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Therapiekritik

BIPOLARE STÖRUNG: LITHIUM (QUILONUM U.A.) PLUS VALPROINSÄURE (ORFIRIL U.A.)?

Für die Phasenprophylaxe bipolarer Störungen empfehlen zwei Leitlinien aus Großbritannien und Kanada Lithium (QUILONUM, Generika), das Neuroleptikum Olanzapin (ZYPREXA, Generika) und das Antiepileptikum Valproinsäure (ORFIRIL, Generika).1,2 Die kanadische Leitlinie, die auf die beschränkte Datenlage zu Valproinsäure hinweist, empfiehlt zudem das Antiepileptikum Lamotrigin (LAMICTAL, Generika).2 Mehrere Metaanalysen belegen den Nutzen von Lithium,3-5 das die beste Evidenz zur Phasenprophylaxe bipolarer Störungen aufweist.6,7 Es scheint auch die Suizidrate der Patienten zu senken (a-t 2004; 35: 2-4).

In der Praxis hat hierzulande die Verordnung von Antiepileptika wie Valproinsäure zur Phasenprophylaxe dennoch zugenommen. Auch Neuroleptika werden zunehmend verordnet. In Deutschland sind Olanzapin und Aripiprazol (ABILIFY) nach erfolgreich behandelten manischen Episoden und Quetiapin (SEROQUEL, Generika) nach Ansprechen bei manischen oder depressiven Episoden auch zur anschließenden Prophylaxe zugelassen. Sehr häufig werden verschiedene Phasenprophylaktika kombiniert. Ein Zusatznutzen für Kombinationen ist jedoch nicht nachgewiesen.9 Dies gilt auch für die Kombination von Lithium plus Valproinsäure, die in Leitlinien nach Versagen einer ersten Monotherapie empfohlen wird oder auch bei "rapid cycling" (mindestens vier Krankheitsphasen pro Jahr; 20% der Patienten).1,2 Ihr Nutzen im Vergleich zu Lithium allein ist lediglich in einer einjährigen Pilotstudie10 mit zwölf Patienten geprüft sowie in einer randomisierten Untersuchung zur sechsmonatigen Erhaltungstherapie bei 60 Patienten mit rapid cycling,11 in der sich die Kombination nicht von alleinigem Lithium unterscheidet.

Jetzt ist die industrieunabhängige randomisierte Zwei-Jahres-Studie BALANCE*12 zu dieser Fragestellung erschienen. Bei Patienten mit bipolarer Störung und voll ausgeprägten manischen Phasen im Krankheitsverlauf (Bipolar I Disorder) wird die Kombination aus Lithium plus Valproinsäure zur Phasenprophylaxe mit den Einzelkomponenten verglichen. Primärer Endpunkt ist die Zeit bis zu einem drohenden Rückfall, der Änderungen der Medikation oder Krankenhauseinweisung** erforderlich macht. Um die Teilnahme zu erleichtern, wird auf Verblindung und starre Untersuchungstermine verzichtet, bestehende Begleittherapien können fortgesetzt werden (Antispychotika: 26%, Antidepressiva 29%). In einer meist vier- bis achtwöchigen Run-in-Phase nehmen 459 Patienten, die nicht akut erkrankt sein dürfen und für die keine Präferenz für eines der beiden Mittel besteht, Lithium plus Valproinsäure ein. 330 Studienteilnehmer, die die Kombination vertragen und festgelegte minimale Plasmaspiegel erreichen, werden zur Kombination oder zu Lithium bzw. Valproinsäure allein randomisiert. In den beiden Monotherapiegruppen wird das abzusetzende Mittel über vier Wochen ausgeschlichen. Die Dosis des einzunehmenden Mittels kann je nach Serumspiegel oder auftretenden Störwirkungen angepasst werden.

54% (59/110) der Teilnehmer benötigen unter Lithium plus Valproinsäure Interventionen wegen drohenden manischen oder depressiven Rückfalls, 59% (65/110) unter Lithium und 69% (76/110) unter Valproinsäure. Lithium allein unterscheidet sich nicht von der Kombination (p = 0,23). Der Bedarf an einer Intervention ist dagegen unter Valproinsäure im Vergleich zur Kombination (p = 0,0014) und auch zur Lithium-Monotherapie (p = 0,0472) erhöht. Während Lithium in plazebokontrollierten Studien manische Phasen besser verhindert als depressive,5,10 ist es in der BALANCE-Studie der Valproinsäure hinsichtlich depressiver Rückfälle deutlicher überlegen als hinsichtlich manischer: 32% unter Lithium versus 45% unter Valproinsäure sowie 35% unter der Kombination benötigen eine Therapie wegen einer Depression.12

Für Valproinsäure sind nicht nur die Ergebnisse der BALANCE-Studie unbefriedigend: Die einzige plazebokontrollierte Studie, die zu dem Antiepileptikum in dieser Indikation vorliegt, fällt negativ aus.13 Auch nach Einschätzung der EMA sind die Daten zur Prophylaxe mit Valproat nicht ausreichend. Eine Einschränkung der Indikation durch die europäische Zulassungsbehörde EMA scheint anzustehen.14 Auch in der US-amerikanischen Produktinformation wird explizit auf die fehlenden Datenbelege hingewiesen.8

∎  In der aktuellen industrieunabhängigen BALANCE-Studie zur Phasenprophylaxe bipolarer Störungen bleibt die Kombination von Lithium (QUILONUM, Generika) mit Valproinsäure (ORFIRIL, Generika) ohne signifikanten Zusatznutzen gegenüber alleinigem Lithium.

∎  Als Monotherapeutikum schneidet Valproinsäure schlechter ab als Lithium, das auch depressive Rückfälle zuverlässiger verringert.

∎  Ausreichende Nutzenbelege für die Prophylaxe bipolarer Störungen mit Valproinsäure liegen nicht vor.

∎  Die beste Evidenz zur Phasenprophylaxe bipolarer Störungen besteht für Lithium, das auch das hohe Suizidrisiko dieser Patienten zu verringern scheint.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
 1NICE: Bipolar Disorder, Guideline No. 38, Stand 2006;
http://www.nice.org.uk/nicemedia/pdf/CG38fullguideline.pdf
 2YATHAM, L.N. et al.: Bipolar Disord. 2006: 8: 721-39
M3DAVIS, J.M. et al.: Acta Psychiatr. Scand. 1999; 100: 406-17
M4BURGESS, S.S.A. et al.: Lithium for maintenance treatment of mood disorders. The Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Stand März 2001; Zugriff März 2010
M5GEDDES, J.R. et al.: Am. J. Psychiatry 2004; 161: 217-22
M6CIPRIANI, A. et al.: Olanzapine in long-term treatment for bipolar disorder. The Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Stand Dez. 2007; Zugriff März 2010
 7GOODWIN, G.M. et al.: J. Clin. Psychopharmacol. 2009; 23: 346-88
 8Abbott: US-amerikanische Produktinformation DEPAKOTE (Valproinsäure), Stand Nov. 2009
 9BEYNON, S. et al.: J Psychopharmacol 2009; 23: 574-91
R10SOLOMON, D.A. et al.: J. Clin. Psychiatry 1997; 58: 95-99
R11KEMP, D.E. et al.: J. Clin. Psychiatry 2009; 70: 113-21
R12The BALANCE investigators and collaborators: Lancet 2010; 375: 385-95
R13BOWDEN, C.L. et al.: Arch. Gen. Psychiatry 2000; 57: 481-9
 14EMA: Questions and answers on the review of medicines containing valproate for use in bipolar disorder vom Dez. 2009;
http://www.ema.europa.eu/pdfs/human/referral/valproate/Valproate_80928709en_Q&A.pdf

 *BALANCE = Bipolar Affective disorder: Lithium/AntiConvulsant Evaluation
 **Krankenhauseinweisung war der ursprünglich vorgesehene Endpunkt der auf die Aufnahme von 3.000 Patienten projektierten BALANCE-Studie. Nach Publikation der Lamotrigin-Zulassungsstudien mit Etablieren eines Kombinationsendpunkts wird das Protokoll geändert.

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 12. März 2010

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