Anaphylaxie unter sublingualer Immuntherapie
Fast vier Monate lang nimmt eine 50-jährige Frau mit Heuschnupfen und Asthma das Allergenpräparat GRAZAX ein, als es darunter im Rahmen einer Erkältung zu einer anaphylaktischen Reaktion kommt. Unmittelbar nach Anwendung der Wiesenlieschgraspollen-haltigen Sublingualtablette klagt die Patientin über stammbetonten Juckreiz, Urtikaria, Rhinorrhö und Luftnot. Die Beschwerden klingen unter peroralen Glukokortikoiden sowie wiederholter Inhalation von Sympathomimetika innerhalb eines Tages ab. Nach Besserung der Erkältungsbeschwerden wird das Allergenpräparat wieder gut vertragen (NETZWERK-Bericht 17.386). Uns liegen zwei weitere Meldungen vor, in denen es kurz nach Einnahme des sublingualen Allergenextraktes ORALAIR, der neben Wiesenlieschgras- auch andere Gräserpollen enthält, unter anderem zu Angioödem und Luftnot gekommen ist (NETZWERK-Berichte 15.613 und 16.945). In den letzten fünf Jahren dokumentiert die europäische Arzneimittelbehörde EMA in ihrer Datenbank 45 Verdachtsberichte über anaphylaktische Reaktionen nach sublingualer Immuntherapie mit Wiesenlieschgraspollen, davon 9 lebensbedrohliche.1 Deutsche Fachinformationen von GRAZAX und ORALAIR weisen auf schwere allergische2 bzw. anaphylaktische3 Reaktionen mit Symptomen wie Flush, Juckreiz, Urtikaria, Angioödem, Dysphagie, Dyspnoe, Blutdruckabfall oder Engegefühl im Hals hin, bei deren Auftreten die Therapie abzubrechen oder auszusetzen ist und die sofortige ärztliche Hilfe erfordern. Die erste Anwendung der Allergenpräparate soll unter ärztlicher Aufsicht erfolgen, Patienten sind danach für etwa 30 Minuten zu überwachen.2,3 Lebensbedrohliche allergische Reaktionen können aber auch nach dem ersten Behandlungstag auftreten.3-5 Postmarketingberichte, die der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA vorliegen, sprechen außerdem dafür, dass insbesondere Personen betroffen sind, die aus klinischen Studien ausgeschlossen waren, wie Patienten mit moderatem oder schwerem Asthma, die auf eine tägliche Inhalation von Kortikosteroiden angewiesen sind, oder solche mit kardialen oder pulmonalen Vorerkrankungen.4,5 Eine sublinguale Immuntherapie mit GRAZAX oder ORALAIR darf in den USA daher nur bei gleichzeitiger Verordnung von Adrenalin-Autoinjektoren (z.B. FASTJEKT) durchgeführt werden.4-7
1 | EMA: Eudra Vigilance, Stand Dez. 2017; http://www.adrreports.eu |
2 | Stallergenes: Fachinformation ORALAIR, Stand Dez. 2015 |
3 | Alk-Abelló: Fachinformation GRAZAX, Stand Juni 2015 |
4 | FDA: Clinical Review GRASTEK, undatiert; http://www.a-turl.de/?k=ergz |
5 | FDA: Clinical Review ORALAIR, März 2014; http://www.a-turl.de/?k=ayri |
6 | Merck: US-amerikanische Produktinformation GRASTEK, Stand Apr. 2017; http://www.a-turl.de/?k=faff |
7 | Stallergenes: US-amerikanische Produktinformation ORALAIR, undatiert; http://www.a-turl.de/?k=uish |
© 2018 arznei-telegramm, publiziert am 19. Januar 2018
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