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DESINFORMIERENDES ÄRZTEANSCHREIBEN DER BARMER ZU CARIPRAZIN (REAGILA)

Erneut macht uns ein Leser auf ein Rundschreiben1 der BARMER aufmerksam (vgl. a-t 2016; 47: 96, 2022; 53: 15-6). Im April 2023 informiert die Krankenkasse Ärztinnen und Ärzte über vermeintliche Vorteile von Cariprazin (REAGILA). Das zur Behandlung Erwachsener mit Schizophrenie zugelassene atypische Neuroleptikum sei das „einzige Produkt mit Zusatznutzen in der Schizophrenietherapie“.1

Ob ein Zusatznutzen vorliegt, wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) allerdings erst seit 2011 im Rahmen von Nutzenbewertungsverfahren bewertet. Bisher hat er nur Cariprazin und Lurasidon (LATUDA, außer Handel, kein Zusatznutzen) bewertet, nicht aber die bereits vor 2011 zugelassenen und als zweckmäßige Vergleichstherapie herangezogenen Neuroleptika. Die BARMER lässt zudem unerwähnt, dass der G-BA Cariprazin 2018 in der Langzeitbehandlung Erwachsener mit überwiegender Negativsymptomatik lediglich einen Hinweis auf einen geringen Zusatznutzen2 zuerkannt hat. Wir sahen damals keine Vorteile des teuren Cariprazin gegenüber anderen Neuroleptika und rieten von der Anwendung ab (a-t 2018; 49: 68-70). Der nach Einschätzung des G-BA bestehende Hinweis auf einen Vorteil gegenüber Risperidon (RISPERDAL, Generika) beruht wesentlich auf einem signifikanten Unterschied im sekundären Endpunkt, der Einschätzung der psychosozialen Funktion durch die Prüfärzte, in einer der Zulassungsstudien.2 Dort ergibt sich auf der 100-stufigen Personal and Social Performance Scale zur psychosozialen Funktion im Mittel eine Differenz von 4,6 Punkten,3 ein Unterschied in der Hersteller-gesponserten Studie, der uns von fraglicher klinischer Relevanz4 erscheint. Aus diesem Endpunkt schließt die BARMER auf eine „Verbesserung der Lebensqualität in Langzeitbehandlung“,5 während der G-BA den Endpunkt unter Morbidität fasst und in Bezug auf Lebensqualität für Cariprazin keinen Zusatznutzen ableitet.2

Laut Rundbrief der BARMER verbessere Cariprazin außerdem „aufgrund seiner Affinität zum D3-Rezeptor die Negativsymptomatik stärker als Risperidon.“1 In der Begründung des G-BA zu seinem Nutzenbewertungsbeschluss2 finden wir diese Aussage nicht. Hierfür bedient sich die BARMER ohne Quellenangabe aus den für die Nutzenbewertung eingereichten Unterlagen des Cariprazin-Anbieters5 und macht aus einem „beitragen kann“ eine Tatsachenbehauptung.

Das Präparat soll laut der Krankenkasse darüber hinaus „wirtschaftlich durch Rabattvertrag“ sein.1 Den Listenpreisen zufolge kosten täglich 4,5 mg Cariprazin pro Monat 104 € (98 Kapseln REAGILA zu 4,5 mg: 339,08 €), 13-mal so viel wie täglich 4 mg eines günstigen Risperidon-Generikums (100 Tabletten RISPERIDON ABZ zu 4 mg: 26,61 €). Ob sich unter diesen Voraussetzungen tatsächlich Wirtschaftlichkeit mit Cariprazin erreichen lässt, ist nicht überprüfbar, da der Rabattvertrag – wie üblich – nicht öffentlich zugänglich ist.

Nicht erwähnt wird von der BARMER die Empfehlung der S3-Leitlinie Schizophrenie6 von 2019. Bei prädominanten Negativsymptomen wird dort zur Pharmakotherapie nicht Risperidon, sondern Amisulprid (SOLIAN, Generika) in niedriger Dosis oder Olanzapin (ZYPREXA, Generika) angeraten. Die Leitlinie erwähnt zwar Cariprazin, hat es hierzu jedoch noch nicht eingeordnet.

Den gesetzlichen Auftrag (gemäß § 73 Abs. 8 SGB V), Vertragsärzte auch vergleichend über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen zu informieren sowie nach dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse Hinweise zu Indikation und therapeutischem Nutzen zu geben, sehen wir in dem Schreiben der BARMER nicht erfüllt. Nach unserem Empfinden handelt es sich dabei eher um eine Werbemaßnahme für Cariprazin. Unsere Frage, wer die Aktion finanziert hat, beantwortete die Kasse nicht, –Red.

(R = randomisierte Studie)
1BARMER: Rundscheiben, Apr. 2023
2G-BA: Cariprazin – Tragende Gründe zum Beschluss vom 4. Okt. 2018; https://a-turl.de/resp
R3NÉMETH, G et al.: Lancet 2017; 389: 1103-13
4vgl. NASRALLAH, H. et al.: Psychiatry Res. 2008; 161:213-24
5BARMER: E-Mail vom 1. und 5. Juni 2023
6DGPPN (Hrsg.): S3-Leitlinie Schizophrenie, 15. März 2019; https://a-turl.de/aeat

© 2023 arznei-telegramm, publiziert am 9. Juni 2023

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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