Ein Pharmareferent preist Pentaerythrityltetranitrat (PETN; PENTALONG) als einzig wahren NO-Donator an, der keine Toleranz entstehen
lasse... Sind Patienten namentlich unter PETN nachvollziehbar besser belastbar als unter Isosorbiddinitrat (ISDN; ISOKET u.a.)?
Dr. H. FUNCK (Fachärztin für Innere Medizin)
D-35274 Kirchhain
Interessenkonflikt: keiner
Nitrate wie Isosorbiddinitrat (ISDN; ISOKET u.a.) sind Standard in der symptomatischen Behandlung der Angina pectoris. Ein Einfluss auf die Prognose der
koronaren Herzkrankheit ist nicht nachgewiesen.1 Dem bei Dauertherapie auftretenden Gewöhnungseffekt (Toleranz) mit nachlassender antianginaler
Wirkung muss durch eine mehrstündige tägliche Nitratpause begegnet werden.
Wir finden keine in einer Peer-Review-Zeitschrift vollständig veröffentlichte randomisierte kontrollierte Studie, in der sich Pentaerythrityltetranitrat (PETN;
NIRASON N, PENTALONG) hinsichtlich Toleranzentwicklung bei Patienten mit Angina pectoris den klassischen Nitraten als überlegen erweist. Auch
der PENTALONG-Anbieter Actavis kann eine solche Studie nicht vorweisen. Die Firma stützt ihre Behauptung der fehlenden Toleranz unter PETN2,3
("Gefäßschutz ohne Toleranz"2) neben In-vitro- und Tierversuchen sowie Experimenten mit gesunden Probanden4 auf einen
zwölfwöchigen randomisierten Vergleich mit ISDN bei Angina-pectoris-Patienten, der aber, obwohl spätestens 2004 abgeschlossen, bislang nur als
Abstract5 und in Firmenbroschüren6 verbreitet wird und somit nicht beurteilbar ist. Nach Auskunft eines Firmenmitarbeiters wurde die Studie bis heute
nicht einmal zur Publikation eingereicht.7
In der Werbung für PENTALONG schreckt Actavis auch vor Manipulation nicht zurück. Zwei Behauptungen in einem aktuellen Prospekt, die als
wörtliche Zitate aus der Nationalen Versorgungsleitlinie zur koronaren Herzkrankheit1 deklariert sind, geben Aussagen dieser Leitlinie verfälscht
wieder.2 So heißt es einmal: ""Langwirkende Nitrate (PETN) verbessern die Symptomatik und Belastungstoleranz bei Angina
pectoris".2 PETN ist in dem zitierten Satz im Original aber gar nicht genannt.1 "Studien belegen verminderte Toleranzentwicklung von
PETN (PENTALONG)", so ein weiteres "Zitat" im Firmenprospekt.2 In der Leitlinie lautet der Satz:"Aus Studien mit kleinen
Patientenzahlen gibt es Hinweise auf eine verminderte Toleranzentwicklung von PETN."1 Diese deutlich vorsichtiger formulierte Aussage lässt
aber ihrerseits wissenschaftliche Sorgfalt vermissen. An den beiden als Beleg angeführten Studien haben gar keine Patienten teilgenommen, sondern 18 bzw.
30 gesunde junge Männer.8,9 Eine der beiden Arbeiten findet zudem in den als Surrogat für Toleranz geprüften Parametern keinen
Unterschied zwischen PETN und Isosorbiddinitrat (ISDN, ISOKET u.a.).9 In der anderen Studie fallen grobe Mängel auf: Einige Parameter werden nur
innerhalb der jeweiligen Gruppen als Vorher-Nachher-Vergleiche analysiert, andere zwar als Vergleich zwischen den Gruppen, aber unter Auslassung der
Ausgangswerte, die offensichtlich gar nicht erhoben werden.8
Beim derzeitigen Kenntnisstand ist nicht einmal klar, ob PETN den Standardnitraten überhaupt gleichwertig ist. PENTALONG und das Konkurrenzprodukt
NIRASON N sind in Deutschland nach wie vor nur als fiktiv zugelassene Altarzneimittel im Handel, ohne behördliche Überprüfung auf Wirksamkeit,
Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität.10,11 Die Positivlisten-Kommission hat sich 2001 wegen des vergleichsweise geringfügigen
therapeutischen Nutzens, der mangelhaften Qualität und Aussagekraft der Nutzendokumentation und Verfügbarkeit zweckmäßigerer
therapeutischen Alternativen gegen die Verordnungsfähigkeit von PETN zu Lasten der Gesetzlichen Krankenkassen ausgesprochen.12 Seither sind
unseres Wissens keine Studien vollständig in Peer-Review-Zeitschriften publiziert worden, die eine Neubewertung erfordern. In den USA kam die Altsubstanz
bereits vor Jahren wegen fehlender Wirksamkeitsnachweise aus dem Handel.13-15
Es fehlen nachprüfbare Belege für eine verminderte Toleranzentwicklung unter Pentaerythrityltetranitrat (PETN, NIRASON N, PENTALONG)
gegenüber klassischen Nitraten bei Angina pectoris.
Wir raten von der schlecht dokumentierten, fiktiv zugelassenen Altsubstanz ab, deren Wirksamkeit und Unbedenklichkeit noch nicht einmal von der
Zulassungsbehörde überprüft wurde.
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