FSME-IMPFSTOFF TICOVAC - EINE ZU SPÄTE MARKTRÜCKNAHME
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Mit Wirkung vom 16. März 2001 verzichtet die Firma Baxter auf die Zulassung des FSME-Impfstoffes TICOVAC (1). Der Impfstoff darf daher ab sofort nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Die Marktrücknahme bedeutet, dass jetzt nur noch Erwachsene und Kinder über 12 Jahre gegen FSME geimpft werden können. Hierfür steht das deutlich besser verträgliche ENCEPUR zur Verfügung. Zeitgleich rückt das Paul-EHRLICH-Institut (PEI) von der Impfempfehlung für Kinder ab: "Insgesamt verläuft die FSME-Erkrankung im Kindesalter im Vergleich zum Erkrankungsverlauf bei Erwachsenen leichter und heilt fasst immer ohne Folgeschäden aus. Bleibende neurologische Schäden sind eine Rarität... Durch Erhebung des Paul-EHRLICH-Instituts konnte ... kein Fall einer schwer verlaufenden FSME-Erkrankung bei Kindern bis 16 Jahre im Zeitraum 1997/98 in Deutschland eruiert werden" (2) Warum diese Folgerung erst heute gezogen wird, bleibt schleierhaft. Noch im Juni 2000 verlautbarte das PEI: "Trotz einer ungewöhnlich hohen Zahl von Nebenwirkungsmeldungen, vor allem Fieber, sind wir auf den Impfstoff TICOVAC angewiesen, um Kinder über drei Jahre vor der FSME zu schützen" (3). Die Vorgänge um TICOVAC sind charakteristisch für unzureichende und schleppende Massnahmen zur Risikoabwehr. Bereits bei der Erprobung von TICOVAC fallen überdurchschnittlich häufig Fieberreaktionen auf, ohne dass hieraus Konsequenzen gezogen werden. Im März 2000, einen Monat nach Markteinführung*, empfiehlt Baxter die Impfdosis für Kinder bis 15 Jahre auf 0,25 ml zu halbieren, um die Häufigkeit von Fieber und die Gefährdung durch Fieberkrämpfe zu verringern. Im Mai kündigt die Firma "Dosisoptimierungsstudien" an, die offensichtlich vor der Zulassung versäumt worden sind. Im Juni verbietet das Paul-EHRLICH-Institut die Anwendung bei Kindern bis zu drei Jahren und ordnet die Halbierung der Erstdosis auf 0,25 ml für Kinder bis 15 Jahre an. Schon zu diesem Zeitpunkt ist klar, dass diese Massnahmen nicht greifen werden, weil Berichte über drastischen Fieberanstieg, anhaltende Kopfschmerzen und starkes Erbrechen bereits seit Wochen auch Kinder betreffen, die die erniedrigte Dosis erhalten haben. Auch der Wirksamkeitsbeleg für TICOVAC lässt Zweifel aufkommen. Dieser beruht nicht auf kontrollierten Studien mit klinischen Endpunkten, sondern lediglich auf dem Surrogatkriterium Titeranstieg. Unter Abwägen von Nutzen und Schaden erachten wir die Impfung von Kindern als nicht vertretbar, daher unser Fazit im Juni 2000: "Logische Konsequenz ist, den unkontrollierten Feldversuch abzubrechen und das unzureichend geprüfte TICOVAC schleunigst vom Markt zu nehmen" (a-t 2000; 31: 64) Wie erwartet reissen die Meldungen zu TICOVAC-Komplikationen auch nach den halbherzigen Massnahmen des PEI nicht ab. Ende Juli überblickt das Institut bereits über 1.100 Verdachtsberichte aus Deutschland. Auch bei Erwachsenen fallen unerwartet häufige Fieberreaktionen auf. Wir mahnen erneut die Marktrücknahme von TICOVAC an (a-t 2000; 31: 71). Die Schädigungswelle ebbt erst mit Ende der FSME-Saison ab. Die vom PEI für Anfang 2001 angekündigte Dokumentation alle Ende Februar 2001 teilt uns Baxter auf Anfrage mit, noch in diesem Jahr einen veränderten FSME-Impfstoff anbieten zu wollen. Angesichts des Desasters bei der Umstellung von FSME-IMMUN auf TICOVAC stimmt das PEI dieser erneuten Produktveränderung jedoch nicht zu und fordert weitere Studien. |
1 | Baxter Deutschland: Rote-Hand-Brief vom 26. März 2001 |
2 | PEI: Information für Ärzte und Apotheker vom 28. März 2001 |
2 | PEI: Pressemitteilung vom 21. Juni 2000 |
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* | TICOVAC kam im Februar 2000 als Quecksilberkonservans- und Albuminfreier Nachfolger von FSME-IMMUN auf den Markt. Man geht davon aus, dass die eliminierten Hilfsstoffe die Immunreaktion zuvor gedämpft haben. |
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blitz-a-t 29. März 2001 |
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