PSA-SCREENING AUF PROSTATAKARZINOM - NUTZEN BELEGT?
Seit Einführung des Tests auf prostataspezifisches Antigen (PSA) Ende der 1980er Jahre ist die Inzidenz von Prostatakarzinomen weltweit angestiegen.1 In den USA, wo nach einer Umfrage 2001 75% der über 50-jährigen Männer mindestens einen PSA-Test haben machen lassen,2 hat das Lebenszeitrisiko dieser Krebsdiagnose von 8% Mitte der 80er Jahre auf 17% zugenommen.3 Die Popularität des Tests steht in krassem Missverhältnis zu den Nutzennachweisen, die es für die Früherkennungsmaßnahme gibt. Bislang fehlte robuste Evidenz aus randomisierten kontrollierten Studien, dass sich das Screening günstig auf die Sterblichkeit auswirkt (a-t 2003; 34: 33-4).
Jetzt werden Zwischenergebnisse aus zwei großen randomisierten, in den USA (PLCO*) bzw. Europa (ERSPC*) durchgeführten Studien zum PSA-Screening publiziert.4,5** Beide sind primär auf den Endpunkt der Prostatakrebssterblichkeit angelegt.*** In der PLCO-Studie, an der knapp 77.000 Männer zwischen 55 und 74 Jahren teilnehmen und die trotz ihrer Größe für die Fragestellung wahrscheinlich unzureichend gepowert ist,6,7 findet sich kein günstiger Effekt des Screenings. Im Verlauf von sieben Jahren sterben in der Screeninggruppe 50 Männer (0,13%) an Prostatakrebs, in der Kontrollgruppe sind es 44 (0,11%). In diesem Zeitraum wird aber im Screeningarm bei 2.820 Männern (7,4%) Prostatakrebs entdeckt und damit signifikant häufiger als in der Kontrollgruppe (2.322 [6,1%]; Rate Ratio [RR] 1,22; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,16-1,29). Ähnlich sind die Zahlen nach zehn Jahren, wo allerdings erst für 67% der Teilnehmer vollständige Daten vorliegen.4 In der mehr als doppelt so großen ERSPC-Studie findet sich eine signifikante Minderung der Prostatakrebssterblichkeit. Bei den 162.000 Männern zwischen 55 und 69 Jahren zu Studienbeginn sinkt sie innerhalb einer mittleren Nachbeobachtung von neun Jahren von 0,36% in der Kontrollgruppe auf 0,29% in der Screeninggruppe (RR 0,80; 95% CI 0,65-0,98; Number needed to screen = 1.429). Ein Einfluss auf die Gesamtsterblichkeit, zu der keine absoluten Zahlen vorgelegt werden, zeigt sich nicht (RR 0,99; 95% CI 0,97-1,02). Im Studienverlauf wird im Screeningarm bei 5.990 Männern (8,2%) Prostatakrebs entdeckt, in der Kontrollgruppe bei 4.307 Männern (4,8%).5
* | ERSPC = European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer PLCO = Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian Cancer Screening Trial |
** | Screeningprogramme - PLCO: Sechs Jahre lang jährlich PSA-Test, Cut-off-Wert (Wert oberhalb dessen weitere diagnostische Abklärung empfohlen wird) 4 ng/ ml, außerdem vier Jahre lang jährlich rektale Untersuchung ERSPC: Kein einheitliches Programm in den teilnehmenden Ländern, Screeningintervall mit PSA-Test meist vier Jahre, Cut-off-Wert für Biopsie meist 3 ng/ml. Die PLCO-Studie, an der auch Frauen teilnehmen, ist primär außerdem auf Sterblichkeit an kolorektalem Karzinom, Lungenkrebs und Ovarialkrebs angelegt. |
*** | Die PLCO-Studie, an der auch Frauen teilnehmen, ist primär außerdem auf Sterblichkeit an kolorektalem Karzinom, Lungenkrebs und Ovarialkrebs angelegt. |
Die Studienergebnisse verdeutlichen das Dilemma der Früherkennung von Prostatakrebs. Wenn ein günstiger Effekt überhaupt vorhanden ist, ist er sehr klein. Denn auch ohne Screening ist die Wahrscheinlichkeit, an Prostatakrebs zu sterben, gering. Sie beträgt für einen Mann über 50 Jahre bezogen auf seine gesamte weitere Lebenszeit etwa 3%. Der Schaden ist jedoch beträchtlich: In beiden Studien gibt es im Screeningarm eine deutliche Zunahme der Prostatakrebsdiagnosen, in der ERSPC-Studie pro verhindertem Krebstodesfall 48 zusätzliche Krebsdiagnosen. Bei einem Großteil dieser zusätzlichen Diagnosen dürfte es sich um Überdiagnosen handeln: durch das Screening entdeckte Karzinome, die ohne Screening zu Lebzeiten der Betroffenen nicht klinisch auffällig geworden wären. Überdiagnosen und entsprechende Übertherapien sind eine erst in den letzten Jahren deutlicher in den Blick genommene unerwünschte Folge der Krebsfrüherkennung. Sie ist beim Screening auf Prostatakarzinom besonders unheilvoll. Das liegt vor allem daran, dass Prostatakrebs sehr häufig vorkommt, aber vergleichsweise selten zu Krankheit und Tod führt. Nach Autopsiestudien ist bei rund 40% der 50-Jährigen und bei rund 80% der 80-Jährigen mit dem Vorliegen eines Tumors zu rechnen.1,3,7 Die meisten dieser Karzinome wachsen jedoch so langsam, dass sie zu Lebzeiten klinisch nicht auffällig werden. Sie werden nur entdeckt, wenn gescreent wird. Und bis heute gibt es keine Methode, die "Gutartigkeit" eines durch Früherkennung entdeckten Prostatakarzinoms zuverlässig vorherzusagen.3 Wird der Tumor aber behandelt, muss bei einem hohen Prozentsatz der Patienten mit gravierenden und belastenden Nebenwirkungen gerechnet werden, insbesondere Impotenz und Inkontinenz.
Ob durch die PSA-Früherkennung überhaupt ein Leben gerettet werden kann, das heißt ob die Gesamtsterblichkeit günstig beeinflusst wird, ist weiter offen und wird mit randomisierten kontrollierten Studien wohl auch in Zukunft nicht zu beantworten sein. Selbst die große ERSCP-Studie ist für diese Frage zu klein. Wie ein Hamburger Autor in einer zeitgleich mit den beiden Screeningstudien publizierten Arbeit darlegt, hätte eine Studie mit 100.000 Männern pro Gruppe nur eine Power von 8% um nachzuweisen, dass sich eine 25%ige Senkung der Prostatakrebssterblichkeit günstig auf die Gesamtsterblichkeit auswirkt. Ebenso gering ist andererseits die Power einer Studie dieser Größe, um einen entsprechend großen ungünstigen Effekt des Screenings auf die Gesamtsterblichkeit zu erfassen.7 Günstige, aber auch mögliche nachteilige Effekte der Früherkennung auf die Sterblichkeit würden umgekehrt mit einer Wahrscheinlichkeit von 92% übersehen. Um die Auswirkungen des Screenings auf die Gesamtsterblichkeit einigermaßen zuverlässig prüfen zu können (Power von 90%), müsste eine Studie mehr als 3,5 Millionen Männer aufnehmen - ein unrealistisches Szenario. Da das PSA-Screening durch falsch positive und Überdiagnosen schadet, valide Belege für eine Lebensverlängerung durch die Früherkennung nicht zu erhalten sind und in realistischen Studien nachteilige Effekte auf die Sterblichkeit übersehen werden können, hält der Autor es für angebracht, auf weitere Screeningstudien und auf das Prostatakrebsscreening selbst zu verzichten.7
(R = randomisierte Studie) | ||
1 | DELONGCHAMPS, N.B. et al.: Cancer Control 2006; 13: 158-68 | |
2 | SIROVICH, B.E. et al.: JAMA 2003; 289: 1414-20 | |
3 | THOMPSON, I.M. et al.: Internat. J. Epidemiol. 2007; 36: 287-9 | |
R | 4 | ANDRIOLE, G.L. et al.: N. Engl. J. Med. 2009; 360: 1310-9 |
R | 5 | SCHRÖDER, F.H. et al.: N. Engl. J. Med. 2009; 360: 1320-8 |
6 | BARRY, M.J.: N. Engl. J. Med. 2009; 360: 1351-4 | |
7 | DUBBEN, H.-H.: Lancet Oncol. 2009; 10: 294-8 |
© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 3. April 2009
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