0,3% bis 1,5% der Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer manisch-depressiven oder bipolaren affektiven Störung.1 Starke
Stimmungsschwankungen mit wechselnden manischen und depressiven Phasen kennzeichnen die Erkrankung. Vom klassischen Verlauf werden nichtklassische
Formen unterschieden mit schwach ausgeprägten, so genannten hypomanischen Phasen oder mit Phasen gemischter manisch-depressiver Symptomatik.
Psychotische Symptome oder ein schneller Wechsel ("rapid cycling") mit mehr als vier Phasen innerhalb eines Jahres können den Verlauf der
Erkrankung komplizieren.
Nach einer ersten manischen Phase wird eine Rezidivprophylaxe empfohlen.2,3 Standardtherapeutikum mit den besten Nutzenbelegen für diese
Indikation ist Lithium (QUILONUM u.a.). Nur für Lithium gibt es Hinweise, dass es das mit 10% bis 20% sehr hohe Suizidrisiko der Patienten senkt,4-6
möglicherweise auch unabhängig von der phasenprophylaktischen Wirkung.7
Zunehmend werden alternativ oder zusätzlich Antiepileptika verwendet, von denen in Deutschland bisher nur Carbamazepin (TEGRETAL u.a.) bei Versagen
oder Nichtanwendbarkeit von Lithium zugelassen war. Hinreichende Nutzenbelege fehlen jedoch sowohl für Carbamazepin als auch für Valproat
(ERGENYL u.a.; a-t 2001; 32: 51), das dennoch in den USA bereits häufiger verordnet wird als Lithium.
Insbesondere das Suizidrisiko scheint unter den Antiepileptika höher zu sein als unter Lithium.8,9 Für Valproat lässt sich in einer großen
Zwölf-Monats-Studie ein Vorteil gegenüber Plazebo nicht hinreichend sichern.10 Carbamazepin scheint nach den vorliegenden
überwiegend kleinen und/oder methodisch mangelhaften Studien weniger zuverlässig zu wirken als Lithium.11,12 Jetzt stehen ein weiteres
Antiepileptikum und ein atypisches Neuroleptikum zur Phasenprophylaxe zur Verfügung.
Lamotrigin
Seit Herbst 2003 wird das Antiepileptikum Lamotrigin (vgl. a-t 1993; Nr. 8: 78-9) unter dem Warenzeichen ELMENDOS
zur Prävention depressiver Phasen bei bipolarer Störung angeboten.
EIGENSCHAFTEN: Lamotrigin hemmt spannungsabhängige Natriumkanäle und die Freisetzung des exzitatorischen
Neurotransmitters Glutamat. Der genaue Wirkmechanismus bei bipolarer Störung ist jedoch nicht bekannt.
Lamotrigin muss - zur Verringerung des Risikos bedrohlicher Hautschäden - langsam aufdosiert werden: Zieldosis ist 100-200 mg/Tag. Gesamtdosis und
Dosissteigerung sind bei Kombination mit weiteren Antiepileptika anzupassen.
KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Zwei amerikanische zulassungsrelevante Studien berücksichtigen Patienten mit akuter depressiver13 bzw.
manischer oder hypomanischer Phase14 einer bipolaren Störung (Bipolar-I-Erkrankung nach amerikanischem Klassifikationssystem DSM IV). Bei
jeweils etwa einem Drittel der Patienten besteht ein rascher Wechsel der Krankheitsphasen.15 Patienten mit mehr als 6 Phasen im Vorjahr werden jedoch
ausgeschlossen, ebenso solche mit weiteren psychiatrischen Erkrankungen oder hohem Suizid-Risiko.13,14 Das spezifische Design ("enriched")
sieht in beiden Studien eine offene 8- bis 16-wöchige Run-in-Phase vor, in der alle Patienten langsam aufdosiert bis zu 200 mg Lamotrigin pro Tag einnehmen,
während ihre bisherige Medikation langsam ausgeschlichen wird. Nur die unter Lamotrigin stabilisierten Teilnehmer - 48% (463 von 966)13 der
Patienten mit depressiver Symptomatik und 50% (175 von 349)14 der mit hypo- bzw. manischer Symptomatik - werden in die 18-monatige doppelblinde
Phase übernommen, in der sie nach randomisierter Zuteilung täglich 50 bis 400 mg Lamotrigin, hoch dosiertes Lithium oder Plazebo
einnehmen.13,14 In der Plazebogruppe wird somit das zuvor aufdosierte Lamotrigin wieder abgesetzt (Lamotriginentzug).
Das ethisch fragwürdige Design begünstigt positive Resultate für Lamotrigin und verringert die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf
unausgewählte Patienten mit bipolarer Störung. Die Patienten der Lithium- und Plazebogruppen erfahren innerhalb kurzer Zeit eine zweimalige
Medikamentenumstellung. Nach einer retrospektiven Kohortenstudie geht die Umstellung der Medikation bei bipolarer Störung mit erhöhtem Suizidrisiko
einher.8
Für den primären Endpunkt, der Zeit, nach der wegen Auftretens von Krankheitssymptomen gleich welcher Phase eingegriffen werden muss, ergibt sich in
beiden Studien eine signifikante Überlegenheit sowohl von Lithium als auch von Lamotrigin gegenüber Plazebo, nicht aber von Lamotrigin
gegenüber Lithium. Bei jeweils der Hälfte der Teilnehmer muss unter Plazebo innerhalb von 93(13) bzw. 85(14) Tagen, unter Lithium
innerhalb von 170 bzw. 292 Tagen und unter Lamotrigin innerhalb von 200 bzw. 141 Tagen interveniert werden. In beiden Studien scheint Lamotrigin vorwiegend
depressiven Phasen vorzubeugen, Lithium vorwiegend manischen. 12 der 1.315 Patienten unternehmen einen Suizidversuch: 10 in der Run-in-Phase und jeweils
einer nach Randomisierung unter Plazebo bzw. Lamotrigin. Von vier vollendeten Suiziden ereignen sich drei in und nach der Run-in-Phase, einer nach
Randomisierung unter Lamotrigin.13,14
Subgruppenanalysen zum Therapieeffekt bei raschem Phasenwechsel fehlen.13,14 In einer Studie, an der 182 Patienten ausschließlich mit "rapid
cycling" teilnehmen, bleibt ein Vorteil von Lamotrigin gegenüber Plazebo aus.16 Eine weitere plazebokontrollierte Negativstudie mit 206 an
bipolarer Depression erkrankten Patienten über zehn Wochen17 ist unseres Wissens bis heute nicht vollständig publiziert.
STÖRWIRKUNGEN: Häufige Nebenwirkungen von Lamotrigin sind Kopfschmerz und Schwindel sowie Hautschäden (a-t 1993; Nr. 8: 78-9), die in der größeren Zulassungsstudie13 bei 11% der Patienten in der
Aufdosierungsphase und bei 7% der Patienten der Lamotrigingruppe auftreten. Ein Patient entwickelt ein STEVENS-JOHNSON-Syndrom.13 Dies entspricht
der aus der Antiepileptikatherapie bekannten Häufigkeit (1 : 1.000) dieser lebensbedrohlichen Hautschädigung. Mit toxisch epidermaler Nekrolyse ist bei
einem von 10.000 Patienten zu rechnen. Das Risiko schwerer Hautschäden ist besonders hoch bei schneller Dosissteigerung, Kombination mit Valproat und
bei Kindern (bis 1 : 50).18 Bei den ersten Anzeichen auf Schädigung ist Lamotrigin sofort abzusetzen. Hypersensitivitätsreaktionen und
Multiorganversagen können auftreten, ebenso Kreuzreaktionen mit Carbamazepin und Phenytoin (PHENHYDAN u.a.).
KOSTEN: Bei einer Tagesdosis von 200 mg kostet Lamotrigin (ELMENDOS) in Deutschland monatlich 127 € und damit etwa das 8-fache der
Phasenprophylaxe mit täglich 24,4 mmol Lithium (QUILONUM RETARD u.a.; 16 €). In Österreich verteuert Lamotrigin die Prophylaxe um mehr als das
11-fache (137 € gegenüber 12 €; s. Tabelle Seite 4).
Olanzapin
Das bislang auch zur Behandlung akuter Manien angebotene atypische Neuroleptikum Olanzapin (ZYPREXA; a-t 1997; Nr.
10: 103-5) ist jetzt zusätzlich zur Phasenprophylaxe bei Patienten zugelassen, deren manische Symptomatik auf das Mittel angesprochen hat.
HINTERGRUND: Olanzapin ist in Studien zur Schizophrenie durch eine im Vergleich zu Haloperidol (HALDOL u.a.) deutlichere Besserung
depressiver Symptomatik aufgefallen, die möglicherweise mit der höheren Affinität zu 5-HT2-Rezeptoren in Zusammenhang steht.19
Olanzapin hat zudem eine nachgewiesene antimanische Wirkung.
Atypische Neuroleptika wie Clozapin (LEPONEX u.a.) und Olanzapin gehen mit geringerem Risiko extrapyramidaler Bewegungsstörungen einher als
konventionelle Neuroleptika. Für Clozapin ist auch ein geringeres Risiko von Spätdyskinesien belegt. Patienten mit affektiven Störungen gelten
andererseits als empfindlicher für diese Komplikationen.21 Für konventionelle Neuroleptika gibt es Hinweise, dass sie bei Langzeitanwendung
den Verlauf einer bipolaren Erkrankung verschlechtern.19,20
KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Drei bisher nicht vollständig veröffentlichte Studien über 12 bis 18 Monate liegen der Zulassung von
Olanzapin zur Phasenprophylaxe bei bipolarer Störung zugrunde. Nach Angaben der Fachinformation21 scheint das Mittel im direkten Vergleich zwar
besser zu wirken als Plazebo, nicht aber als Lithium. Die Kombination von Olanzapin mit Lithium oder Valproat scheint ohne Vorteil gegenüber der Therapie mit
Lithium oder Valproat allein.21 Zur Suizidalität unter Olanzapin finden wir keine Angaben.
STÖRWIRKUNGEN: Im Vordergrund der unerwünschten Wirkungen steht die exzessive Gewichtszunahme: Unter der Prophylaxe nehmen im
Verlauf eines Jahres 40% der Patienten um mindestens 7% ihres Ausgangsgewichtes zu. Mehr als 10% der Olanzapin-Anwender klagen über Schläfrigkeit.
Zu den häufigen Störwirkungen gehören außerdem anticholinerge Effekte wie Mundtrockenheit und Verstopfung, orthostatische Hypotonie,
Leberschäden und extrapyramidale Bewegungsstörungen einschließlich Bewegungsunruhe (Akathisie).21 Daten zu
Bewegungsstörungen aus den Zulassungsstudien zur Phasenprophylaxe bei bipolarer Erkrankung liegen bisher nicht vor. In einem 12-Monatsvergleich mit
Valproat leiden im Olanzapin-Arm 10% unter Akathisie.22 Das Risiko von Spätdyskinesien bei diesen Patienten lässt sich nicht einschätzen.
Als seltene schwerwiegende Störungen sind Hyperglykämien, Entwicklung oder Verschlechterung eines Diabetes mit zum Teil tödlich verlaufenden
Ketoazidosen sowie Leuko- und Thrombozytopenie, Krampfanfälle, malignes Neuroleptikasyndrom und Rhabdomyolyse23 beschrieben. Mehrere neue
Berichte über Thromboembolien in Verbindung mit der Einnahme von Olanzapin24,25 sprechen dafür, dass das unter Neuroleptika erhöhte
Thromboserisiko (vgl. a-t 2000; 31: 88) auch Olanzapin betrifft. Bei Kombinationen können sich Störeffekte
potenzieren: So kommt es unter Kombination von Olanzapin mit Valproat bei 4% zu Neutropenien.
KOSTEN: Bei einer Tagesdosis von 10 mg kostet die Phasenprophylaxe mit Olanzapin (ZYPREXA) in Deutschland monatlich 183 € und damit das 11-
fache der Einnahme von täglich 24,4 mmol retardiertem Lithium (QUILONUM RETARD u.a., 16 €). In Österreich betragen die Monatskosten von
Olanzapin mit 208 €/Monat das 17-fache von Lithium (12 €).
Lithium (QUILONUM u.a.) bleibt Mittel der Wahl zur Phasenprophylaxe bei bipolarer Störung. Es scheint das hohe Suizidrisiko dieser Patienten zu
senken.
Seit Oktober 2003 ist das Antiepileptikum Lamotrigin als ELMENDOS zur Prophylaxe depressiver Phasen bei bipolarer Störung zugelassen. In zwei kontrollierten
Studien verlängert es bei diesen Patienten die Zeit bis zum Auftreten behandlungsbedürftiger Symptome gegenüber Plazebo. Aufgrund des
Studiendesigns - Vergleich von Lamotrigin mit Lamotriginentzug u.a. - dürfte der Nutzen jedoch überschätzt sein.
Fehlende Langzeitstudien über mehr als 18 Monate und fehlende Belege für eine Minderung des Suizidrisikos mahnen zur Vorsicht im Hinblick auf eine
Monotherapie mit Lamotrigin.
Der Nutzen von Olanzapin (ZYPREXA) zur Phasenprophylaxe lässt sich mangels veröffentlichter Studien einschließlich fehlender Daten zur
Suizidalität nicht hinreichend einschätzen. Die Kombination mit Lithium oder Valproat (ERGENYL) bringt keinen Zusatznutzen.
Aufgrund der ausgeprägten Störwirkungen, die in der Kombinationstherapie verstärkt auftreten, und dem Risiko von Spätdyskinesien raten wir
beim derzeitigem Kenntnisstand von der prophylaktischen Langzeittherapie mit Olanzapin bei bipolarer Störung ab. Die Nutzen-Risiko-Bilanz des atypischen
Neuroleptikums als Zusatz zu Lithium oder Valproat ist negativ.
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