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Zu wenig bekannt und zum Teil folgenschwer – durch Biotin (BIOTIN BETA u.a.) verfälschte Laborunter­su­chungen

Die Einnahme von Biotin („Vitamin B7“, „Vitamin H“) kann zu falsch positiven oder falsch negativen Labortests führen. Betroffen sind Tests, bei denen biotinylierte Reagenzien verwendet werden, beispielsweise zum Nachweis von Schilddrüsen- und Sexualhormonen oder kardialen Markern wie Troponin T.* Falsche und verzögerte Diagnosen sowie unnötige Behandlungen können die Folge sein. Wegen einer erhöhten Anzahl entsprechender Fallberichte hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf europäischer Ebene ein Risikobewertungsverfahren initiiert.1 Die Einnahme von Biotin ist nur bei seltenen Biotinmangelzuständen oder zum Beispiel bei angeborenen Defekten im Biotinstoffwechsel erforderlich. In aller Regel wird der Tagesbedarf von 0,03 mg bis 0,06 mg Biotin mit der Nahrung gedeckt.1 Biotin wird jedoch auch als Nahrungsergänzungsmittel zur Förderung des Stoffwechsels propagiert oder als „Schönheitsvitamin“ für gesunde Haut, Haare oder Nägel. Die dabei empfohlenen Dosierungen liegen zum Teil erheblich über dem Tagesbedarf und können beispielsweise 10 mg/Tag betragen,1 was der in Fachinformationen von Fertigarzneimitteln angegebenen Höchstdosis (zur Therapie des sehr seltenen multiplen Carboxylasemangels) entspricht. Hinweise auf eine mögliche Beeinflussung von Laborwerten fehlen dort.z.B. 2 In den Gebrauchsinformationen der betroffenen Labortests werden zwar Schwellenwerte für Biotinkonzentrationen angegeben, unterhalb derer keine oder nur geringe Veränderungen der Ergebnisse zu erwarten sein sollen. Im klinischen Alltag ist das aber wenig hilfreich, da Korrelationen zwischen eingenommenen Biotinmengen und Plasmaspiegeln bisher nicht gesichert sind.1 Es ist daher unklar, ab welcher Dosis mit einer Beeinflussung von Laboruntersuchungen zu rechnen ist. Beschrieben sind beispielsweise falsch niedrige TSH-Werte, aufgrund derer eine Therapie mit Radiojod erwogen wird, bereits ab täglich 0,3 mg Biotin.1,3 In den USA ist ein Patient gestorben, der Biotin hochdosiert als Behandlungsversuch einer Multiplen Sklerose einnahm** und wegen Brustschmerzen in die Notaufnahme kam. Ein Herzinfarkt wurde dort aufgrund falsch negativer Troponin-Werte nicht rechtzeitig in Betracht gezogen.4,5 Sowohl die US-amerikanische Arzneimittelbehörde als auch die Mitarbeiter des BfArM raten dazu, Patienten vor anstehenden Laboruntersuchungen gezielt nach der Einnahme biotinhaltiger Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel zu fragen und bei einer Diskrepanz zwischen Testergebnis und klinischen Symptomen an die Möglichkeit einer Interferenz zu denken. Da das Risiko biotinbedingt falscher Ergebnisse vom verwendeten Testprinzip abhängt und sich daher von Labor zu Labor unterscheiden kann, sollte im Laborbefund bei Anwendung biotinylierter Reagenzien auf die mögliche Verfälschung durch Biotin hingewiesen werden.1,4

1KATIC, J., BICK, N. (BfArM): Bull. zur Arzneimittelsicherheit 2018; Nr. 4: 12-9; http://www.a-turl.de/?k=berz
2Heumann: Fachinformation BIOTIN HEUMANN, Stand März 2015
3CHARLES, S. et al.: Nutrition 2019; 57: 257-8
4FDA: Safety Communication, 28. Nov. 2017; http://www.a-turl.de/?k=rmtr
5FDA: MAUDE adverse event report, Jan. 2017; http://www.a-turl.de/?k=enna
6EMA: Withdrawal Assessment Report QIZENDAY, Sept. 2017; http://www.a-turl.de/?k=osdo
*Details zu betroffenen Testsystemen siehe1
**In Europa wurde der Zulassungsantrag für hochdosiertes Biotin (300 mg/Tag) gegen progressive MS 2017 wegen unzureichender Daten zurückgezogen.6

© 2019 arznei-telegramm, publiziert am 18. Januar 2019

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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