Was verbirgt sich hinter dem Wirkstoffnamen "Caroverin"? ... "Caroverin" wurde in einer Sendung des
Fernsehsenders 3SAT als erfolgversprechendes Medikament vorgestellt und wird offensichtlich bei Hörsturz und Tinnitus eingesetzt.
Dr. med. K. GORKISCH (Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten)
D-28203 Bremen
Interessenkonflikt: keiner
Caroverin (zum Beispiel Österreich: SPASMIUM u.a.) ist ein in Deutschland nicht zugelassenes Spasmolytikum, das Kalzium- und Glutamatrezeptor-
antagonistische Eigenschaften haben soll. Mit der Erprobung bei Tinnitus hat sich hauptsächlich eine österreichische Arbeitsgruppe befasst.
Nach deren Hypothese entsteht subjektiver Tinnitus - Ohrgeräusche ohne objektive Geräuschquelle - bei den meisten Patienten an glutaminergen
Synapsen im Innenohr ("kochleärer synaptischer Tinnitus"). Caroverin soll die Aktivität der Glutamatrezeptoren auf ein physiologisches Maß
reduzieren.1 Die pathophysiologischen Kenntnisse zum Tinnitus sind nach wie vor lückenhaft. Der Innenohrthese steht die besonders in der neueren
Forschung favorisierte Hypothese einer zentralen Entstehung gegenüber.
Wir finden nur eine kleine randomisierte Studie mit 60 durchschnittlich 52 Jahre alten Patienten, in der ein Nutzen von Caroverin bei Tinnitus beschrieben
wird1 und die offenbar der österreichischen Zulassung von Caroverin (TINNITIN) bei dieser Indikation zugrunde liegt. Die Intervention besteht in einer
einmaligen Infusion von bis zu 160 mg Caroverin in Kochsalzlösung oder von Kochsalzlösung allein. Der Effekt wird während bzw. unmittelbar nach
der Infusion (primäres Zielkriterium) und eine Woche danach gemessen. Als Ansprechen gilt die subjektive Besserung um mindestens einen Punkt auf einer 5-
Punkte-Skala sowie Abnahme der Tinnitusintensität um mindestens 50% bei Messung mit Hilfe einer Tinnitussimulation. 63% (19 von 30) in der Verumgruppe
sprechen unmittelbar nach der Infusion in diesem Sinne an, dagegen niemand unter Plazebo. Nach einer Woche ist der Effekt noch bei knapp der Hälfte der
Caroverin-Anwender sowie bei einem (3%) der Plazebogruppe zu beobachten. Sechs Patienten berichten während der Infusion über Nebenwirkungen wie
schlechter Geschmack, Kopfschmerz, Flush, Schwindel und zusätzliches Ohrgeräusch.1
Die fehlende Verblindung der Studienärzte und unzureichende Basisdaten, die zudem nicht vollständig getrennt nach Behandlungs-Gruppen aufgelistet
werden, schränken die Aussagekraft der Studie ein. Als Hinweis auf mögliche systematische Verzerrung (Bias) ist zu werten, dass ein Plazeboansprechen
praktisch fehlt, obgleich der Plazeboeffekt in Tinnitusstudien als ausgeprägt gilt2 und mit bis zu 40% angegeben wird.3,4
Eine Bestätigung der Erfolgszahlen fehlt. In einer von Schweizer Autoren durchgeführten unkontrollierten Pilotstudie bleibt ein Effekt von Caroverin aus. 2
(7%) von 30 Patienten geben unmittelbar nach der Infusion Besserung an, dagegen 8 (27%) Verschlechterung. Der Plan einer randomisierten Studie mit dem Mittel
wird daraufhin aufgegeben.3
Zum Nutzen bei Hörsturz sind unseres Wissens keine kontrollierten klinischen Studien publiziert.1 Ampulle TINNITIN mit 160 mg Caroverin kostet
28,55 €.
Nutzen und Sicherheit des Spasmolytikums Caroverin (z.B. Österreich: TINNITIN u.a.) bei Tinnitus oder Hörsturz sind nicht hinreichend belegt.
Wir raten von der Anwendung ab.
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