Haben Sie Informationen zu GRAZAX, der "Grastablette"?
Dr. med. W. BERGMANN (Hausarzt)
D-52441 Linnich
Interessenkonflikt: keiner
Seit November 2006 ist in Deutschland das Allergenpräparat GRAZAX
erhältlich zur sublingualen Anwendung bei Gräserpollen-induzierter Rhinitis und Konjunktivitis. Die Zulassung ist auf Erwachsene mit klinisch relevanten
Symptomen und gesicherter Diagnose (Pricktest/spezifisches IgE) beschränkt.1 Eine Tablette enthält 75.000 "standardisierte
Qualitätseinheiten" (SQ-T) aus Gräserpollen von Wiesenlieschgras. Aufgrund des geringeren Schluckreflexes sollen die Allergene als Sublingualtablette
zuverlässiger absorbiert werden als bei den bisherigen flüssigen Präparaten.
Während wir für die subkutan verabreichte Immuntherapie Evidenz für eine begrenzte Wirksamkeit bei allergischer Rhinokonjunktivitis sehen (a-t 2006; 37: 56-8), erscheint die Datenlage für die sublinguale Applikationsform bisher
ungenügend (a-t 2005; 36: 73).
Der Nutzen von GRAZAX bei allergischer Rhinokonjunktivitis wird in zwei randomisierten plazebokontrollierten Studien geprüft. 855 Patienten
mit allergischer Rhinitis verwenden acht Wochen vor und während einer Graspollensaison entweder eine von drei Dosierungen des Allergenextraktes oder
Plazebo. Die Wirksamkeit wird anhand von Patiententagebüchern gemessen, wobei die Patienten die Intensität ihrer Beschwerden in verschiedenen
Bereichen (tränende Augen, verstopfte Nase etc.) mit einem Punktwert von 0 (symptomlos) bis 3 (schwere Symptome) einschätzen. Der mittlere
Symptom-Score (primärer Endpunkt) über die gesamte Graspollensaison wird für die 294 Patienten, die die jetzt zugelassene Dosierung von 75.000
SQ-T täglich einnehmen, numerisch leicht, aber nicht signifikant gesenkt (2,5 versus 2,9).* Lediglich für die Zeit der maximalen Pollenbelastung wird ein
grenzwertig signifikanter Unterschied zwischen Verum und Plazebo angegeben (3,6 versus 4,2, p = 0,047).2
* Die maximal erreichbare Punktzahl wird nicht angegeben; da 6 Symptomkomplexe abgefragt werden, sind vermutlich Werte zwischen 0 und
18 möglich.
In einer weiteren Studie erhalten 634 Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis täglich 75.000 SQ-T oder Plazebo. Der mittlere Symptom-Score liegt
während der gesamten Pollensaison unter Verum niedriger (2,4 versus 3,4, p = 0,0001). 82% unter der Grastablette gegenüber 55% unter Plazebo geben
in einer globalen Bewertung eine Besserung gegenüber den Symptomen früherer Jahre an.3
Der Bedarf an symptomatischen Arzneimitteln wie Antihistaminika sinkt im Vergleich zu Plazebo in beiden Studien.
An einer Sicherheitsstudie nehmen 114 Patienten mit Rhinokonjunktivitis und Asthma teil. Sie erhalten 75.000 SQ-T des Pollenextraktes oder
Plazebo. Überprüft werden als Sicherheitsparameter Asthmasymptome und diesbezüglicher Medikamentengebrauch. Diese unterscheiden sich vor
und während der Graspollensaison nicht. Der Heuschnupfensymptom-Score liegt auch in dieser Studie unter Verum niedriger als unter Plazebo (2,1 versus 3,3,
p = 0,004).4
Die schlechte methodische Qualität der Studien schwächt die Validität der angegebenen Effekte: Es ist bei allen Studien unklar, ob die Zuteilung der
Patienten verblindet geschieht (concealment of allocation*). Die Auswertungen erfolgen zudem nicht nach dem als Goldstandard geltenden Intention-to-treat-Prinzip.
Die Auswahl der ausgewerteten Patienten ist nicht nachvollziehbar,2,3 oder es werden nur Patienten, die die Studie protokollgerecht beenden,
berücksichtigt.4 Die Verblindung ist zudem aufgrund der häufigen typischen Störwirkungen nicht durchzuhalten: Juckreiz im Bereich des
Mundes (46%) und der Ohren (12%) sowie Reizungen des Rachens (9%) werden oft beschrieben.3
* Nach systematischen Erhebungen überschätzen Studien mit unklarem concealment of allocation (verdeckte und von Studienärzten nicht
beeinflussbare Zuteilung der Patienten) Therapieeffekte um etwa 30%.
Bei zwei Patienten kommt es nach Anwendung einer hohen Dosierung (375.000 SQ-T) zu bedrohlicher Verengung des Rachenraumes.5 Aber auch
unter der zugelassenen Dosierung tritt bei einem Patienten ein Angioödem mit Schwellungen im Pharynxbereich auf, die eine Behandlung mit Steroiden
erforderlich machen.3
Das Allergenpräparat GRAZAX lässt in randomisierten kontrollierten Studien während der Pollenflugsaison eine geringe Besserung von
Heuschnupfensymptomen im Vergleich mit Scheinmedikament erkennen. Die Validität der Befunde steht aufgrund der schlechten methodischen Qualität
der Untersuchungen jedoch infrage. Direkte Vergleiche mit subkutan durchgeführter Immuntherapie fehlen.
Demgegenüber sind lokale Störwirkungen im Mund- und Rachenraum
häufig und zum Teil bedrohlich.
Wir erachten die Risiko-Nutzen-Relation als negativ.
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