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Korrespondenz

JETZT GEGEN POCKEN IMPFEN?

Sollte man in Anbetracht der aktuellen Drohung eines eventuellen Pockenanschlags auf Deutschland erwägen, wieder gegen Pocken zu impfen? Vorteil: Die per se nicht ganz unproblematische Impfung doch lieber in Ruhe rechtzeitig in gesundem Zustand vorzunehmen...

Dr. med. R. GOLTERMANN (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-60326 Frankfurt/M.
Interessenkonflikt: Keiner

1979 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Welt für pockenfrei erklärt. Zu Beginn der 80er Jahre wurde die Impfung mit der Lebendvakzine eingestellt, in vielen Ländern schon früher. Studienbelege zur Schutzdauer der damaligen Impfung finden wir nicht. Nach einmaliger Impfung soll ein zuverlässiger Schutz nur etwa drei bis fünf Jahre bestehen,1,2 nach erneuter Impfung auch beträchtlich länger. Resteffekte nach Jahrzehnten erscheinen möglich.3 Die Impfung geht mit hoher Komplikationsrate einher und kann schwere, auch bleibende Gesundheitsschäden auslösen. Betroffen ist meist das ZNS, insbesondere bei Erstimpflingen. Gefürchtet sind Meningitis, postvakzinale Enzephalomyelitis (auch tödlich endend) sowie generalisierte Hautreaktionen u.a. Die Entwicklung eines wahrscheinlich besser verträglichen Impfstoffes auf der Basis des modifizierten Vakzinevirus Ankara (MVA) wurde in den 70er und 80er Jahren nicht zur Marktreife gebracht, da sie mit dem Ende der Pockenära zusammenfiel.4

Pocken werden durch Tröpfchen- und Schmierinfektion übertragen (Inkubationszeit 7 bis 19 Tage; hohe Infektiosität ab erstem Fieberanstieg bis zum Abfallen der letzten Kruste). Die Infektion könnte sich bei weitgehend fehlendem Impfschutz rasch ausbreiten.

Eine Pockenvakzine ist in Deutschland derzeit nicht zugelassen und daher nicht im Handel erhältlich. Individuelle Impfungen sind somit nicht möglich. Als rein präventive Maßnahme lassen sie sich mit der derzeitigen, z.B. auf Tierhaut hergestellten Vakzine nicht rechtfertigen: Ohne konkrete unmittelbare Infektionsgefahr erscheint uns die Abwägung von Nutzen und Schaden negativ. Dabei spricht nicht nur die schlechte Verträglichkeit, insbesondere bei Patienten mit atopischer Dermatitis oder Immunschwäche dagegen, sondern auch die Gefährdung durch Kontaktinfektion (contact vaccinia). Die Impfung wird heute insgesamt wahrscheinlich sogar schlechter als noch vor Jahrzehnten vertragen, da die Prävalenz von atopischen Dermatitiden und Erkrankungen mit Immunschwäche - also Risikofaktoren für schwere Reaktionen auf Pockenimpfung - beträchtlich zugenommen hat.5

Die Bundesregierung hat im November sechs Millionen Dosen eingekauft, die für 24 Millionen Menschen reichen sollen. Weitere 11 Millionen Vakzinen sind bestellt. Die eingelagerten Impfstoffe sollen im Bedarfsfall über spezielle Impfstellen für die Massenimpfung bzw. für Riegelimpfungen nach Erregerkontakt zugänglich gemacht werden. Dann ist allerdings Eile angezeigt: Es muss innerhalb von vier Tagen nach Virusexposition geimpft werden.3

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