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Tödliche Interaktion von Brivudin (ZOSTEX) und Capecitabin (XELODA)

Ein 61-jähriger Mann mit kurativ operiertem Rektumkarzinom nimmt zur adjuvanten Therapie Capecitabin (XELODA) ein und - wegen eines nach einigen Tagen auftretenden Herpes-zoster-verdächtigen Befundes auf der Stirn - zusätzlich Brivudin (ZOSTEX). Fünf Tage nach Ende des Chemotherapiezyklus wird er mit Verdacht auf exfoliative Dermatomukositis stationär aufgenommen. In den folgenden Tagen verschlechtert sich sein Zustand dramatisch mit ausgeprägten Schleimhautnekrosen, Neutropenie, Thrombopenie, Anämie und Sepsis. Zweieinhalb Wochen nach Klinikaufnahme stirbt der Patient trotz intensivmedizinischer Behandlung bei anhaltender Knochenmarkschädigung im Vollbild eines septischen Schocks (NETZWERK-Bericht 14.982). Der Hauptmetabolit von Brivudin, Bromvinyluracil, hemmt irreversibel das Enzym Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD), das für den Abbau von 5-Fluorouracil (5-FU; ONKOFLUOR, Generika) bedeutsam ist. Daher kumuliert 5-FU. Dessen Toxizität sowie die seiner Vorstufen Capecitabin und Tegafur (in: UFT) bzw. von Flucytosin* (ANCOTIL) nehmen zu. Das Virustatikum Sorivudin (nicht im Handel) wird ebenfalls zu Bromvinyluracil umgewandelt und musste 1993 kurz nach Inverkehrbringen in Japan aus dem Handel genommen werden, weil 23 Krebspatienten, die zeitgleich mit Sorivudin und 5-FU bzw. 5-FU-Vorstufen behandelt wurden, schwere Knochenmarkschäden erlitten hatten. 16 starben. Bereits in der klinischen Prüfung war es zu drei Todesfällen infolge Interaktion zwischen Sorivudin und Tegafur gekommen (DIASIO, R.B.: Br. J. Pharmacol. 1998; 46: 1-4). 2006 warnte die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft anlässlich von drei tödlich endenden Interaktionen von Brivudin mit 5-FU bzw. Capecitabin (Dtsch. Ärztebl. 2006; 103: A1922-3). In den Fachinformationen der betroffenen Arzneimittel wird darauf hingewiesen, dass die gleichzeitige Anwendung von Brivudin mit 5-FU bzw. dessen Vorstufen kontraindiziert ist. Die Fachinformation von ZOSTEX enthält seit Jahren einen deutlichen Warnhinweis (Berlin-Chemie Menarini: Fachinformation ZOSTEX; Stand Jan. 2002/Mai 2006). Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sieht daher derzeit keinen Bedarf für weitere Maßnahmen (BfArM: Schreiben vom 24. Juli 2008). Wie die Fallberichte verdeutlichen, lassen sich Fehlverordnungen an Krebspatienten unter Chemotherapie, bei denen gehäuft behandlungsbedürftige Herpes-zoster-Erkrankungen auftreten, trotz der Warnung offenbar nicht verhindern. Ein therapeutischer Vorteil von Brivudin gegenüber dem Standardmittel zur Zosterbehandlung, Aciclovir (ZOVIRAX, Generika), ist nicht belegt (vgl. a-t 2007; 38: 47-8). Unseres Erachtens kann nur die Marktrücknahme des entbehrlichen Brivudin Krebspatienten zuverlässig vor der lebensbedrohlichen Wechselwirkung schützen.

* Das Antimykotikum Flucytosin wird von der Pilzzelle aufgenommen und dort in 5-FU umgewandelt.

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 1. August 2008

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