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Kurz und bündig

Jugendschutz – Handlungsbedarf bei E-Zigaretten

In Deutschland wird nach jahrelang rückläufiger Tendenz wieder deutlich mehr geraucht.1 Parallel hat sich der Gebrauch von E-Zigaretten (Vapes, Dampfer) bei jungen Erwachsenen und insbesondere Jugendlichen „seit 2021 mehr als verdoppelt“, obwohl der Verkauf an Jugendliche seit Jahren verboten ist.2 Nach US-amerikanischen Erhebungen ist von 2014 bis 2021 das Einstiegsalter für Zigaretten gleich geblieben, bei E-Zigaretten hat es sich hingegen auf Jüngere verschoben.3 Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene sind eine Zielgruppe der Anbieter. Relativ geringe Preise für Einweg-E-Zigaretten sowie bunt oder z.B. in Form von USB-Sticks oder Textmarkern aufgemachte Produkte und jugendaffine Aromen wie Toffee oder Fruchtbonbon locken junge Menschen an. E-Zigaretten, die in der EU bis zu 20 mg/ml Nikotin enthalten dürfen, haben zwar gegenüber Tabakprodukten einen gewissen Vorteil, da sie nicht die zahlreichen mit Tabakrauch verbundenen Schadstoffe freisetzen. Jedoch sind Toxizität und Langzeitfolgen der eingeatmeten verdampften Lösungsmittel und der unüberschaubaren Zahl von Aromen und sonstigen Bestandteilen weitgehend unbekannt (vgl. a-t 2014; 45: 17-9 und 2021; 52: 46-7). Von der Verträglichkeit der Bestandteile bei Einnahme per os kann nicht auf Unbedenklichkeit bei Einatmen der erhitzten Stoffe geschlossen werden. Deren Atemwegs- und systemische Toxizität hängt zudem von Gerät, Stoffkonzentration und erzeugter Hitze ab.4 Auch besitzt Nikotin ein hohes Abhängigkeitspotenzial – unabhängig davon, ob es als Rauch oder per Dampf zugeführt wird. Mehrere systematische Übersichten und Metaanalysen geben zudem Hinweise, dass nikotinhaltige E-Zigaretten den Einstieg in konventionelles Rauchen fördern können.5 Bei Jugendlichen soll Dampfen die spätere Rauchwahrscheinlichkeit auf das etwa Dreifache erhöhen.6,7 Schwedische Autoren erachten E-Zigaretten auf Basis ihrer Auswertungen als Prädiktor für späteres Rauchen.8 Die Qualität von E-Zigaretten und Liquids – etwa die qualitative und quantitative Übereinstimmung der deklarierten mit den tatsächlichen Inhaltsstoffen – unterliegt hierzulande keiner behördlichen Kontrolle. Wer E-Zigaretten konsumiert, wird zum Teil über die tatsächlichen Bestandteile getäuscht: In sechs von zehn in Australien überprüften, angeblich nikotinfreien E-Liquids wurden bis zu 2,9 mg/ml Nikotin nachgewiesen.9 Nikotinhaltige Dampfer und E-Liquids dürfen aber in Australien nur auf Rezept verkauft werden.10 Die australische Regierung sieht weitere Einschränkungen wie Importverbote vor.11,12 Die umweltschädlichen Einweg-E-Zigaretten (Elektroschrott) sind in Australien grundsätzlich verboten. Ein Verbot steht z.B. auch in Frankreich und Neuseeland an.13,14 Hierzulande ist damit erst 2026 durch die Batterieverordnung der EU zu rechnen.2 Effektive Maßnahmen zum vorbeugenden Verbraucherschutz insbesondere für Jugendliche stehen in Deutschland aus,* z.B. Einbeziehen von E-Zigaretten und Tabakerhitzern in die Nichtraucherschutzgesetze, Verbot von Einwegdampfern, jugendaffinen Aromen und der kostenlosen Abgabe von Erhitzern und E-Zigaretten,2 Werbeverbote vor allem an den Verkaufsstellen, Anheben des Mindestalters für Käufer von E-Produkten u.a.,2,8 –Red.

*In Bezug auf präventive Maßnahmen ist Deutschland 2022 mit Rang 34 (von 37) unter europäischen Staaten ein Schlusslicht in der Tabakkontrollskala.15
1KOTZ, D. et al.: DEBRA: Factsheet 09, Dez. 2022; https://a-turl.de/gcc5
2Drogenbeauftragter der Bundesregierung: Schreiben vom 27. Juni 2023
3GLANTZ, S. et al.: JAMA Network open 2022; 5: e2240671 (12 Seiten)
4BANKS, E. et al.: Electronic cigarettes and health outcomes: systematic review of global evidence. Report, Apr. 2022; https://a-turl.de/wt7f
5O´BRIAN, D. et al.: BMC Public Health 2021; 21: 954 (10 Seiten)
6YOONG, S.L. et al.: PLOS ONE 2021: 16: e0256044 (23 Seiten)
7Deutsches Krebsforschungszentrum: Schreiben vom 14. und 19. Juni 2023
8ADERMARK, L. et al.: ERJ Open Res. 2021; 7: 00976-2020 (11 Seiten)
9CHIVERS, E.: Med. J. Aust. 2019; 210: 127-8
10Australian Government, Smoking and tobacco laws in Australia, 2. Mai 2023; https://a-turl.de/wbc8
11Department of Health and Age Care: Taking action on smoking and vaping, 2. Mai 2023; https://a-turl.de/ptz3
12NOGRADY, B.: BMJ 2023; 381: 1014
13Frankreichs Gesundheitsminister will Einweg-E-Zigaretten verbieten, Dt. Ärztebl. vom 3. Mai 2023; https://a-turl.de/922d
14Neuseeland will Jugendliche vor E-Zigaretten schützen, Dt. Ärztebl. vom 6. Juni 2023; https://a-turl.de/evg6
15JOOSSENS, L. et al.: The Tobacco Control Scale 2021 in Europe, Dez. 2022; https://a-turl.de/qvnc

© 2023 arznei-telegramm, publiziert am 7. Juli 2023

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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