Seit Oktober ist TARGIN im Handel, eine Fixkombination des Opioids
Oxycodon (OXYGESIC) mit dem Opioidantagonisten Naloxon. TARGIN wurde im "Fast-track"-Verfahren nach § 28 (3) Arzneimittelgesetz zugelassen. Dieses
Verfahren kann angewendet werden, wenn "hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Arzneimittel einen großen therapeutischen Wert haben
kann und deshalb ein öffentliches Interesse an seinem unverzüglichen Inverkehrbringen besteht". Im Fall von TARGIN bedeutet dies: Es wurde allein auf
der Basis von Phase-I- und -II-Daten zugelassen. Im Phase-III-Programm wird das Mittel in Abstimmung mit der Zulassungsbehörde erst noch
geprüft.1 Veröffentlichte Studien zu TARGIN finden wir gar nicht und werden uns auch vom Hersteller nicht überlassen.
Die Beimischung von Naloxon soll der Vorbeugung oder Therapie einer Opioid-bedingten Obstipation dienen.2 Die Idee ist nicht neu. Naloxon unterliegt bei
Einnahme per os einem hohen First-pass-Effekt. Die systemische Bioverfügbarkeit des Opioidantagonisten beträgt dann etwa 2%.3 Er
könnte also die unerwünschte Opioidwirkung an peripheren Rezeptoren im Gastrointestinaltrakt aufheben, ohne die Schmerzstillung zu
beeinträchtigen.
Das Konzept wurde bislang allerdings nur in wenigen kleinen kurzen und zum Teil unkontrollierten klinischen Studien mit 3 bis 46 Patienten geprüft.4-
10 Danach scheint Naloxon in freier Kombination mit der bisherigen Opioidmedikation zumindest bei einem Teil der Patienten abführend zu wirken. Es kann
aber auch lokale und systemische Entzugssymptome einschließlich Wiederauftreten der Schmerzen und ausgeprägter gastrointestinaler Beschwerden wie
Durchfall oder Koliken provozieren. Das therapeutische "Fenster" scheint klein zu sein.3 Effektive, aber zugleich sichere Dosierungen scheinen zudem
interindividuell erheblich zu variieren. Soweit sich aus den spärlichen Daten überhaupt Schlüsse ziehen lassen, scheint es erforderlich, mit einer
niedrigen Dosis anzufangen und unter sorgfältiger Überwachung vorsichtig aufzutitrieren.5,7 Überprüfbare Daten mit
größeren Kollektiven und zum längerfristigen Verlauf fehlen auch für die freie Kombination von Naloxon mit Opioiden.
Ein Monopräparat mit Naloxon zur Anwendung per os steht nicht zur Verfügung. Auf die Fixkombination sind die bisherigen spärlichen Erkenntnisse
jedoch in keiner Weise übertragbar. TARGIN lässt eine Aufdosierung mit weniger als 5 mg Naloxon pro Einzeldosis nicht zu. Diese Dosis scheint hoch im
Vergleich mit den initialen Dosierungen in bisherigen Studien, in denen auftitriert wurde (0,5 mg bis 4 mg pro Einzeldosis4,7,9,10). Angesichts der
Variabilität des Ansprechens auf Naloxon ist der medizinische Sinn einer fixen Kombination mit Oxycodon ohnehin nicht nachvollziehbar. Laut Fachinformation
wurde in bisherigen klinischen Studien die Umstellung auf TARGIN nur bei solchen Patienten geprüft, die zuvor auf Oxycodon eingestellt waren. Oxycodon ist
jedoch nicht Mittel der Wahl zur Behandlung starker Schmerzen. Zur Umstellung von anderen Opioiden wie dem Erstwahlmittel Morphin (MST MUNDIPHARMA u.a.)
auf TARGIN liegen keine Erfahrungen vor.2 Die Retardformulierung von Oxycodon in TARGIN entspricht derjenigen in OXYGESIC,2 d.h. knapp
40% der Tablette werden schnell freigesetzt, der Rest verzögert.11 Für die Therapie von Dauerschmerzen, bei der eine gleichmäßige
Analgesie angestrebt wird, ist eine solche Kinetik nicht angemessen.
TARGIN wird exakt zum gleichen Preis wie OXYGESIC in entsprechender Wirkstärke angeboten. 100 Tabletten 10/5 mg TARGIN beziehungsweise 10 mg
OXYGESIC kosten 121,53 €, 100 Tabletten der doppelten Wirkstärke 209,28 €.
Welches öffentliche Interesse sollte am unverzüglichen Inverkehrbringen eines Behandlungsprinzips wie TARGIN bestehen, über das fast nichts bekannt ist, dessen wenige bekannte Eckdaten aber mit medizinischer Ratio nicht
in Einklang zu bringen sind?
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| | (R =
randomisierte Studie) |
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1 |
Mundipharma: Schreiben vom 16. Nov. 2006 |
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2 |
Mundipharma: Fachinformation TARGIN, Stand Juni 2006 |
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3 |
KURZ, A., SESSLER, D.I.: Drugs 2003; 63: 649-71 |
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4 |
CULPEPPER-MORGAN, J.A. et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 1992; 52: 90-5 |
R |
5 |
SYKES, N.P.: Palliat. Med. 1996; 10: 135-44 |
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6 |
LATASCH, L. et al.: Anaesthesist 1997; 46: 191-4 |
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7 |
MEISSNER, W. et al.: Pain 2000; 84: 105-9 |
R |
8 |
LIU, M., WITTBRODT, E.: J. Pain Symptom Manag. 2002; 23: 48-53 |
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9 |
TOFIL, N.M. et al.: Pediatr. Crit. Care Med. 2006; 7: 252-4 |
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10 |
BOOMGAARDEN-BRANDES, K. et al.: "Behandlung der opioid-induzierten Obstipation mit
Naloxon p.o." unveröffentlichtes Manuskript ohne Datum, von Mundi-Pharma überlassen |
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11 |
Mundipharma: wissenschaftl. Basisbroschüre OXYGESIC, 9419, Stand Aug.
1998 |
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