logo
logo
Die Information für medizinische Fachkreise
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
                            a-t 2005; 36: 77-8nächster Artikel
Im Blickpunkt

HOMÖOPATHISCHE ARZNEIMITTEL: KEIN UNTERSCHIED ZU PLAZEBO

Homöopathie basiert auf der Vorstellung, dass eine Krankheit durch Stoffe, die bei Gesunden Zeichen eben dieser Krankheit hervorrufen können, geheilt werden kann (similia similibus curentur: Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt). Der Stoff wird in starker Verdünnung angewendet, die nach homöopathischer Lehre seine Wirksamkeit nicht abschwächt, sondern verstärkt (Potenzierung). In hohen Potenzen sind rechnerisch gar keine Moleküle des Ausgangsstoffes mehr zu erwarten. Nach homöopathischer Vorstellung enthält die Lösung aber etwas vom "geistigen Wesen" der Ursubstanz. Mit etablierten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Entstehung und Behandlung von Krankheiten sind diese Annahmen der Homöopathie nicht vereinbar. Sie zählt in Deutschland zu den besonderen Therapierichtungen. Homöopathische Arzneimittel können ohne Wirksamkeitsnachweis im Sinne des Arzneimittelgesetzes in den Handel gebracht werden, wenn sich die zuständige Kommission darüber einig ist ("Binnenkonsens").

In einer 1997 veröffentlichten Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien zur Homöopathie kommen die Autoren zu dem Schluss, dass sich die beobachteten Effekte nicht vollständig mit einer Plazebowirkung erklären lassen.1 Später rücken sie von dieser Einschätzung jedoch etwas ab, nachdem in einer erneuten Analyse deutlich wird, dass Studien von hoher methodischer Qualität signifikant seltener zu positiven Ergebnissen kommen.2 Eine schweizerisch/britische Arbeitsgruppe legt jetzt eine um neuere Studien aktualisierte systematische Übersicht vor, in der sie der Frage nachgeht, inwieweit Verzerrungen (Bias) aufgrund mangelhafter methodischer Qualität oder selektiver Publikation von Positivstudien für die Effekte in Veröffentlichungen zur Homöopathie verantwortlich sein könnten. Sie vergleichen dies zudem mit dem Einfluss von Verzerrungen in Studien zur konventionellen Medizin ("Allopathie"), die dem Studienregister der COCHRANE Collaboration entnommen sind und in denen ähnliche Erkrankungen und Endpunkte geprüft werden. Von den Allopathiestudien wird jeweils eine nach dem Zufallsprinzip den Homöopathiestudien zugeordnet. Jeweils 110 homöopathische und allopathische plazebokontrollierte, randomisierte oder quasi randomisierte Studien mit klinischen Endpunkten werden ausgewertet. 50% der Studien schließen höchstens 65 Patienten ein. Die größten Untersuchungen haben etwa 1.500 Teilnehmer. Die häufigsten Indikationen sind Atemwegserkrankungen, weitere umfassen gynäkologische, gastrointestinale und muskuloskelettale Erkrankungen.3

Ein Hinweis auf Bias ergibt sich sowohl in den Arbeiten zur Homöopathie als auch in denen zur Allopathie daraus, dass hier wie dort kleinere Studien größere Effekte zeigen als Studien mit höheren Patientenzahlen (asymmetrischer Funnel-Plot*). Dies kann durch selektive Publikation bedingt sein (Publikationsbias): Kleinere Studien benötigen für ein signifikantes Ergebnis einen größeren Therapieeffekt. Nicht signifikante Studien haben aber eine geringere Chance, publiziert zu werden, insbesondere dann, wenn sie klein sind. Dies kann aber auch durch methodische Mängel bedingt sein, die mit höherer Wahrscheinlichkeit kleine Studien betreffen (häufig nur ein Zentrum, keine externe methodologische Unterstützung etc.). Nach Einschätzung der Autoren kann die Studiengröße ein präziseres Maß für die Studienqualität sein als eine formale Qualitätsbewertung anhand konkreter Kriterien, da die Daten zur Methodik häufig unzureichend mitgeteilt werden.3

*

Dieser sogenannte Funnel (=Trichter)-Plot (=Kurve) basiert darauf, dass die Präzision, mit der ein Therapieeffekt abgeschätzt werden kann, mit der Studiengröße zunimmt. Kleine Studien streuen stärker um den "wahren" Effekt als größere. Trägt man die Effektgröße gegen die Studiengröße auf, sollte, wenn kein Bias vorliegt, der Funnel-Plot symmetrisch sein und einem umgedrehten Trichter ähneln.

Der Therapieeffekt hängt in Homöopathiestudien zudem signifikant von verschiedenen Qualitätskriterien und -markern ab. So lassen nichtverblindete Studien oder solche, die nicht in Medline aufgeführt sind, größere Wirkungen erkennen als verblindete bzw. in Medline indexierte. Insgesamt gehen methodisch mangelhafte Studien mit größeren Effekten einher als solche von höherer Qualität. Auch diese Befunde weisen auf Verzerrungen als Ursache für die in Homöopathiestudien beobachteten vermeintlichen Vorteile gegenüber Plazebo hin. Dagegen lässt sich für andere Faktoren wie Indikationen einschließlich akuter und chronischer Erkrankungen oder Dauer der Nachbeobachtung kein Zusammenhang mit der Effektgröße nachweisen. Dies gilt, anders als häufig von homöopathischen Ärzten eingewandt, insbesondere auch für die Form der Homöopathie: Studien zur klassischen Homöopathie mit eingehender Anamnese und Verordnung einer individuell angepassten Zubereitung unterscheiden sich in ihren Ergebnissen nicht von denen zu anderen Homöopathieformen. In ähnlicher Weise wie in den Homöopathiestudien sind Qualitätsmerkmale auch in den Untersuchungen zur konventionellen Medizin mit dem Ausmaß des Therapieeffekts verknüpft. Der Zusammenhang ist hier aber nicht signifikant.3

Auch die Gegenprobe stützt den Verdacht, dass dem vermeintlich spezifischen Nutzen der Homöopathie in plazebokontrollierten Studien Verzerrungen zugrunde liegen: Werden nur die größeren Studien von höherer Qualität ausgewertet, dann ist der Therapieeffekt bei der Homöopathie klein und nicht signifikant (8 Studien; Odds ratio [OR] 0,88; 95% Vertrauensintervall [CI] 0,65-1,19), während sich in Studien zur konventionellen Medizin auch dann noch ein großer und signifikanter Effekt ergibt (6 Studien; OR 0,58; 95% CI 0,39-0,85). Für eine virtuelle Studie vom Umfang der größten Homöopathiestudie lässt sich nach Berechnungen aus dem Funnel-Plot kein von Null verschiedener Effekt mehr ermitteln (OR 0,96; 95% CI 0,73-1,25), für eine entsprechende Allopathiestudie bliebe ein signifikanter Effekt dagegen erhalten (OR 0,67; 95% CI 0,48-0,91).3

Wie die Autoren zu Recht einräumen, lässt sich ein nicht vorhandener spezifischer Nutzen homöopathischer Arzneimittel letztendlich nicht beweisen.3 Die Beweislast liegt unseres Erachtens jedoch auf Seiten desjenigen, der den Nutzen einer Methode beansprucht: Deren spezifische therapeutische Wirksamkeit muss in methodisch validen Studien nachgewiesen sein. Solange sich über Plazeboeffekte hinausgehende positive Ergebnisse in Studien zur Homöopathie mit Verzerrungen aufgrund methodischer Mängel oder selektiver Publikation erklären lassen, wie es die sorgfältig erarbeitete Metaanalyse mit verschiedenen Methoden plausibel darlegt, ist der Beweis eines spezifischen Nutzens der Homöopathie nicht geführt.

Die Autoren sehen keinen Bedarf für weitere plazebokontrollierte Studien zur Homöopathie. Als wichtiger erachten sie die Erforschung so genannter Kontexteffekte, zu denen insbesondere die Arzt-Patienten-Beziehung gehört und die den Nutzen einer Therapie beeinflussen können. Hierin könnte eine Stärke der Homöopathie liegen, während in diesem Bereich die moderne konventionelle Medizin eher Defizite erkennen lässt.3,4

 Nach einer älteren Metaanalyse sollen sich die in kontrollierten Studien zur Homöopathie beobachteten Effekte nicht allein auf eine Plazebowirkung zurückführen lassen.

 Nach einer aktuellen Metaanalyse sind die über Plazebo hinausgehenden Effekte in Homöopathiestudien jedoch mit Verzerrungen aufgrund methodischer Mängel oder selektiver Publikation von Positivstudien erklärbar.

 In entsprechenden Studien zur konventionellen Medizin lässt sich dagegen auch bei Berücksichtigung dieser Verzerrungen noch ein signifikanter Therapieeffekt erkennen.

 Der Nachweis, dass homöopathische Arzneimittel mehr bewirken als ein Scheinmedikament, ist somit nicht geführt.

 

 

(M = Metaanalyse)

M

1

LINDE, K. et al.: Lancet 1997; 350: 834-43

M

2

LINDE, K. et al.: J. Clin. Epidemiol. 1999; 52: 631-6

M

3

SHANG, A. et al.: Lancet 2005; 366: 726-32

 

4

Editorial: Lancet 2005; 366: 690

© 2005 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.

                            a-t 2005; 36: 77-8nächster Artikel