Welche Erkenntnisse liegen zu dem neuen monoklonalen Antikörper Palivizumab (SYNAGIS) vor? Wie sinnhaft ist dieses Produkt und welche
Relevanz hat es ökonomisch in Bezug zu seinem Preis?
Dr. med. J. BAUSCH (KV Hessen)
D-60325 Frankfurt/Main
Der seit Herbst 1999 erhältliche monoklonale Antikörper Palivizumab (SYNAGIS) richtet sich gegen ein Oberflächenprotein des Respiratory-
Syncytial-Virus (RSV). RSV ist ein häufiger Erreger von Atemwegserkrankungen im Säuglings- und Kindesalter. Bis zum zweiten Lebensjahr erkranken 90%
aller Kinder, in der Regel zwischen Oktober und März. Meistens kommt es dabei nur zu einer flüchtigen Infektion der oberen Atemwege. Der schwere
Befall der tiefen Atemwege mit Bronchiolitis oder Pneumonie kann stationäre Behandlung erfordern (1%). Davon sind vor allem Frühgeborene, Kinder mit
chronischen Lungenerkrankungen, angeborenen Herzfehlern oder Mukoviszidose betroffen. Auch immunsupprimierte Kinder sind gefährdet.1 Das i.m.
injizierbare Palivizumab wird zur Vorbeugung schwerer RSV-Infektionen angeboten. Ein polyklonales RSV-Immunglobulin zur Prophylaxe2 steht im
deutschsprachigen Raum nicht zur Verfügung. Der Nutzen eines Ribavirin-Aerosols (VIRAZOLE) zur Therapie ist nicht hinreichend
geklärt.3
Eine multizentrische plazebokontrollierte randomisierte Studie (IMpact*) zur prophylaktischen Wirkung von Palivizumab während der RSV-Saison ist
vollständig veröffentlicht.4 An der Studie nehmen bis zu zwei Jahre alte Kinder mit behandlungsbedürftiger bronchopulmonaler Dysplasie teil
und Frühgeborene (vor der 35. Schwangerschaftswoche), die nicht älter als sechs Monate sind. 1.002 Patienten erhalten einmal monatlich 15 mg/kg
Körpergewicht Palivizumab i.m., 500 Kinder ein Scheinmedikament. Aus der Plazebogruppe müssen doppelt so viele Patienten (10,6%) wegen RSV-
Infektion ins Krankenhaus eingewiesen werden wie unter Palivizumab (4,8%; Number needed to treat [NNT] = 17). Auch der stationäre Aufenthalt verkürzt
sich in der Verumgruppe. Frühgeborene scheinen stärker zu profitieren: Einweisungsraten sinken auf ein Viertel (von 8,1% auf 1,8%; NNT = 16). Vier
Kinder (0,4%) in der Interventionsgruppe sterben im Vergleich zu fünf (1%) unter Plazebo. Hier, wie auch bei der Beatmungspflichtigkeit, ist der Unterschied nicht
signifikant.2,4
Bei 3% der Palivizumabgruppe wird über Reaktionen im Injektionsbereich berichtet mit Schmerzen, Rötung, Verhärtung oder "blauen
Flecken". Häufig ist auch mit Fieber, Nervosität und Transaminasenanstieg zu rechnen (2% bis 4%).4 Leukopenie, Infektionen der oberen
Atemwege, Erbrechen und Durchfall werden bei 0,3% bis 0,9% beobachtet.5 Ein holländisches Kind fällt zehn Minuten nach der Injektion für
eine halbe Stunde ins Koma. Bei Reexposition einen Monat später wiederholt sich dies. Als Ursache kommt eine vasovagale Reaktion in Betracht. Ein zweites
Kind mit schwerer bronchopulmonaler Dysplasie reagiert auf die Impfung mit Bradykardie und verstirbt innerhalb von zwei Tagen.6 Bedenken bestehen
wegen möglicher Immunogenität des Antikörpers, der zu 5% Aminosäuresequenzen murinen (= Maus) Ursprungs enthält. Die klinische
Bedeutung Palivizumab-bindender Antikörper (1% in IMpact) ist ungeklärt.7,8
Für eine Ampulle zu 50 mg bzw. 100 mg sind 1.768 DM (Österreich: 12.295 ATS) bzw. 2.709 DM (19.986 ATS) aufzuwenden. Die Behandlung eines
Kindes kostet bei fünf Injektionen pro Saison mindestens 9.000 DM (60.000 ATS), da Restmengen drei Stunden nach Zubereitung der Lösung nicht mehr
verwendet werden dürfen.
FAZIT: Der monoklonale Antikörper Palivizumab (SYNAGIS) halbiert bei Frühgeborenen und Kindern mit bronchopulmonaler Dysplasie stationäre
Aufenthalte wegen Respiratory-Syncytial-Virus (RSV)-Infektionen der tiefen Atemwege von 10,6% auf 4,8%. Eine Reduktion harter Therapie-Endpunkte wie
Beatmungspflichtigkeit und Sterblichkeit ist für das pro Saison und Kind mindestens 9.000 DM teure Mittel nicht abgesichert.3,4 Bei dieser Datenlage lässt
sich die Verwendung u. E. nur im Einzelfall rechtfertigen. Wer von dem Antikörper tatsächlich profitiert, bleibt in Folgestudien zu präzisieren.
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