Die Onychomykose gehört zu den häufigsten Nagelerkrankungen. Mit dem Alter nehmen die Infektionen zu. Zwei bis fünf Prozent der
über 35-jährigen sind betroffen.1 Feucht-warmes Milieu fördert Pilzbefall der Haut. Hohe Durchseuchungsraten findet man unter Bergleuten,
Soldaten oder Schwimmsportlern. Gesunde Nägel sind normalerweise vor Befall geschützt. Vorschädigungen wie Verletzungen (auch Mikrotraumen),
Durchblutungsstörungen oder Neuropathien leisten der Infektion Vorschub. Fußnägel sind etwa fünfmal häufiger betroffen als
Fingernägel.1
Die Mehrzahl der primären Onychomykosen entsteht durch Dermatophyten. Diese Pilze ernähren sich von menschlichem Keratin. Hierzu dienen ihnen
starke proteolytische Enzyme (Keratinasen).2 Hefen und Schimmelpilzen scheint eher die Rolle von Sekundärkeimen
zuzukommen.2,3
Eintrittspforte bildet meist der seitliche distale Nagelrand. Seltener wird die Oberfläche besiedelt. Der infizierte Nagel verliert seine Transparenz und färbt
sich weiß bis gelb. Im weiteren Verlauf bilden sich subunguale Keratosen, die die
Nagelplatte vom Bett lösen können. In Extremfall kann die Pilzinfektion den Nagel ganz zerstören (Krümelnagel). Das klinische Bild ist nicht
spezifisch. Vor einer Behandlung sind klinisch ähnliche Nagelerkrankungen (Nagelpsoriasis, Ekzemnagel, Nageldystrophie u.a.) auszuschließen und die
Diagnose mindestens einmal durch Nativpräparat, möglichst auch durch Kultur zu sichern.
BEHANDLUNG: Spontanheilung ist nicht zu erwarten. Wenn kein Leidensdruck und keine Ansteckungsgefahr, z.B. von Familienmitgliedern, besteht, kann
eine Nagelmykose auch unbehandelt bleiben. Die Indikation zur Therapie ist individuell und nach Erörterung des Für und Wider zu stellen. Auch
gestörtes ästhetisches Empfinden rechtfertigt eine Behandlung.
Aus Gründen der Verträglichkeit ist die topische der systemischen Therapie vorzuziehen. Lokalbehandlung hat aber nur dann gewisse Aussicht
auf Erfolg, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: Nur wenige - maximal fünf - Nägel sind infiziert. Die Nagelmatrix ist frei. Höchstens 30%
(bis 50%) Prozent der Nagelplatte ist befallen. Die Patienten müssen in der Lage sein, das Externum selbst aufzutragen.1 Die langwierige Behandlung
erfordert viel Disziplin und kommt daher nur für motivierte Patienten in Betracht.
Zwei antimykotische Nagellacke mit Amorolfin (LOCERYL; a-t 3 [1993], 26) beziehungsweise
Ciclopirox (NAGEL BATRAFEN; a-t 8 [1994], 77) werden angeboten. Amorolfin unterbricht wie die
Azolantimykotika und Terbinafin (LAMISIL) die Biosynthese von Ergosterol, einem Bestandteil der Zellmembran von Pilzen. Ciclopirox soll die Aufnahme essentieller
Stoffe in die Pilzzelle hemmen. Die Nagellacke müssen so lange angewendet werden, bis genügend gesunder Nagel nachgewachsen ist, in der Regel
sechs bis zwölf Monate. Fußnägel wachsen 0,5 bis 1 mm im Monat,4 Fingernägel etwas schneller. Amorolfin wird ein- bis zweimal
wöchentlich aufgetragen,5 Ciclopirox anfangs alle zwei Tage, später zwei-, dann einmal wöchentlich.6 Jeweils vor dem Lackieren
empfiehlt es sich, die befallene Nagelsubstanz vorsichtig mit einer Feile abzutragen bzw. mit einer Nagelschere zu entfernen.
Veröffentlichte klinische Daten gibt es kaum. Randomisierte Plazebo-kontrollierte Studien existieren unseres Wissens gar nicht. Eine Metaanalyse
veröffentlichter und unveröffentlichter Untersuchungen gibt klinisch oder mykologisch gesicherte Heilungsraten unter Ciclopirox und Amorolfin mit 31%
bzw. 36% an.7 Die etwas höheren Quoten in einer vielzitierten Studie mit Amorolfin (46% bis 52%) kommen durch Ausschluss von mehr als einem Drittel
der Teilnehmer von der Auswertung zustande.8 Amorolfin-Nagellack kann Brennen, Juckreiz, Hautrötung und Bläschen verursachen und den
Nagel verfärben.5,9 In Verbindung mit Ciclopirox-Lack ist Rötung und Schuppung beschrieben.6 Systemische Wirkstoffspiegel lassen
sich auch bei Langzeitanwendung von Amorolfin-Lack nicht nachweisen.5 Daten zur systemischen Absorption von Ciclopirox durch die Nagelplatte liegen
nicht vor.6
Etwas kürzer, aber noch aufwendiger ist die atraumatische Onycholyse mit Bifonazol (MYCOSPOR) plus Harnstoff (MYCOSPOR Nagelset).
Täglich aufgetragen löst der Harnstoff unter Okklusiv-Verband infizierte Nagelbereiche auf. Dies dauert im allgemeinen zwei bis drei Wochen, kann aber
bis zu neun Wochen benötigen.10 Anschließend muß Bifonazol allein mindestens vier Wochen lang täglich aufgetragen werden.
Aussagekräftige kontrollierte Studien sind auch mit Bifonazol plus Harnstoff nicht publiziert. In einer kleinen Anwendungsbeobachtung werden 12 Wochen
nach Therapiebeginn 63% der befallenen Nägel als klinisch und mykologisch geheilt beurteilt, 12 Wochen später nur noch 46%.11 In einer
vergleichenden Untersuchung mit zusätzlicher Einnahme von Griseofulvin (FULCIN S u. a.) bringt die Lokaltherapie allein nur bei 22% vollständige
Heilung.12
Harnstoff kann die Haut von Nagelbett oder -Rändern reizen und mazerieren sowie Schmerzen des Nagelbetts verursachen, Bifonazol eine Kontaktdermatitis
auslösen. Durch entzündlich veränderte Haut werden nach örtlichem Auftragen 2% bis 4% des Wirkstoffs absorbiert.13
Zur systemischen Behandlung von Nagelpilz werden seit 1993 neben Griseofulvin das Naftifinderivat Terbinafin (LAMISIL) und seit 1994 auch das
Azolantimykotikum Itraconazol (SEMPERA) angeboten. Während die Verordnung der neuen Produkte zunimmt (SEMPERA Rang 499, LAMISIL Rang 585 der
1997 meistverordneten Arzneimittel), hat das Altpräparat praktisch keine Bedeutung mehr.14
Die Behandlung mit Griseofulvin erachten wir als überholt. Griseofulvin wirkt nur gegen Dermatophyten. Wegen geringer Affinität zum Keratin
lagert es sich nicht in Hornschichten ein und muss daher bis zum Auswachsen des kranken Nagels eingenommen werden. Vor allem an den Fußnägeln
bringt es nur geringe Heilungsraten (17% bis 25% in Metaanalysen).15,16 Griseofulvin wirkt immunogen mit allergischen Reaktionen besonders an Haut und
Leber. Es kann wahrscheinlich das Erbgut schädigen.
Itraconazol und Terbinafin lassen sich im Nagel noch Monate nach Therapieende nachweisen, während sie aus dem Plasma innerhalb
weniger Tage bzw. Wochen ausgeschieden werden.4 Die Mittel müssen daher im allgemeinen nicht länger als drei Monate eingenommen
werden. In kontrollierten Studien mit täglich 250 mg Terbinafin oder 200 mg Itraconazol über zwölf Wochen werden an Fußnägeln
Heilungsraten zwischen 60% und 80% erzielt. Die Erfolgsaussichten sind größer, wenn der Großzehennagel nicht befallen ist.1,4
Fingernägel sprechen mit Heilungsraten bis 95% an.15 Auch vor Beginn einer systemischen Therapie soll befallenes Nagelmaterial atraumatisch entfernt
werden.
Ob Terbinafin tatsächlich besser abschneidet, wie es nach zwei doppelt und dreifach veröffentlichten, herstellergestützten Studien den Anschein
hat,17,18 bedarf der Bestätigung in unabhängigen Untersuchungen. Zwei kleinere direkte Vergleiche lassen keinen signifikanten Unterschied
erkennen.19,20
Die in Verbindung mit Itraconazol zugelassene Intervalltherapie - eine Woche lang täglich zweimal 200 mg, danach
Pause für drei Wochen, Wiederholung über insgesamt zwei bis vier Monate - verringert die Gesamtdosis, ohne die Wirksamkeit zu
beeinträchtigen.21 Ein Antrag auf Zulassung dieses Prinzips für Terbinafin ist nicht geplant.22
Die beiden Antimykotika sind wegen mangelnder Erfahrung nicht für Kinder zugelassen. Für Itraconazol schließt der Hersteller Kinder und Jugendliche
ausdrücklich von der Behandlung aus.23 Dosierungsempfehlungen gibt es nur für das wenig wirksame Griseofulvin, das sich wegen seiner
Toxizität und potentiellen Mutagenität für diese Patientengruppe verbietet. Angesichts der weichen kindlichen Nägel basiert die Therapie auf
topischen Mitteln. In dermatologischen Zentren werden Kinder auch erfolgreich mit Itraconazol in einer dem Körpergewicht angepassten Dosis
behandelt.24,25 Dies erfordert besondere (dokumentierte) Aufklärung der Patienten und ihrer Eltern.
Magen-Darm-Störungen, Anstieg der Leberenzyme und Hautreaktionen kommen unter Itraconazol und Terbinafin mit Raten im einstelligen Prozentbereich
häufig vor.26,27 Beide Antimykotika lösen selten auch schwere Schadeffekte aus, vor allem an Leber und Haut. In einer Post-Marketing-Studie
erleidet einer von 5.000 Terbinafin-Anwendern einen symptomatischen Leberschaden (vgl. a-t 1 [1993],
20).26 Erythema multiforme ist bei einem von 7.500 beschrieben,28 auch die schwere Form mit Schleimhautbeteiligung (STEVENS-
JOHNSON-Syndrom) und toxische epidermale Nekrolyse (LYELL-Syndrom) kommen vor (a-t 4 [1994], 40). Bei ersten
Anzeichen eines progredienten Hautausschlags muss Terbinafin deshalb sofort abgesetzt werden. Das Mittel kann Überempfindlichkeitsreaktionen wie
Serumkrankheit und Blutschäden auslösen.
Die Gefahr einer Beeinträchtigung des Geschmacks durch Terbinafin (bis zu 3%)29 nimmt mit höherem Lebensalter, geringerem
Körpergewicht und bei Geschmacksverlust in der Vorgeschichte zu.26 Die Störung bildet sich nach Absetzen oft nur langsam zurück. Dies
kann bis zu zwei Jahre dauern.30 Geschmacksstörung kann die Lebensqualität erheblich mindern. Vor Verordnung von Terbinafin sind die
Patienten sorgfältig über das potentielle Risiko aufzuklären.
Mit 25 Verdachtsberichten ist Terbinafin der im NETZWERK am häufigsten in Verbindung mit Geschmacksstörungen genannte Wirkstoff
(a-t 11 [1994], 109).
Auch Itraconazol kann symptomatische Leberschäden verursachen (a-t 8 [1992], 82): Nach
Postmarketingdaten soll jedoch unter mehr als 1,5 Millionen Anwendern keine klinische Hepatitis berichtet worden sein.31 Die US-amerikanische
Produktinformation nennt dagegen drei Leberentzündungen unter mehr als 2.500 Patienten in Verbindung mit der Einnahme von Itraconazol (1 :
850).29 Auch schwere Hautschädigung wie STEVENS-JOHNSON-Syndrom ist beschrieben.29 Itraconazol hemmt wie andere
Azolantimykotika den Abbau von Arzneimitteln durch CYP3A-Leberenzyme. Komedikation mit Antihistaminika wie Terfenadin (TELDANE u.a.; a-t 1 [1997], 16) oder dem Prokinetikum Cisaprid (ALIMIX, PROPULSIN; a-t 7
[1998], 68) ist wegen lebensbedrohlicher Herzrhythmusstörungen kontraindiziert. Bei Stoffen wie Ciclosporin A (SANDIMMUN) ist die Dosis gegebenenfalls
zu reduzieren.
FAZIT: Vor Beginn einer Behandlung von Nagelmykosen steht die Information des Patienten über Anforderungen, Erfolgsaussichten und Risiken. Der
Pilz soll mindestens einmal durch Nativpräparat, möglichst auch durch Kultur nachgewiesen sein. Psychische Beeinträchtigung durch die Infektion ist
hinreichende Behandlungsindikation. Eine Therapie kann aber auch unterbleiben. Die relativ verträgliche Lokalbehandlung, etwa mit Amorolfin Nagellack
(LOCERYL Nagellack), stellt hohe Anforderungen an Disziplin und Ausdauer. Valide Daten zur Nutzenbewertung der Externa fehlen. Wahrscheinlich wird
höchstens jeder Zweite bis Dritte geheilt.
Systemische Behandlung bringt höhere Erfolgsraten, ist aber kostspielig und mit zum Teil unangenehmen Störwirkungen, zum Beispiel Geschmacksverlust
unter Terbinafin (LAMISIL), und seltenen lebensbedrohlichen Risiken wie Hepatitis oder LYELL-Syndrom verbunden. Itraconazol (SEMPERA 7) wird nach den
Erfahrungen unserer Berater besser vertragen als Terbinafin. Methode der Wahl ist die Intervalltherapie mit Itraconazol - jeweils eine Woche Einnahme, gefolgt von
drei Wochen Pause -, durch die sich Einnahmezeit und Gesamtdosis deutlich verringern lassen.
|