Fortbildung und Forschung werden in beträchtlichem Ausmaß von Pharmaherstellern über Sponsoring "gesteuert" (a-t 1 [1999], 1). Sogar auf Pressekonferenzen von Kongres-sen geben nicht nur die Referenten, sondern auch Vertreter von H erstellern wie selbstverständlich Statements ab, so etwa auf dem Kongress "Hyperaktivität" (Humboldt-Universität Berlin, 20. Febr. 1999). Zwei Drittel der Ärztekammer- und KV-Fortbildungen werden mit Beteiligung von Pharmaherstellern durchgeführt. Näheres hierzu in der nachfolgenden Pilotstudie, -Red. EVALUATION ÄRZTLICHER FORTBILDUNGSVERANSTALTUNGEN
O. VON REIS, U. BOTT und P.T. SAWICKI |
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Ärztliches Handeln hängt wesentlich von der Qualität der Fortbildung ab. Ein hoher Ausbildungs- und Fortbildungsstand der Ärzte sichert
eine gute und gleichzeitig kosteneffiziente medizinische Versorgung der Bevölkerung. Um dies zu gewährleisten, besteht gemäß § 7 der
Ärztlichen Berufsordnung für alle Ärzte eine Fortbildungspflicht. Die Bundesärztekammer hat im Jahre 1993 Leitsätze zur
Durchführung der ärztlichen Fortbildung formuliert.1 Sie soll problemorientiert und praxisrelevant sein, die persönlichen Bedürfnisse des
Lernenden berücksichtigen, interaktiv sein, eine Rückkopplung zwischen dem Lehrenden und Lernenden ermöglichen, den Lernenden dazu
befähigen, eigene Entscheidungen fällen zu können und zu weiterem Studium anregen. Darüber hinaus sollte sich die ärztliche Fortbildung
sowohl an den aktuellen medizinwissenschaftlichen Erkenntnissen als auch an den gesundheitlichen Problemen der zu versorgenden Bevölkerung orientieren
und frei von marktwirtschaftlichen Interessen der Industrie durchgeführt werden.
Trotz der unbestrittenen Bedeutung der ärztlichen Fortbildung für das Gesundheitswesen hat eine von uns durchgeführte Literaturrecherche
überraschenderweise ergeben, dass in Deutschland bislang noch keine systematische objektive Evaluation der Struktur und Qualität repräsentativer
ärztlicher Fortbildungen durchgeführt worden ist. Wir haben daher beschlossen, am Beispiel des Ärztekammerbezirks Nordrhein die Struktur der
ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen in Innerer Medizin zu evaluieren.
Die Daten wurden von Oktober 1996 bis März 1998 erhoben. Basis bildeten die offiziellen Ankündigungen von Fortbildungsveranstaltungen der
Nordrheinischen Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung der Ärztekammer Nordrhein zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung
Nordrhein, die monatlich im Rheinischen Ärzteblatt publiziert werden. In diesem Zeitraum wurden alle 405 angekündigten Fortbildungsveranstaltungen in
Innerer Medizin der Ärztekammer Nordrhein mit einer Nummer versehen. Daraus wurden nach einem Zufallsverfahren fortlaufend 54 Veranstaltungen
ausgesucht, die persönlich von einem objektiven Beobachter nach einem strukturierten Verfahren evaluiert wurden. Alle Fortbildungsveranstaltungen, bei
denen aufgrund der Ankündigung im Rheinischen Ärzteblatt auf eine Beteiligung der Pharmaindustrie geschlossen werden konnte, wurden von der
Auswertung ausgeschlossen.
Die Erfassung der Daten wurde durch einen zu diesem Zweck speziell in der Evaluation von Fortbildungsveranstal-tungen trainierten Facharzt für Innere
Medizin mittels strukturierter Evaluationsbögen durchgeführt. Darüber hinaus wurden zwei aus jeder Veranstaltung zufällig ausgewählte
Teilnehmer und alle Referenten um das Ausfüllen eines Fragebogens gebeten. Die Teilnehmer sollten unter anderem be-schreiben, ob ihre Erwartungen in die
Veranstaltung erfüllt worden sind. Zusätzlich wurden die Referenten zu ihrer Vortragsvorbereitung, Vortragsstruktur, ihrem Eindruck von den Teilnehmern
und der Diskussion sowie bezüglich des Honorars befragt.
Die Auswertung sollte verschiedene qualitative Merkmale der ärztlichen Fortbildung erfassen. Dazu zählten neben logistischen, infrastrukturellen
Merkmalen direkt fortbildungsbezogene Merkmale wie Teilnehmerstruktur, Alter der Teilnehmer, Wahl, Zeigedauer und Informationsgehalt der Medien, Zeitdauer der
Vorträge, Diskussionsstruktur und Höhe des Honorars für den Referenten. Die Beteiligung der Pharmaindustrie an einer Veranstaltung wurde dann
angenommen, wenn während der Veranstaltung aktive Werbung für bestimmte Produkte der Industrie durchgeführt wurde und/ oder aus dem
Programm ersichtlich war, dass Vertreter der Pharmaindustrie an der Planung und/oder Durchführung der Veranstaltung beteiligt waren.
INHALTE UND TEILNEHMER: Es konnten 51 der 54 Veranstaltungen mit insgesamt 119 Vorträgen ausgewertet werden. Drei Veranstaltungen
wurden von der Evaluation ausgeschlossen: Zwei Veranstaltungen fanden nicht an dem angegebenen Termin statt und eine bezog sich auf ärztliche
Arbeitslosigkeit - ein Thema, das nicht als ärztliche Fortbildung im eigentlichen Sinne gewertet wurde.
Die Themengebiete der Veranstaltungen waren folgendermaßen verteilt:
Kardiologie/Angiologie | 20% |
Intensivmedizin | 4% |
Gastroenterologie | 20% |
Transfusionsmedizin | 4% |
Endokrinologie/Diabetologie | 11% |
Rheumatologie | 2% |
Hämatologie/Onkologie | 9% |
Nephrologie | 1% |
Pulmologie | 7% |
andere | 17% |
Infektiologie | 5% |
Im Durchschnitt dauerten Fortbildungsveranstaltungen zwei Stunden und die einzelnen Referate 32 Minuten. Besucht wurden die Veranstaltungen von
durchschnittlich 96 Personen (minimal 6 maximal 550 Personen). Das Alter der Teilnehmer wurde bei 38% auf 20 bis 39 Jahre, bei 30% auf 40 bis 49 Jahre und bei
19% auf 50 bis 65 Jahre geschätzt. 64% der Zuhörer waren Männer. Bei den meisten Veranstaltungen (63%) nahm die Teilnehmerzahl während
ihrer Dauer zu. Bei 4% der Veranstaltungen blieb sie konstant, bei 33% nahm sie aber ab, bei 10% der Veranstaltungen sogar um mehr als 50%.
MEDIEN: In der überwiegenden Zahl der Fortbildungsveranstaltungen wurden Dias oder Folien als unterstützendes Medium benutzt. Pro Minute
Referat wurden im Durchschnitt 1,3 Dias gezeigt (maximal 4 Dias pro Minute) mit durchschnittlich 11,6 Fakten pro Dia, was einer durchschnitt-lichen maximalen
Erfassungszeit von 4 Sekunden pro Fakt entspricht. Nur bei 34% der Vorträge wurden keine die Auf-merksamkeit der Zuhörer störenden
Einflüsse registriert. In den meisten Fällen störten herein- oder hinausgehende Personen, laute Unterhaltung der Teilnehmer und
Funktelefone.
Sämtliche Fortbildungsveranstaltungen wurden in Form von Frontalvorträgen durchgeführt. Eine Interaktion zwi-schen den Referenten und den
Zuhörern in Form einer Diskussion des Vortragsthemas gab es nur bei 4% der Vorträge. Fragen zu den Vorträgen wurden hauptsächlich vom
Veran-stalter bzw. von den Vorsitzenden gestellt, nur bei 8%(!) der Vorträge stellten auch Zuhörer Fragen an den Referenten.
BETEILIGUNG DER PHARMAINDUSTRIE: Trotz des Fehlens einer entsprechenden Ankündigung wurden 34 (67%) der untersuchten Fortbildungsveranstaltungen mit Be-teiligung der Pharmaindustrie durchgeführt. Die Beteiligung bezog sich in den meisten Fällen (94%) auf Werbung für die Produkte der jeweiligen Firma. In 35% der Veranstaltungen war die Industrie aufgrund von Angaben im Programm sogar direkt an der Planung und Durchführung beteiligt. In zwei Fällen handelte es sich nicht um Fortbildungsveranstaltungen, sondern um reine Werbeveranstaltungen im Zusammenhang mit der Markteinführung eines neuen Pharmakons. 19 (56%) der 34 Veranstaltungen wurden nur mit Beteiligung einer Firma durchgeführt. Insgesamt waren 60 verschiedene Phar-maunternehmen beteiligt, am häufigsten Roche und Falk:
REFERENTENBEFRAGUNG: Von den 119 Referenten waren 79 (66%) bereit, einen Fragebogen zu ihrem Vortrag wenigstens teilweise
auszufüllen. Die Referenten gaben in 63% der Fälle an, einen freien Vortrag ohne Manuskript zu halten, in 54% der Fälle, bereits früher den
gleichen Vortrag gehalten zu haben, in 98% der Fälle, mindestens drei Jahre Vortragserfahrung zu haben und durchschnittlich 13,6 Fortbildungsvorträge
pro Jahr zu halten. 25% der Referenten ga-ben an, irgendwann eine Ausbildung zu Grundlagen der Wissensvermittlung bzw. einen Rhetorikkurs besucht zu haben.
Die Referenten hatten in 56% der Fälle den subjektiven Ein-druck, dass die Zuhörer interessiert und kompetent sind und die Diskussionsstimmung kollegial
sei.
57 aller Referenten (48%) waren bereit, Fragen zu ihrem Vortragshonorar zu beantworten. Davon gaben 74% an, kein Vortragshonorar zu erhalten. 12% gaben an,
ein Honorar bis zu 1.000 DM und 14% über 1.000 DM bekommen zu ha-ben. Referenten von Fortbildungsveranstaltungen, die mit Beteiligung der
Pharmaindustrie durchgeführt wurden, ver-weigerten signifikant (p = 0,05) häufiger (56%) eine Auskunft zu ihrem Honorar verglichen mit Referenten von
unabhängigen Veranstaltungen (39%).
TEILNEHMERBEFRAGUNG: Insgesamt wurden 238 Fragebögen zufällig an Teilnehmer der Veranstaltungen verteilt. Davon waren 183
auswertbar. 27% der Teilnehmer waren mit den Veranstaltungen insgesamt sehr zufrieden, 33% gaben an, dass die Vorträge praxisorientiert waren und
genü-gend Raum für die Diskussion böten, 22% sagten, zum Mitdenken angeregt worden zu sein und 10% sahen sich durch den Vortrag zum
Selbststudium motiviert.
Das Fehlen objektiver und repräsentativer Evaluationsdaten ärztlicher Fortbildungen spricht dafür, dass diese nicht den Grundsätzen der
Qualitätsicherung in der Medizin unterliegen. Die Ergebnisse dieser ersten Pilotevaluation am Beispiel der Inneren Medizin im Ärztekammerbezirk Nordrhein
zeigen, dass die Praxis der Fortbildung mangelhaft ist und nicht den Empfehlungen der Bundesärztekammer entspricht.
Eine interaktive ärztliche Fortbildung findet demnach so gut wie gar nicht statt. Ebensowenig wird das Lernen in Kleingruppen, problembezogene Anwendung
des Expertenwissens oder Schulung im Umgang mit Informationsquellen durchgeführt. Die Qualität der Wissensvermittlung, gemessen zum Beispiel an der
Anzahl der in Vorträgen pro Zeiteinheit dargestellten Fakten oder dem Fehlen einer anschließenden allgemeinen Diskussion des Themas, ist
ungenügend. Aufgrund von in England durchgeführten Evaluationen von Fortbildungsveranstaltungen scheitert eine solche Struktur der
Wissensvermittlung an der fehlenden Aufmerksamkeit der Zuhörer.2 Der Anteil von Ärzten, die während solcher VeranVeranstaltungen
einschlafen, beträgt bis zu 40%.2 Da aber sowohl die Referenten als auch die Teilnehmer mit den Veranstal-tungen meist zufrieden waren, scheint uns
die subjektive Evaluation der Fortbildungen durch die Beteiligten selbst unge-eignet zu sein, um ihre Qualität zu messen.
Die meisten in Deutschland durchgeführten Ärzteseminare werden offen von der Pharmaindustrie organisiert und an-gekündigt, nur ein Bruchteil ist
"unabhängig" und unterliegt der Organisation von Ärzteorganisationen. Überraschenderweise fanden wir aber, dass auch hier zwei Drittel
der in dieser Untersuchung zufällig herausgesuchten Veranstaltungen mit Beteiligung der Pharmaindustrie durchgeführt wurden. Dies ist umso
bedenklicher, als dies bei offiziellen Veranstaltungen einer Ärztekammer und einer Kassenärztlichen Vereiigung der Fall war, die als
pharmafirmenunabhängig im offiziellen Mitteilungsblatt dieser Organisationen deklariert waren. Es muss dabei befürchtet werden, dass die Auswahl der
Referenten und der Inhalte der Veranstaltung durch marktwirtschaftliche Interessen beeinflusst werden.3-5 Zudem wer-den Experten durch eine finanzielle
Liaison mit der Pharma-industrie in ihrer Meinung beeinflusst (vgl. a-t 1 [1999], 1, -Red.),6 was für die
Zuhörer vor der Entscheidung, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen, transparent sein müßte. Die Pflicht zum Offenlegen finanzieller
Verbindungen zwischen pharmazeutischer Industrie und Autoren medizinischer Publikationen wird im Ausland immer selbstverständlicher,7 ist in der
Bundesrepublik Deutschland aber eine Ausnahme. Die Mehrheit der Vortragenden auf den industrie-assoziierten Fortbildungsveranstaltungen hat sich bei unserer
Umfrage geweigert, ihre Honorarhöhe anzugeben.
Pharmahersteller führen unabhängig von den Ärztekam-mern eine Vielzahl von Werbeveranstaltungen durch, die zum Ziel haben, eine einseitige
produktbezogene Information an die Ärzte zu vermitteln. Diese Veranstaltungen müssen aber schon in der Ankündigung als solche erkennbar sein,
um von den Betroffenen richtig eingeschätzt werden zu können. Es ist anzunehmen, dass durch bessere unabhängige Information der Ärzte
über unwirksame Therapieformen bzw. über preiswerte Alternativen Beträge in Höhe mehrerer Milliarden DM pro Jahr eingespart werden
könnten.8
Die hier durchgeführte Evaluation bezog sich nur auf ein Teilgebiet der Medizin und war in den untersuchten Aspekten der Fortbildungen unvollständig.
Darüber hinaus sind aufgrund des Fehlens ähnlicher Voruntersuchungen keine Vergleiche möglich. Diese Studie konnte nicht ermitteln, ob die
Inhalte der Fortbildungen für das praktische ärztliche Handeln relevant waren und in welchem Ausmaß sie das Wissen oder Tun der teilnehmenden
Ärzte beeinflussen.
Da eine qualitativ hochwertige Fortbildung der Ärzte die Grundlage für eine gute und kosteneffektive medizinische Versorgung der Bevölkerung ist,
halten wir eine objektive systematische Evaluation mit anschließender Modifikation der Fortbildungsabläufe für eine Voraussetzung zur Verbesserung
des Gesundheitssystems in Deutschland, sowohl bezüglich der medizinischen Versorgung als auch der Kosteneffektivität.
© 1999 arznei-telegramm
Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten
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