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Im Blickpunkt

"STRAFFE" DIABETES-EINSTELLUNG
SCHÜTZT VOR LANGZEITFOLGEN

Während des Amerikanischen Diabeteskongresses in Las Vegas wurde am 12. Juni 1993 überraschend mitgeteilt, daß der DCCT (Diabetes Control and Complication Trial) wegen signifikant schlechterer Ergebnisse in der Kontrollgruppe vorzeitig abgebrochen wurde. Pech für einen gleichzeitig erschienenen Übersichtsartikel zu "Diabetischen Folgeschäden".1 Die Aussagen über "die noch ungeklärten Zusammenhänge von Blutzuckerhöhe und Folgeschäden"1 sind nun wohl überholt.

Im DCCT wurden multizentrisch über 1.400 Patienten mit insulinpflichtigem (Typ1) Diabetes randomisiert einer experimentellen Gruppe mit intensiver Insulintherapie (Blutzuckersenkung nahezu in den Normalbereich von 60-160 mg/dl; HbA1c durchschnittlich 7,1%) oder einer Kontrollgruppe (Standardtherapie mit Toleranz hoher Blutzuckerwerte bis 200 mg/dl; HbA1c durchschnittlich 8,9%) zugeteilt. Die Studiengruppe wies nach neunjähriger Laufzeit signifikant weniger diabetische Komplikationen auf (s. Kasten). Damit wird klar, daß Folgeschäden der Nieren, Augen und Nerven durch "straffe" Blutzuckereinstellung auf nahezu normale Werte vermieden werden können (Sekundärprävention).

Ob eine solche Diabeteseinstellung auch der Behandlung bereits existierender Schäden dient, steht dahin. So ließ sich an Pankreas-transplantierten Diabetikern mit Retinopathie, Nephropathie und Neuropathie durch anhaltende Normalisierung des Blutzuckerhaushaltes keine Besserung der Folgen erzielen.2 Im Gegenteil, es scheint, daß die diabetische Retinopathie (Progression bei schlechter Einstellung mit hohen Blutzuckerwerten bei 5-15 von 100 Patienten pro Jahr3,4,5 nach über fünfjährigem Diabetes) sich unter bestimmten Bedingungen durch rasche Senkung einer dauerhaft vorbestehenden, extrem hohen Blutzuckerlage paradoxerweise akut verschlechtert.5,6,7 Kurzfristig kann sich die schmerzhafte Form der diabetischen Neuropathie ähnlich verhalten, während sich die Nephropathie im Frühstadium unter rascher Blutzukkernormalisierung nennenswert zu bessern scheint.2

Die DCCT-Studie belegt, daß eine "straffe" Stoffwechselführung langfristig auch bei Patienten mit Frühstadien diabetischer Folgeschäden die Progression dieser gefürchteten Komplikationen verlangsamen bzw. sogar zum Stillstand bringen kann. Daher ist es sinnvoll, die Mehrzahl insbesondere der Typ-1-Diabetiker, die noch keine oder nur geringe Symptome aufweisen, langfristig so gut wie möglich einzustellen. Nebenwirkungen dieser aufwendigen "intensivierten" Insulintherapie mit humanem oder tierischem Insulin: Sie kann ein höheres Risiko der gefährlichen Unterzuckerung beinhalten.8

Patienten, denen eine solch "straffe" Einstellung nicht möglich ist oder die bereits Manifestationen im fortgeschrittenen Stadium aufweisen, profitieren eher von einer symptomatischen Therapie zur Verhinderung der gefürchteten Endzustände Blindheit, Nierenersatztherapie und Amputation (Tertiärprävention). Die Progression der diabetischen Netzhauterkrankung läßt sich auch dadurch verzögern, daß bedrohliche Netzhautveränderungen9 mit Laserkoagulation behandelt werden. Nach Langzeiterfahrungen über mehr als 10 Jahre10,11 ist das Sehvermögen auf diese Weise gut zu stabilisieren. Die Wirkweise der Netzhautkoagulation ist noch nicht geklärt. Ihre Effizienz wird indes durch kontrollierte Studien belegt.9 Möglicherweise verbessert die Koagulation nicht unmittelbar für das Sehen benötigter Netzhautareale und ihre Umwandlung in Narbengewebe die Energieversorgung der zentralen Teile der Netzhaut. Einer anderen Annahme zufolge erleichtern die "Löcher", die die Laserkoagulation in die Netzhaut schießt, den Stofftransport von tieferen Schichten zur energieverbrauchenden Netzhautoberfläche. Eine dritte Hypothese besagt, daß nicht die Netzhaut, sondern der Glaskörper Zielorgan des Lasers sei: Die Koagulation verflüssige den Glaskörper (dem eine fördernde Wirkung auf die Progression der Retinopathie zugesprochen wird). Eine Arzneitherapie der diabetischen Retinopathie existiert nicht (vgl. a-t 6 [1992], 54).

Die Behandlung der diabetischen Nierenerkrankung kann nur in Frühstadien die Progression (Abnahme der glomerulären Filtrationsrate um 14 ml/min pro Jahr) bis hin zum Nierenversagen aufhalten.12 Daher ist die Erfassung dieses Stadiums wichtig – erkennbar an einer persistierenden Mikroalbuminurie (bis zu 300 mg/Tag), häufig begleitet vom Anstieg des Blutdrucks über 140/90 mm Hg. Durch engmaschig kontrollierte Blutdrucksenkung unter 140/90 mm Hg mit Kalziumantagonisten oder ACE-Hemmern läßt sich das Fortschreiten der Nephropathie entscheidend verlangsamen, wenn nicht gar stoppen.12

Frühstadien der diabetischen Neuropathie (besonders in ihrer schmerzhaften Form) bilden sich mitunter durch verbesserte Blutzuckereinstellung zurück. Meist ist aber nur die symptomatische Behandlung möglich, z.B. mit Carbamazepin (TEGRETAL u.a.) zur Linderung der Dysästhesien. Andere Mittel wie Liponsäure (THIOCTACID u.a.) sind ohne anerkannten Nutzen. In fortgeschrittenen Stadien (mit Sensibilitätsverlust und autonomer Dysfunktion) fehlen Behandlungsmöglichkeiten; hier können insbesondere die Füße durch geeignete Fußpflege, druckentlastende Schutzschuhe und eventuelle Wundbehandlung vor der Amputation bewahrt werden. Eine medikamentöse Vorbeugung oder Therapie des "diabetischen Fußes" existiert nicht.


© 1993 arznei-telegramm

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