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                            a-t 2001; 32: 115-6nächster Artikel
Übersicht

HOCH DOSIERTE INSULINTHERAPIE FÜR KRITISCH KRANKE

Der Stoffwechsel kritisch kranker Patienten nach Trauma ist sowohl durch erhöhten Glukosebedarf als auch durch Glukoseverwertungsstörung mit Hyperglykämie und Insulinresistenz gekennzeichnet. Insulintherapie mit dem Ziel, den Blutzucker zu normalisieren, senkt die Sterblichkeit dieser Patienten um ein Drittel, auch wenn kein Diabetes vorliegt. Zu diesem beeindruckenden Ergebnis kommt eine randomisierte kontrollierte Studie auf der chirurgischen Intensivstation einer belgischen Universitätsklinik. Die Mehrzahl der Studienteilnehmer hat keinen vorbestehenden Diabetes. Einschlusskriterien sind einzig die Behandlung auf der chirurgischen Intensivstation des Zentrums und Beatmungspflichtigkeit. Über 60% der Patienten haben eine Herzoperation hinter sich. Wegen des deutlich besseren Abschneidens der Interventionsgruppe wird die Studie nach Aufnahme von 1.550 Patienten vorzeitig gestoppt.1

Alle Studienteilnehmer erhalten am ersten Tag 200 g bis 300 g Glukose pro 24 Stunden i.v., anschließend wird so rasch wie möglich die enterale Ernährung angestrebt. In der Interventionsgruppe wird der Blutzucker bei Überschreiten von 110 mg% durch kontinuierliche Insulininfusion in einen Bereich zwischen 80 mg% und 110 mg% gesenkt. Die Insulindosis (maximal 50 I.E. pro Stunde) wird auf der Basis von ein- bis vierstündigen Blutzuckerkontrollen adjustiert. Patienten der Kontrollgruppe erhalten erst dann Insulin, wenn der Glukosewert auf über 215 mg% steigt. Der Zielwert beträgt hier 180 mg% bis 200 mg%. Nach Entlassung von der Intensivstation gilt für alle Patienten das liberalere Regime. In der Interventionsgruppe erhalten 99% der Patienten Insulin, unter konventioneller Therapie 39%. Der frühmorgens gemessene durchschnittliche Blutzucker liegt hier bei 153 mg%, unter intensivierter Behandlung bei 103 mg%. Zu Hypoglykämien mit Blutzucker von 40 mg% oder darunter kommt es bei 39 (5%) Patienten der Interventionsgruppe, bei 2 (0,3%) begleitet von Schwitzen und Unruhe.

Die hoch dosierte Insulintherapie senkt die Sterblichkeit während der Intensivbehandlung (primäres Zielkriterium) von 8% auf 4,6% (NNT = 30). Diese Differenz bleibt während des weiteren Krankenhausaufenthalts erhalten, mit einer Mortalitätssenkung von 10,9% auf 7,2% (NNT = 28). Septikämien während der Intensivbehandlung nehmen von 7,8% auf 4,2% ab (NNT = 28), länger als zehn Tage erforderliche Antibiotikatherapie von 17,1% auf 11,2% (NNT = 17). Deutlich weniger Patienten benötigen Intensivbehandlung oder Beatmung über mehr als zwei Wochen. Dialyse und Hämofiltration werden ebenfalls seltener erforderlich. Am deutlichsten sinkt die Mortalität bei den Patienten, die länger als fünf Tage auf der Intensivstation bleiben müssen (20,2% vs. 10,6%). Dieses Ergebnis ist jedoch zurückhaltend zu interpretieren, da die Untergruppe erst nachträglich definiert wurde.

Die Studie ist wegen der Anpassung der Insulindosis zwar nicht verblindet, erscheint aber insgesamt valide durchgeführt. Bis auf die Insulin- und Antibiotikatherapie gibt es in der Behandlung der beiden Gruppen keine Unterschiede und somit keine Hinweise auf relevante Verzerrung zu Gunsten der Interventionsgruppe. Die Ergebnisse bedürfen aber der Bestätigung in anderen Zentren und bei einem breiterem Spektrum kritisch kranker Patienten.

Der günstige Einfluss der hoch dosierten Insulintherapie bei Patienten im Postaggressionsstoffwechsel wirft ein neues Licht auf die 1999 publizierten Studien mit Wachstumshormon, das die Sterblichkeit dieser Patienten verdoppelte (a-t 1999; Nr. 10: 112). Wachstumshormon verstärkt Hyperglykämie und Insulinresistenz. Neu beleuchtet werden andererseits auch die alten Versuche mit Glukose-Insulin-Kalium-Infusion (GIK) nach Herzinfarkt. Nach einer Metaanalyse von neun überwiegend kleinen Studien sinkt die Krankenhaussterblichkeit um 28%.2

FAZIT: Hoch dosierte Insulintherapie mit dem Ziel der Blutzuckernormalisierung senkt bei chirurgischen Intensivpatienten die Sterblichkeit um ein Drittel. Die mit hoher Mortalität behafteten septischen Komplikationen nehmen um fast die Hälfte ab. Dies gilt auch für Patienten ohne Diabetes in der Vorgeschichte. Die Risiken der Insulintherapie unter Intensivüberbewachung sind gering. Die beeindruckenden Ergebnisse bedürfen der Bestätigung in anderen Zentren und bei einem breiteren Spektrum kritisch kranker Patienten. Unseres Erachtens lässt sich diese Behandlung jedoch schon jetzt auf chirurgischen Intensivstationen empfehlen, insbesondere bei Patienten nach Herzoperation.

© 2001 arznei-telegramm

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