zurück, nach denen verschiedene Faktoren an der Entstehung der BPH beteiligt sind. Ihre "Vielzahl läßt die deutliche Unsicherheit über 'das Medikament der Wahl' erkennen".3

Die BPH verläuft nicht zwangsläufig progressiv, sondern fluktuierend, mit spontanen Besserungen und stabilen Zeitabschnitten. Symptome, die durch moderne urodynamische Untersuchungen (Druck-/Flußmessungen) objektivierbar sind, gehen mit schwer zu verifizierenden, subjektiv geprägten, irritativen Beschwerden ("Prostatismus") einher. Nur selten werden diese in Arzneimittelstudien durch klar definierte "Score-Systeme" erfaßt. Von einem Plazeboeffekt von 40% bis 60% ist auszugehen. Schließlich hofft der Patient, durch Einnahme der Prostatamittel einem operativen Eingriff zu entgehen.

Die amerikanische Food and Drug Administration hat im Sommer 1990 den Verkauf sämtlicher OTC*-Präparate zur Behandlung der BPH verboten, da deren Effekte klinisch nicht relevant sind.4 Nach Ansicht der FDA wiegen rezeptfrei erhältliche Phytopharmaka den Patienten in falscher Sicherheit und verzögern die Abklärung der Notwendigkeit einer Operation.

* OTC = over the counter; ohne Rezept erhältlich

ALPHA-REZEPTOREN-BLOCKER:1,2 Alpha-adrenerge Rezeptoren finden sich in Prostata, Kapsel und am Blasenhals. 40% des urethralen Widerstands bei BPH sollen auf vermehrtem alpha-adrenergen Tonus im Bereich der prostatischen Harnröhre beruhen. Das Konzept der Blockierung alpha-adrenerger Rezeptoren wäre daher plausibel. Bei ausgeprägter, vorwiegend mechanisch-obstruktiver BPH dürften Alphablocker jedoch von begrenztem Wert sein, da kein Einfluß auf die Prostatagröße zu erwarten ist.

Täglich 10 - 20 mg Phenoxybenzamin (DIBENZYRAN) mindern in einigen Studien BPH-assoziierte Symptome, verursachen jedoch häufig schwerwiegende Störwirkungen (30% bis 46%) wie Blutdruckabfall, Reflextachykardie, "verstopfte Nase", retrograde Ejakulation. Zudem wirkt Phenoxybenzamin im Tierversuch karzinogen (vgl. a-t 10 [1989], 91). Der selektivere Alphablocker Prazosin (MINIPRESS u.a.) ist wahrscheinlich besser verträglich, aber zur Behandlung der BPH wenig erprobt. Prazosin und ähnliche Stoffe eignen sich möglicherweise zur kurzfristigen Linderung der Symptome von Operationskandidaten oder für Patienten, für die eine Operation nicht in Frage kommt.1

PHYTOTHERAPIE: Die gängigen Prostatamittel enthalten überwiegend Pflanzenextrakte. Die meisten Verordnungen entfielen 1990 auf das β-Sitosterin HARZOL (870.000 Verordnungen), den Brennesselextrakt BAZOTON (810.000) und die Kombination aus ß-Sitosterin, Echinaceaextrakt und Vitaminen AZUPROSTAT (740.000).5 Extrakte aus Kürbissamen (z.B. in PROSTA FINK) und Sägepalme (z.B. PROSTAGUTT MONO, STROGEN FORTE, TALSO UNO) sind zunehmend in Einstoffpräparaten gegen BPH enthalten.

Der postulierte günstige Effekt der Phytoextrakte auf die BPH wird oft auf deren Gehalt an Phytosterinen, insbesondere an ß-Sitosterin zurückgeführt. Die dem Cholesterin nahestehende Substanz soll entweder die prostatische Prostaglandinsynthese hemmen und so dekongestiv und entzündungshemmend wirken oder Cholesterin-bindende Effekte entfalten. Phytosterine werden jedoch schlecht absorbiert, und die zur Lipidsenkung üblichen Dosen liegen 100fach höher. Zudem enthält eine gemischte Vollkost bereits 175 - 200 mg Sitosterine täglich (empfohlene Dosis bei BPH: 30 - 60 mg/Tag).2

Die Effekte von Brennesselextrakten sollen auf einer Reduktion des Sexualhormon-bindenden Globulins (SHBG) beruhen. Steigende SHBG- Konzentrationen finden sich jedoch bei Männern mit oder ohne BPH.2

PROSTATAMITTEL IN DER WERBUNG

Betasitosterin: "Bei konsequenter Behandlung Besserung nach 4 Wochen ... Völlige Nebenwirkungsfreiheit" (HARZOL) "Fortschritt bei Prostataadenom" (AZUPROSTAT)
Brennesselwurzelextrakt: "Wachstumshemmender Effekt auf die Prostata, wirkt antiphlogistisch und immunsuppressiv ... 97%ige Verträglichkeit" " Die Wirkung von BAZOTON an der Prostata

  • Reduktion des Prostata-Volumens durch Senkung der SHBG-Bindung für Testosteron und Reduktion des Östrogenspiegels
  • Verbesserung der Symptomatik wie Nykturie, Restharn und Harnfluß..."(BAZOTON)
Extrakt aus verschiedenen Pflanzen: "Zur dankbaren Prostatatherapie. Nach Verabreichung des Medikaments wird die Anwendung eines Katheters häufig überflüssig" (PROSTA FINK) "Ein strahlender Erfolg bei Prostatitis, Urethritis, Prostatahypertrophie" (PROSTAFORTON)
Roggenpollenextrakt: "Pollen für die Prostata. Der Naturstoff mit der Doppelwirkung: antiandrogen und antiphlogistisch" (CERNILTON)
Sägepalmenextrakt: "Spezifische Hemmung der 5-alpha-Reduktase" (TALSO UNO), "STROGEN FORTE – das pflanzliche Antiandrogen".


GUTARTIGE PROSTATAHYPERPLASIE –
KAUM KLINISCHE DATEN,
ABER EINE FÜLLE VON BEHANDLUNGSOPTIONEN


In den USA gehört die Prostatektomie zu den am häufigsten vorgenommenen operativen Eingriffen. Etwa 400.000 Männer werden dort jährlich wegen einer benignen Prostatahyperplasie operiert. Verschiedene biomedizinische Behandlungsmöglichkeiten, wie die Ballonmethode, Mikrowellen und Laser sind noch ungenügend erprobt. Langzeiterfahrungen fehlen. Jedwede Therapie der gutartigen Prostataadenome hat für den Patienten hohe Suggestivkraft. Die Beschwerden lassen nach. Schon der Arztbesuch wird als Erleichterung empfunden ("patients can get better just by seeing a physician"). Bei geringgradigen Beschwerden macht es Sinn, außer Aufklärung des Patienten über den wechselhaften Verlauf der Miktionsschwierigkeiten keine weitergehende Behandlung anzubieten. Es fehlen Prädiktoren, die erlauben, schwerwiegende Komplikationen wie Harnverhaltung vorauszubestimmen.

Eine bessere Vergleichbarkeit von Studien ist zu erreichen, wenn die vollständige Blasenkapazität, die Miktionshäufigkeit, Harndrangbeschwerden, die Abnahme des Harnstrahls, der Restharn und nächtliches Wasserlassen als Verlaufskriterien aufgezeichnet werden. Selbst über die Verläufe nach Prostatektomie existieren kaum klinische Daten. Dies wurde kürzlich auf einem von der Weltgesundheitsorganisation in Paris organisierten Treffen bemängelt. Letztlich verbessert die Prostatektomie nur die Lebensqualität der Adenomkranken mit schweren Symptomen. Der operative Eingriff wird in den USA zumeist bei leichten bis mäßigen Beschwerden vorgenommen.

Über den Stellenwert der Hyperthermie und des noch in der klinischen Prüfung befindlichen Medikamentes Finasterid (PROSCAR/ATAMESTAN von MSD/Schering), einem 5-Alpha-Reduktasehemmer, der die Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron blockiert, sind derzeit keine verläßlichen Beurteilungen möglich. Der Harnfluß verbesserte sich nach 12 Monaten nur gering um 3 ml/s bei 31% der mit Finasterid Behandelten gegenüber 20% nach Plazebo. Der klinische Nutzen bleibt offen. Solche kritischen Bewertungen vermittelt die Zeitschrift der US-amerikanischen Ärzteorganisation (J. Am. Med. Ass. 266 [1991], 459).

Die Effekte von Brennesselextrakten sollen auf einer Reduktion des Sexualhormon-bindenden Globulins (SHBG) beruhen. Steigende SHBG- Konzentrationen finden sich jedoch bei Männern mit oder ohne BPH.2

Für Präparate mit Sägepalmenextrakten sind weder der klinische Nutzen noch die Relevanz des aus in-vitro-Befunden abgeleiteten Wirkmechanismus (Hemmung der 5-alpha-Reduktase-Aktivität) hinreichend belegt. Dennoch versuchen Firmen, die Wirksamkeit solcher Mittel durch Werbung aufzuwerten (siehe Kasten).

In einer Vielzahl von Studien mit Phytopharmaka gegen BPH im Stadium 1 und 2 finden sich "Besserungsraten" zwischen 60 und 80%. Ein Plazeboeffekt ist zu berücksichtigen, da vergleichbare Erfolgsraten auch in den Kontrollgruppen beschrieben werden. Solche Daten scheinen zu stören: In einer Zusammenfassung klinischer Studien mit Sägepalmenextrakt wird "aus Gründen der Übersichtlichkeit" auf die Angabe der Ergebnisse der Plazebogruppen verzichtet.6 In oft Marketing-orientierten Studien fehlen meist objektive urodynamische Beurteilungsmaßstäbe. Einige Ergebnisse mögen zwar statistisch signifikant sein, sind aber klinisch nicht relevant.

Der wissenschaftliche Beleg für einen direkten oder indirekten hemmenden Effekt der Phytotherapie auf das prostatische Wachstum fehlt.2 Darauf wird auch in Berichtigungen zu den Aufbereitungsmonographien von Brennnessel, Kürbis und Sägepalme hingewiesen.7 Die in den Monographien ausgewiesenen Anwendungsgebiete "Miktionsbeschwerden bei benigner Prostatahyperplasie Stadium 1 bis 2"8 spiegeln die Beurteilungsphilosophie der zuständigen Kommission E wider, wonach deren Entscheidungen auch auf "anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial, beispielsweise solches aus der Erfahrungsheilkunde" zurückgehen (vgl. a-t 5 [1988], 46).9

Nicht immer werden Phytopharmaka gut vertragen: Im Rahmen des NETZWERK DER GEGENSEITIGEN INFORMATION erhielten wir einen Bericht über Wärmeintoleranz, Gesichtsröte und "Hitzewellen" nach Einnahme der Kräuterkombination PROSTAGUTT (Fall-Nr. 1973) und einen weiteren mit Flush und Blutdruckanstieg in Verbindung mit dem Sägepalmenextrakt STROGEN FORTE (Fall-Nr. 4435).

ORGANEXTRAKTE:2 Organextrakte aus tierischem Prostatagewebe (RAVERON u.a.) sollen den Detrusortonus erhöhen und die Detrusor- Sphinkter-Dysfunktion günstig beeinflussen. Der Wirkmechanismus ist unbekannt. Auch für Organextrakte fehlt der Nachweis für den hemmenden Einfluß auf das Prostatawachstum. Bei parenteraler Gabe tierischen Eiweißes sind allergische Reaktionen und immunologische Störwirkungen vom verzögerten oder zytotoxischen Typ zu erwarten. Bei Herstellung aus Gewebe von Rindern und anderen Tieren besteht möglicherweise auch das Risiko von BSE (vgl. a-t 8 [1990], 69).

CHOLESTERINSENKENDE MITTEL:1 Prostata und Prostatasekret enthalten Cholesterin. Im hyperplastischen Gewebe fand sich eine zweifach erhöhte Cholesterin-Konzentration.1 Aufgrund dieser Beobachtung wurden Lipidsenker bei BPH versucht, jedoch mit widersprüchlichen, nicht überzeugenden Ergebnissen.

ANTIHORMONE: Das Antiandrogen Flutamid (FUGEREL) scheint unter den Antihormonen am ehesten zur konservativen Behandlung der BPH geeignet. Miktionsvolumen, Restharn und maximales Sekundenvolumen werden positiv beeinflußt. Wegen zum Teil erheblicher Störwirkungen wie Libido- und Erektionsverlust sowie Gynäkomastie hat sich die Therapie mit Antihormonen nicht durchgesetzt.3

KALZIUMANTAGONISTEN:2 Durch Beeinflussung der glatten Muskulatur können Kalziumantagonisten die Detrusorhyperaktivität dämpfen. Eine Wirkung auf die BPH selbst ist nicht zu erwarten. Als potente Vasodilatatoren sollten Kalziumantagonisten der Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen vorbehalten bleiben.1 Zur Verhinderung neurogen bedingter Detrusorhyperaktivität eignen sich Emeproniumhydroxid (URO RIPIRIN NOVO), Oxybutynin (DRIDASE) oder Trospiumchlorid (SPASMEX) besser als Kalziumantagonisten, sofern die BPH operativ beseitigt ist.

FAZIT: Die Möglichkeiten, durch konservative Behandlung der benignen Prostatahyperplasie (BPH) das Prostatawachstum zu hemmen, bleiben unbefriedigend. Für häufig verordnete Phytopharmaka wie AZUPROSTAT, BAZOTON und HARZOL sowie Organotherapeutika fehlen geeignete Studien, die anhand objektiver Meßgrößen einen klinisch relevanten Nutzen für uns wahrscheinlich machen. Von einem hohen Plazeboeffekt von 40 bis 60% ist auszugehen. Die amerikanische Gesundheitsbehörde hat den freien Verkauf von Prostatamitteln unterbunden, damit sich die Patienten durch Einnahme von Phytopharmaka nicht in falscher Sicherheit wiegen. Im fortgeschrittenen Erkankungszustand gibt es keine Alternative zur Operation. Zur kurzfristigen Linderung der Symptome bis zu einer Operation eignen sich vielleicht Alpha-Rezeptorenblocker wie Prazosin (MINIPRESS u.a.). Die Mikrowellen-Hyperthermie eignet sich nicht als alternatives Verfahren: Sie bringt schlechtere Ergebnisse als Plazebo.10


© 1991 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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