Digoxin bei Herzinsuffizienz: Spiegel im oberen therapeutischen Bereich riskant? Digitalisverordnungen sind in Deutschland in den letzten zehn
Jahren um 50% zurückgegangen. Zu Recht: In der einzigen randomisierten Langzeitstudie (DIG*) bei Herzinsuffizienz hat Digoxin (LANICOR u.a.) keinen
Einfluss auf die Sterblichkeit. Lediglich die Rate der Krankenhauseinweisungen wird geringfügig gesenkt (a-t 1997; Nr.
4: 45). Nach einer Post-hoc-Analyse der DIG-Studie scheint der obere Bereich der geltenden therapeutischen Serumspiegel (angestrebt: 0,5-2,0 ng/ ml) riskant
zu sein. In die Auswertung werden alle 1.171 Männer der Verumgruppe einbezogen, bei denen nach einmonatiger Therapie und frühestens sechs
Stunden nach der letzten Einnahme Digoxinserumspiegel bestimmt wurden. Patienten mit Spiegeln von 1,2 ng/ml oder höher haben danach ein signifikant
erhöhtes Sterblichkeitsrisiko im Vergleich zur Plazebogruppe der Studie. Sie scheinen jedoch bereits bei Studienbeginn durch höheres Alter, höhere
NYHA-Klasse, häufigere Herzinsuffizienzbeschwerden und schlechtere Nierenfunktion mehr gefährdet zu sein als die Teilnehmer der Plazebogruppe. Bei
Berücksichtigung dieser Patientencharakteristika in einer multivariaten Analyse schwächt sich der negative Digoxineffekt ab. Es bleibt aber ein Trend zu
schlechterem Abschneiden der Verumgruppe mit hohen Serumspiegeln (Relatives Risiko [RR] 1,16; 95% Vertrauensintervall [CI] 0,96-1,39). Die Sterblichkeit bei
mittleren Serumspiegeln (0,9-1,1 ng/ml) unterscheidet sich nicht von der unter Plazebo. Patienten mit Serumspiegeln zwischen 0,5 ng/ml und 0,8 ng/ml haben
dagegen einen signifikanten Überlebensvorteil (adjustierte Analyse: RR 0,80; 95% CI 0,68-0,94). Bei Frauen (Anteil: 22%) ergibt sich ein
ähnlicher Trend zu erhöhter Mortalität unter höheren Wirkspiegeln. Dieser lässt sich jedoch wegen zu kleiner Zahlen statistisch nicht
sichern (RATHORE, S.S. et al.: JAMA 2003; 289: 871-8; ati d). Nach einer weiteren Nachauswertung ist zudem fraglich, ob sich für Frauen überhaupt
sichere Wirkspiegel angeben lassen: In der Subgruppe besteht insgesamt ein Trend zu höherer Sterblichkeit unter Digoxin als unter Plazebo (RR 1,17; 95% CI
0,97-1,40; RATHORE, S.S. et al.: N. Engl. J. Med. 2002; 347: 1403-11). Die Aussagekraft von Post-hoc-Analysen randomisierter Studien ist sehr begrenzt. Da aber
gegenteilige Daten aus prospektiven Studien fehlen, ist, wenn bei Herzinsuffizienz überhaupt Digoxin in Betracht gezogen wird, beim derzeitigen Kenntnisstand
vorsichtshalber ein Spiegel zwischen 0,5 ng/ml bis 0,8 ng/ml anzustreben. Die Nutzen-Schaden-Abwägung bei Frauen ist mit den Patientinnen sehr
sorgfältig zu erörtern, -Red.
* |
DIG = Digitalis Investigation Group |
© 2003 arznei-telegramm |
Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.