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TODESFÄLLE UNTER MS-MITTEL FINGOLIMOD (GILENYA): EMA ÜBERPRÜFT KARDIOVASKULÄRE SICHERHEIT UND FORDERT STRIKTERE ÜBERWACHUNG

Der im Dezember 2011 bekannt gewordene Tod einer 59-jährigen US-amerikanischen Patientin innerhalb von 24 Stunden nach erster Einnahme des Immunsuppressivums Fingolimod (GILENYA) veranlasst jetzt auch die europäische Arzneimittelbehörde EMA, die kardiovaskuläre Sicherheit des Mittels zu überprüfen, das seit April 2011 zur Behandlung der schweren oder therapierefraktären Multiplen Sklerose (MS) im Handel ist (1,2). Fingolimod geht insbesondere zu Einnahmebeginn mit vorübergehender Absenkung der Herzfrequenz einher, die vor allem in den ersten Stunden nach erstmaliger Einnahme zu schwerwiegender Bradykardie und AV-Block führen kann. Nach mehr als zweiwöchiger Therapieunterbrechung ist erneut mit diesem Effekt zu rechnen (a-t 2011; 42: 43-5). Bislang sind insgesamt 11 unerklärte, plötzliche bzw. kardial bedingte Todesfälle bekannt geworden: Neben der US-amerikanischen Patientin, die gleichzeitig den Betablocker Metoprolol (BELOC, Generika) und den Kalziumantagonisten Amlodipin (NORVASC, Generika) eingenommen hat (3), gibt es laut EMA inzwischen sechs weitere unerklärte Todesfälle "nach Beginn der Therapie mit Fingolimod", darunter drei an plötzlichem Tod verstorbene Patienten, sowie drei weitere Todesfälle nach Herzinfarkt und einen aufgrund einer Herzrhythmusstörung (1). Die Zahl der Patienten, die das Mittel bislang eingenommen haben, wird mit mehr als 30.000 angegeben (1,2).

Die bislang schon vorgeschriebene Überwachung in den sechs Stunden nach Einnahme der ersten Dosis soll auf Anraten der EMA jetzt intensiviert werden. Vor Behandlung und während der sechs Stunden nach erster Dosis empfiehlt die Behörde bei allen Patienten ein EKG-Monitoring. Bei allen sollen außerdem in dieser Zeit Blutdruck und Herzfrequenz stündlich kontrolliert werden. Kommt es zu relevanten kardialen Effekten wie Bradykardie oder AV-Block, soll die Überwachung so lange fortgesetzt werden, bis sich der Zustand gebessert hat. Patienten wird geraten, unverzüglich ihren Arzt aufzusuchen, wenn Beschwerden auftreten, die auf Herzprobleme zurückgehen könnten wie Brustschmerzen, Schwäche oder Schwindel (1). Die französische Arzneimittelbehörde geht noch weiter und empfiehlt jetzt eine mindestens 24-stündige Überwachung einschließlich EKG-Monitoring nach erster Dosis (4). Die von der EMA empfohlene intensivere Überwachung sollte unseres Erachtens auch für den Wiederbeginn nach mehr als zweiwöchiger Unterbrechung gelten.

In den Zulassungsstudien sollen nach Auskunft der EMA plötzliche oder ungeklärte Todesfälle nicht aufgetreten sein (5). Bei Patienten mit Ruhepuls unter 55 pro Minute, AV-Block 2. Grades oder höher, Sick-Sinus-Syndrom, koronarer Herzkrankheit sowie Herzinsuffizienz oder anderen klinisch bedeutsamen kardiovaskulären Erkrankungen, darunter auch Risikopatienten für QT-Verlängerung, sowie bei Patienten mit gleichzeitiger Betablockertherapie oder Einnahme von Antiarrhythmika der Klassen Ia und III wurde Fingolimod laut Fachinformation jedoch nicht untersucht. Ausdrücklich abgeraten wird in der Fachinformation aber nur von der Komedikation mit Antiarrhythmika der Klassen Ia und III (6). Wir bewerten Fingolimod beim derzeitigen Kenntnisstand als Mittel der Reserve bei sehr schweren MS-Verläufen, bei denen Betainterferone und Glatiramerazetat (COPAXONE) versagt haben oder nicht angewendet werden können. Patienten mit den oben genannten kardiovaskulären Erkrankungen, bei denen wegen fehlender Studienerfahrungen die Nutzen-Schaden-Bilanz des potenziell kardiotoxischen Fingolimod unbekannt ist, sollte das Mittel unseres Erachtens derzeit nicht verordnet werden.

1EMA: Presseerklärung vom 20. Jan. 2012; http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Press_release/2012/01/WC500120703.pdf
2swissmedic: Presseerklärung vom 20. Jan. 2012; http://www.swissmedic.ch/marktueberwachung/00091/00092/01898/index.html?lang=de
3FDA: Drug Safety Communication: Safety review of a reported death after the first dose of Multiple Sclerosis drug Gilenya (fingolimod), 20. Dez. 2011; http://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/ucm284240.htm
4Afssaps: Presseerklärung vom 20. Jan. 2012; http://www.afssaps.fr/index.php/Infos-de-securite/Points-d-information/Gilenya-R-fingolimod-renforcement-de-la-surveillance-cardio-vasculaire-de-tous-les-patients-durant-les-24-heures-suivant-la-premiere-prise-Point-d-information
5EMA: Questions and answers on the ongoing review of Gilenya (fingolimod) vom 19. Jan. 2012; http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Medicine_QA/human/002202/WC500120704.pdf
6Novartis: Fachinformation GILENYA, Stand März 2011

© Redaktion arznei-telegramm, blitz-a-t 24. Januar 2012

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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