Homöopathie basiert auf der Vorstellung, dass eine Krankheit durch Stoffe, die bei Gesunden Zeichen eben dieser Krankheit hervorrufen
können, geheilt werden kann (similia similibus curentur: Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt). Der Stoff wird in starker Verdünnung
angewendet, die nach homöopathischer Lehre seine Wirksamkeit nicht abschwächt, sondern verstärkt (Potenzierung). In hohen Potenzen sind
rechnerisch gar keine Moleküle des Ausgangsstoffes mehr zu erwarten. Nach homöopathischer Vorstellung enthält die Lösung aber etwas vom
"geistigen Wesen" der Ursubstanz. Mit etablierten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Entstehung und Behandlung von Krankheiten sind diese
Annahmen der Homöopathie nicht vereinbar. Sie zählt in Deutschland zu den besonderen Therapierichtungen. Homöopathische Arzneimittel
können ohne Wirksamkeitsnachweis im Sinne des Arzneimittelgesetzes in den Handel gebracht werden, wenn sich die zuständige Kommission
darüber einig ist ("Binnenkonsens").
In einer 1997 veröffentlichten Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien zur Homöopathie kommen die Autoren zu dem Schluss, dass sich die
beobachteten Effekte nicht vollständig mit einer Plazebowirkung erklären lassen.1 Später rücken sie von dieser Einschätzung
jedoch etwas ab, nachdem in einer erneuten Analyse deutlich wird, dass Studien von hoher methodischer Qualität signifikant seltener zu positiven Ergebnissen
kommen.2 Eine schweizerisch/britische Arbeitsgruppe legt jetzt eine um neuere Studien aktualisierte systematische Übersicht vor, in der sie der Frage
nachgeht, inwieweit Verzerrungen (Bias) aufgrund mangelhafter methodischer Qualität oder selektiver Publikation von Positivstudien für die Effekte in
Veröffentlichungen zur Homöopathie verantwortlich sein könnten. Sie vergleichen dies zudem mit dem Einfluss von Verzerrungen in Studien zur
konventionellen Medizin ("Allopathie"), die dem Studienregister der COCHRANE Collaboration entnommen sind und in denen ähnliche Erkrankungen
und Endpunkte geprüft werden. Von den Allopathiestudien wird jeweils eine nach dem Zufallsprinzip den Homöopathiestudien zugeordnet. Jeweils 110
homöopathische und allopathische plazebokontrollierte, randomisierte oder quasi randomisierte Studien mit klinischen Endpunkten werden ausgewertet. 50%
der Studien schließen höchstens 65 Patienten ein. Die größten Untersuchungen haben etwa 1.500 Teilnehmer. Die häufigsten
Indikationen sind Atemwegserkrankungen, weitere umfassen gynäkologische, gastrointestinale und muskuloskelettale Erkrankungen.3
Ein Hinweis auf Bias ergibt sich sowohl in den Arbeiten zur Homöopathie als auch in denen zur Allopathie daraus, dass hier wie dort kleinere Studien
größere Effekte zeigen als Studien mit höheren Patientenzahlen (asymmetrischer Funnel-Plot*). Dies kann durch selektive Publikation bedingt sein
(Publikationsbias): Kleinere Studien benötigen für ein signifikantes Ergebnis einen größeren Therapieeffekt. Nicht signifikante Studien haben
aber eine geringere Chance, publiziert zu werden, insbesondere dann, wenn sie klein sind. Dies kann aber auch durch methodische Mängel bedingt sein, die
mit höherer Wahrscheinlichkeit kleine Studien betreffen (häufig nur ein Zentrum, keine externe methodologische Unterstützung etc.). Nach
Einschätzung der Autoren kann die Studiengröße ein präziseres Maß für die Studienqualität sein als eine formale
Qualitätsbewertung anhand konkreter Kriterien, da die Daten zur Methodik häufig unzureichend mitgeteilt werden.3
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Dieser sogenannte Funnel (=Trichter)-Plot (=Kurve) basiert darauf, dass die Präzision, mit der ein Therapieeffekt
abgeschätzt werden kann, mit der Studiengröße zunimmt. Kleine Studien streuen stärker um den "wahren" Effekt als größere.
Trägt man die Effektgröße gegen die Studiengröße auf, sollte, wenn kein Bias vorliegt, der Funnel-Plot symmetrisch sein und einem
umgedrehten Trichter ähneln.
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Der Therapieeffekt hängt in Homöopathiestudien zudem signifikant von verschiedenen Qualitätskriterien und -markern ab. So lassen nichtverblindete
Studien oder solche, die nicht in Medline aufgeführt sind, größere Wirkungen erkennen als verblindete bzw. in Medline indexierte. Insgesamt gehen
methodisch mangelhafte Studien mit größeren Effekten einher als solche von höherer Qualität. Auch diese Befunde weisen auf Verzerrungen als
Ursache für die in Homöopathiestudien beobachteten vermeintlichen Vorteile gegenüber Plazebo hin. Dagegen lässt sich für andere
Faktoren wie Indikationen einschließlich akuter und chronischer Erkrankungen oder Dauer der Nachbeobachtung kein Zusammenhang mit der
Effektgröße nachweisen. Dies gilt, anders als häufig von homöopathischen Ärzten eingewandt, insbesondere auch für die Form der
Homöopathie: Studien zur klassischen Homöopathie mit eingehender Anamnese und Verordnung einer individuell angepassten Zubereitung unterscheiden
sich in ihren Ergebnissen nicht von denen zu anderen Homöopathieformen. In ähnlicher Weise wie in den Homöopathiestudien sind
Qualitätsmerkmale auch in den Untersuchungen zur konventionellen Medizin mit dem Ausmaß des Therapieeffekts verknüpft. Der Zusammenhang ist
hier aber nicht signifikant.3
Auch die Gegenprobe stützt den Verdacht, dass dem vermeintlich spezifischen Nutzen der Homöopathie in plazebokontrollierten Studien Verzerrungen
zugrunde liegen: Werden nur die größeren Studien von höherer Qualität ausgewertet, dann ist der Therapieeffekt bei der Homöopathie
klein und nicht signifikant (8 Studien; Odds ratio [OR] 0,88; 95% Vertrauensintervall [CI] 0,65-1,19), während sich in Studien zur konventionellen Medizin auch
dann noch ein großer und signifikanter Effekt ergibt (6 Studien; OR 0,58; 95% CI 0,39-0,85). Für eine virtuelle Studie vom Umfang der größten
Homöopathiestudie lässt sich nach Berechnungen aus dem Funnel-Plot kein von Null verschiedener Effekt mehr ermitteln (OR 0,96; 95% CI 0,73-1,25),
für eine entsprechende Allopathiestudie bliebe ein signifikanter Effekt dagegen erhalten (OR 0,67; 95% CI 0,48-0,91).3
Wie die Autoren zu Recht einräumen, lässt sich ein nicht vorhandener spezifischer Nutzen homöopathischer Arzneimittel letztendlich nicht
beweisen.3 Die Beweislast liegt unseres Erachtens jedoch auf Seiten desjenigen, der den Nutzen einer Methode beansprucht: Deren spezifische
therapeutische Wirksamkeit muss in methodisch validen Studien nachgewiesen sein. Solange sich über Plazeboeffekte hinausgehende positive Ergebnisse in
Studien zur Homöopathie mit Verzerrungen aufgrund methodischer Mängel oder selektiver Publikation erklären lassen, wie es die sorgfältig
erarbeitete Metaanalyse mit verschiedenen Methoden plausibel darlegt, ist der Beweis eines spezifischen Nutzens der Homöopathie nicht geführt.
Die Autoren sehen keinen Bedarf für weitere plazebokontrollierte Studien zur Homöopathie. Als wichtiger erachten sie die Erforschung so genannter
Kontexteffekte, zu denen insbesondere die Arzt-Patienten-Beziehung gehört und die den Nutzen einer Therapie beeinflussen können. Hierin könnte
eine Stärke der Homöopathie liegen, während in diesem Bereich die moderne konventionelle Medizin eher Defizite erkennen lässt.3,4
Nach einer älteren Metaanalyse sollen sich die in kontrollierten Studien zur
Homöopathie beobachteten Effekte nicht allein auf eine Plazebowirkung zurückführen lassen.
Nach einer aktuellen Metaanalyse sind die über Plazebo hinausgehenden
Effekte in Homöopathiestudien jedoch mit Verzerrungen aufgrund methodischer Mängel oder selektiver Publikation von Positivstudien
erklärbar.
In entsprechenden Studien zur konventionellen Medizin lässt sich dagegen
auch bei Berücksichtigung dieser Verzerrungen noch ein signifikanter Therapieeffekt erkennen.
Der Nachweis, dass homöopathische Arzneimittel mehr bewirken als ein
Scheinmedikament, ist somit nicht geführt.
| | (M = Metaanalyse)
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M | 1 | LINDE, K. et al.: Lancet
1997; 350: 834-43
|
M | 2 | LINDE, K. et al.: J. Clin.
Epidemiol. 1999; 52: 631-6 |
M | 3 | SHANG, A. et al.: Lancet
2005; 366: 726-32 |
| 4 | Editorial: Lancet 2005; 366:
690 |
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