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Bedenkliches "Krebsmittel" Amygdalin/Laetrile - kein Ende in Sicht

Die Samen (Kerne) von Steinfrüchten wie Aprikosen oder Bittermandeln enthalten bis zu 8% Amygdalin, ein zyanogenes Glykosid. Amygdalin und seine Abkömmlinge wie Laetrile sind nicht als Arzneimittel zugelassen, werden aber seit Jahrzehnten, auch unter der Bezeichnung Vitamin B17, als Antikrebsmittel propagiert - zunehmend als Nahrungsergänzungsmittel und auch kombiniert mit dem Verzehr Amygdalin-haltiger bitterer Aprikosenkerne oder mit hochdosiertem Vitamin C. Die Bezeichnung als Vitamin B17 ist irreführend, da Amygdalin für den Stoffwechsel des Menschen nicht erforderlich ist.1 Eigentlich könnte und sollte das Kapitel Amygdalin längst geschlossen sein: Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA warnt seit Jahrzehnten vor dem "Quacksalbermittel"2 (a-t 1978; Nr. 4: 42 und Nr. 11: 100). In einer vom National Cancer Institute gesponserten Studie mit 178 Patienten ließ sich 1982 kein Nutzen feststellen, weder in Bezug auf Heilung, Stabilisierung oder Besserung der Erkrankung noch hinsichtlich einer Lebensverlängerung - bei allerdings beträchtlichen Risiken (a-t 1982; Nr. 2: 14).3 Auch ein aktuelles Cochrane Review zieht eine negative Nutzen-Schaden-Bilanz.4 Befürworter behaupten, dass Amygdalin gesunde Zellen nicht schädigt.* Das in Krebszellen angeblich in großen Mengen vorhandene Enzym Betaglukosidase soll dort selektiv aus Amygdalin Blausäure (Salz: Zyanid) freisetzen und so gezielt maligne Zellen abtöten. Diese These wurde bereits in den 1980er Jahren durch Messungen des Enzymgehalts in gesundem und Tumorgewebe widerlegt.1 Ein Autor des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) warnt angesichts fehlender Nutzenbelege, dass Amygdalin beträchtliche Störwirkungen wie Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen auslösen kann und das Risiko hoher Zyanidspiegel (über 3 µg/ml) birgt, die in einem Bereich liegen, für den bereits Todesfälle beschrieben sind. Gleichzeitiger Genuss von Lebensmitteln mit hohem Betaglukosidasegehalt, zu denen beispielsweise Aprikosenkerne gehören, steigern das Risiko symptomatischer Zyanidtoxizität.1 Die Gefährdung durch eine Blausäurevergiftung steigt weiter, wenn gleichzeitig mit hochdosiertem Vitamin C behandelt wird, das in vitro die Bildung von Zyanid erhöht und das die Vorräte von Zystein im Körper verringert, welches zur Entgiftung von Zyanid beiträgt.5 Laut BfArM ist Amygdalin ein bedenklicher Arzneistoff, der "nicht in Verkehr gebracht werden" darf und dessen Abgabe selbst dann unzulässig ist, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt.1 Verfechter der Krebstherapie mit Amygdalin stiften auf mehreren Internetseiten* mit Verschwörungstheorien Verwirrung (vgl. blitz-a-t vom 16. Juni 2000): Das aus der Natur stammende "Vitamin" sei für die pharmazeutischen Kartelle uninteressant, da es nicht patentierbar ist. Und dem medizinischen Establishment gelänge es bislang immer noch, der Öffentlichkeit Informationen zu dem Mittel vorzuenthalten. Wir warnen erneut und dringend vor derartiger Quacksalberei, -Red.

  (M = Metaanalyse)
1 LILIENTHAL, N. (BfArM): Bull. z. Arzneimittelsicherheit 2014 (Nr. 3): 7-13;
http://www.a-turl.de/?k=elgw
2 FDA: Pressemitteilung vom 22. Juni 2004
3 MOERTEL, C.G. et al.: N. Engl. J. Med. 1982; 306: 201-6
M  4 MILAZZO, S. et al.: Laetrile treatment for cancer. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Sept. 2011, Zugriff Okt. 2014
5 BROMLEY, J. et al.: Ann. Pharmacother. 2005; 39: 1566-9

* z.B.: http://heilpraktiker-warnemünde.de/amygdalin-vitamin-b17

© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 17. Oktober 2014

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