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Korrespondenz

WAS BRINGT DER PROCALCITONIN-TEST IN DER HAUSÄRZTLICHEN PRAXIS?

Im Blatt "Der Allgemeinarzt" wird der Procalcitonin-Test in einem werbenden Artikel angepriesen. Insbesondere wird auf eine Studie verwiesen, nach der durch die Testung die Verschreibung von Antibiotika bei Atemwegsinfekten verringert werden konnte, ohne den therapeutischen Erfolg zu mindern. Ich bitte um Ihre Stellungnahme.

Dr. med. T. PERICK (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-48727 Billerbeck
Interessenkonflikt: keiner

In der Zeitschrift "Der Allgemeinarzt" erscheint ein als redaktionell gekennzeichneter, jedoch offenbar firmengesponserter Beitrag zum Procalcitonin-Test. Mit dessen Hilfe könne zuverlässig zwischen bakteriellen und nicht bakteriellen Atemwegsinfekten unterschieden werden.1 Eine unnötige Antibiotikatherapie sei somit oft vermeidbar. Bezug genommen wird auf eine aktuelle deutsche Studie.2

Procalcitonin (PCT), als Hormonvorstufe des Calcitonins in der Nebenschilddrüse gebildet, ist unter physiologischen Bedingungen im Serum nur in geringen Mengen vorhanden. Im Rahmen systemischer bakterieller Entzündungen steigt der Spiegel infolge Stimulierung durch bakterielle Toxine und Entzündungsmediatoren stark an. Der Nutzen als Biomarker zur Differenzierung bakterieller von nicht bakteriellen Entzündungen wird daher seit Jahren geprüft. Vorteile im Vergleich zum ebenfalls diagnostisch verwendeten C-reaktiven Protein (CRP) sollen bessere Testeigenschaften und raschere Kinetik sein. So errechnet eine Metaanalyse bei hospitalisierten Patienten eine Sensitivität* von 88% (CRP: 75%) und Spezifität* von 81% (CRP: 67%) zur Abgrenzung bakterieller von nichtinfektiösen Entzündungen.3 Falsch negative Befunde kommen z.B. bei lokalen Entzündungen, Abszess und Empyem vor, falsch positive nach Traumen, postoperativ und bei Niereninsuffizienz. Auch parasitäre Erkrankungen erhöhen das PCT.

In randomisierten Studien konnte der Antibiotikaverbrauch ohne Verschlechterung der Heilungsergebnisse bei Patienten mit akuter Exazerbation einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung,4 mit ambulant erworbener Pneumonie,5 bei tiefen Atemwegsinfekten6 und bei Sepsis7 durch Steuerung mit PCT-Messungen verringert werden.**

Ließen sich mit dem Procalcitonin-Test unnötige Antibiotikaverordnungen vermeiden, wäre dies für den ambulanten Bereich von Bedeutung: Atemwegsinfekte gehören zu häufigen Anlässen von Konsultationen im primärärztlichen Bereich. In einer im Rhein-Ruhrgebiet durchgeführten Studie zur Senkung des Antibiotikaverbrauchs mittels Schulung liegt die Basisrate der Verordnungen bei akutem Husten bei 55%.8 Der unnötige Gebrauch von Antibiotika erhöht die Rate an Nebenwirkungen sowie die Kosten und birgt die Gefahr zunehmender bakterieller Resistenzen.

In der vom "Allgemeinarzt" zitierten, in 45 allgemeinmedizinischen Praxen durchgeführten Studie2 liegt in einer ersten Beobachtungsphase die Häufigkeit der Verordnung von Antibiotika bei 213 (30,3%) von 702 Patienten, die sich mit einem Atemwegsinfekt bei ihrem Hausarzt vorstellen.

In einer zweiten randomisierten Phase wird in den gleichen Praxen bei 550 Patienten mit akutem Atemwegsinfekt der Einfluss einer Procalcitonin-gesteuerten Therapie auf Heilungsergebnis und Antibiotikaverschreibung im Vergleich zu "üblicher" Behandlung geprüft. Die Prüfärzte sollen sich nach körperlicher Untersuchung der Patienten zunächst für oder gegen eine Antibiotikabehandlung entscheiden. Anschließend wird in der Procalcitoningruppe nach einmaliger Bestimmung des Biomarkers ein Antibiotikum empfohlen (PCT über 0,25 ng/ml) oder nicht (PCT unter 0,25 ng/ml). Die Behandlung muss nicht zwingend an den Laborwert angepasst werden. Die Patienten der Kontrollgruppe erhalten die ursprünglich geplante Behandlung. Die mittlere Zahl der Tage mit eingeschränkter körperlichen Aktivität innerhalb von 14 Tagen (primärer Endpunkt) ist in beiden Gruppen gleich (PCT: 9,06; Kontrollen: 9,11). Die Rate der Antibiotikaverordnungen (einer der sekundären Endpunkte) ist in der Procalcitoningruppe jedoch niedriger (21,5% versus 32,4%). Die Autoren folgern, dass sich der Antibiotikagebrauch durch einmalige Messung von PCT bei Patienten mit Atemwegsinfekten um (relativ) 42% reduzieren ließe.

Alle Patienten sind jedoch offensichtlich sehr leicht erkrankt. Bei keinem der Studienteilnehmer der Procalcitoningruppe liegt der Wert über 0,25 ng/ml. Die am häufigsten gestellten Diagnosen sind Erkältungen (318) und akute Bronchitis (186), somit ohnehin Erkrankungen, die in der Regel keine Antibiotikatherapie erfordern. Nur bei drei Patienten (alle in der Kontrollgruppe) wird eine Pneumonie diagnostiziert.

Die Ergebnisse werden durch eine 2008 veröffentlichte Schweizer Arbeit9 gestützt. Eingeschlossen sind in diese jedoch 458 Patienten mit akutem Atemwegsinfekt, für die vom Hausarzt bereits eine Antibiotikabehandlung vorgesehen war. Nach Randomisierung wird eine antibiotische Behandlung in der Procalcitonin-Gruppe nur bei einem PCT-Wert über 0,25 ng/ml empfohlen. Auch in dieser Studie kann von der laborgestützten Empfehlung abgewichen werden. In der Kontrollgruppe erhalten über den gesamten Studienzeitraum hinweg 97% der Patienten ein Antibiotikum, in der PCT-Gruppe 25%. Die Zahl der Tage mit eingeschränkter körperlicher Aktivität liegt in beiden Gruppen bei 8,7. Durchfälle treten bei PCT-gesteuerter Behandlung seltener auf (20% versus 34%). Im Unterschied zur deutschen Studie werden die PCT-Werte mehrfach erhoben, zudem nehmen an der Schweizer Arbeit vorwiegend Ärzte mit sehr niedriger Basisrate von Antibiotikaverschreibungen teil. Sie sind daher offenbar ohnehin für die Problematik des unnötigen Antibiotikaverbrauchs sensibilisiert. Eine Generalisierung dieser Daten ist daher schwierig.

Vorstellbar ist, dass der in den Studien ermittelte Effekt (Reduktion des Antibiotikagebrauchs bei leichten Atemwegsinfekten durch ein- oder mehrmalige Messung eines Laborparameters ohne Verschlechterung des klinischen Verlaufs) auch durch Schulung der Ärzte hinsichtlich evidenzbasierter Therapie von Erkältungskrankheiten und der Erwartungshaltung der Patienten erreicht werden könnte.8

Für die Praxis ist problematisch, dass aufgrund des Fehlens eines Schnelltests eine zweite Konsultation oder telefonische Beratung erfolgen muss. Größtes Hindernis für eine breite Implementierung ist jedoch der hohe Preis (ca. 25 €), der höher liegt als ein Behandlungszyklus mit üblichen Antibiotika. Zudem ist die Kostenübernahme in den KVen nicht einheitlich geregelt, sodass der Test zum Teil als IGeL-Leistung abgerechnet werden muss.

∎  Procalcitonin ist ein relativ sensitiver Indikator zur Abgrenzung bakterieller von nicht bakteriellen Infektionen. In zwei Studien im allgemeinmedizinischen Setting lässt sich durch ein- oder mehrmalige Bestimmung des Procalcitonins die Häufigkeit von Antibiotikaverordnungen bei leichten Atemwegsinfektionen relevant reduzieren.

∎  Der gleiche Effekt lässt sich möglicherweise auch nachhaltig durch eine Schulung der Ärzte erreichen.

∎  Der Test ist teuer und die Kostenübernahme nicht einheitlich geregelt. Zudem fehlt ein Schnelltest, der eine sofortige Therapieentscheidung ermöglichen könnte. Er eignet sich daher derzeit nicht für die breite Anwendung.

  (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
1 Der Allgemeinarzt 2010; 17
R  2 BURCKHARDT, O. et al.: Eur. Respir. J. 2010; 36: 601-7
M  3 SIMON, L. et al.: Clin. Infect. Dis. 2004; 39: 206-17
R  4 STOLZ, D. et al.: Chest 2007; 131: 9-19
R  5 CHRIST-CRAIN et al.: Am. J. Respir. Crit. Care Med. 2006; 174: 84-93
R  6 SCHUETZ, P. et al: JAMA 2009; 302: 1059-66
R  7 NOBRE, V. et al.: Am. J. Respir. Crit. Care Med. 2008, 177: 498-505
8 BROCKMANN, S. et al.: Z. Allg. Med. 2008; 84: 51-7
R  9 BRIEL, M. et al.: Arch. Intern. Med. 2008; 168: 2000-7

* Sensitivität: Fähigkeit eines Tests, Kranke als krank zu erkennen;
Spezifität: Fähigkeit eines Tests, Gesunde als gesund zu erkennen.
** Häufig angewendeter Algorithmus: PCT > 0,25 ng/ml: bakterieller Infekt wahrscheinlich, Antibiotikatherapie empfohlen; PCT < 0,1 ng/ml: bakterieller Infekt sehr unwahrscheinlich, Antibiotikatherapie abgeraten; PCT 0,1-0,25 ng/ml: bakterieller Infekt unwahrscheinlich, keine Empfehlung zur Antibiotikatherapie.

© 2011 arznei-telegramm, publiziert am 11. Februar 2011

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