METHADON GEGEN KREBS?
Mehrere Kollegen bitten uns um Einschätzung des Nutzens von Methadon (METHADDICT u.a.) gegen Krebs. Anlass sind Fernsehsendungen, in denen eine spezielle Zubereitung des hierzulande ausschließlich zur Substitutionsbehandlung bei Opioidabhängigkeit zugelassenen Opioids als viel versprechende und kostengünstige unterstützende Therapie bei Krebs dargestellt wird. Die Pharmaindustrie würde die Erforschung des patentfreien Mittels jedoch zu Gunsten teurer Innovationen nicht finanzieren, weil mit Methadon kein Geld zu verdienen sei.1 Methadon soll nach dem Prinzip eines Wirkverstärkers über Aktivierung von Opioidrezeptoren auf Tumorzellen die Wirkung einer Chemotherapie verbessern.2 Patienten scheinen die Verweise auf in-vitro- und tierexperimentelle Ergebnisse sowie die suggestiven anekdotischen Berichte so zu überzeugen, dass sie die Behandlung mit Methadon aktiv einfordern.
* | Vorversion am 19. Mai 2017 als blitz-a-t veröffentlicht |
Zur Krebsbehandlung mit dem Opioid finden wir lediglich eine retrospektive Studie zu Sicherheit und Verträglichkeit von Methadon mit 27 an Gliom erkrankten Patienten, die zusätzlich zur Chemotherapie 2 bis 18 Monate lang eine 1%ige Methadonhydrochlorid-Lösung im Rahmen eines individuellen Heilversuchs einnehmen und mit historischen Kontrollen verglichen werden. Als Störwirkungen werden Übelkeit (n = 13; 48%, schwer bei n = 2; 7%), Obstipation (n = 3; 11%), Angst und Schläfrigkeit (je n = 2; 7%), Abgeschlagenheit sowie Schwitzen und Juckreiz (je n = 1; 4%) beschrieben. Statistische Auswertungen zum progressionsfreien Überleben werden nur für chemotherapeutisch behandelte Patienten mit primärem Glioblastom (n = 12) vorgelegt. Signifikante Unterschiede zwischen Methadonanwendern und historischen Kontrollen finden sich nicht. Zum Gesamtüberleben wird nur berichtet, dass in den ersten drei Therapiemonaten kein Patient gestorben und das mediane Gesamtüberleben noch nicht erreicht sei.2 Wir erachten diese Daten als völlig unzureichend, um die Auswirkungen von Methadon auf Überleben und Lebensqualität beurteilen zu können.
In der Schmerztherapie lässt eine retrospektive Untersuchung zur Opioidrotation auf Methadon oder andere Opioide an 164 Patienten mit verschiedenen Krebserkrankungen, davon 37% zum Zeitpunkt der Opioidrotation unter Chemotherapie, keinen lebensverlängernden Effekt von Methadon im Vergleich zu anderen Opioiden erkennen.3 Zwei retrospektive US-amerikanische Kohortenstudien4,5 kommen hinsichtlich der Frage einer gesteigerten Mortalität unter Methadon im Vergleich zu retardiertem Morphin (MST RETARD, Generika) bei Patienten mit ausschließlich oder überwiegend nicht tumorbedingten Schmerzen zu widersprüchlichen Ergebnissen.
Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) warnt aktuell vor unrealistischen Erwartungen und möglichen Gefahren von Methadon zur Krebstherapie.6 Aus Sicht der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft (NOA) der Deutschen Krebsgesellschaft, die bereits 2015 auf die Probleme einer aktiven Werbung für die experimentelle Behandlung von Glioblastomen mit Methadon hinwies,7 entwickelt sich das Thema aktuell zu einer Herausforderung für die leitliniengerechte Therapie der Patienten.8 Ulmer Kliniker haben indes von einer ursprünglich geplanten Phase-I/II-Studie bei Patienten mit chemotherapierefraktärem kolorektalen Karzinom9 Abstand genommen, da „die präklinische Rationale für die Durchführung einer klinischen Studie gefehlt hat“.10
Unabhängige klinische Forschung wird in Deutschland unzureichend gefördert. Diese unbefriedigende Situation kann jedoch nicht den unkritischen Einsatz einer experimentellen Therapie rechtfertigen. Wir raten von der unzureichend begründeten Off-label-Anwendung von Methadon zur unterstützenden Tumortherapie ab, –Red.
1 | z.B. CICHY, C.: PlusMinus-Sendung vom 12. Apr. 2017;http://www.a-turl.de/?k=ombu |
2 | ONKEN, J. et al.: Anticancer Res. 2017; 37: 1227-35 |
3 | REDDY, A. et al.: J. Palliat. Med. 2017; 20: 656-61 |
4 | RAY, W.A. et al.: JAMA Intern. Med. 2015; 175: 420-7 |
5 | KREBS, E.E. et al.: Pain 2011; 152: 1789-95 |
6 | DGHO: Stellungnahme vom 26. April 2017; http://www.a-turl.de/?k=gonm |
7 | Neuroonkologische Arbeitsgemeinschaft, Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Stellungnahme vom 26. März 2015; http://www.a-turl.de/?k=auel |
8 | aerzteblatt.de vom 24. Mai 2017; http://www.a-turl.de/?k=delm |
9 | GÜTHLE, M. et al.: Z. Gastroenterol. 2015; 53 – KG214 (Kongressbeitrag) |
10 | GÜTHLE, M.: Schreiben vom 18. Mai 2017 |
© 2017 arznei-telegramm, publiziert am 2. Juni 2017
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