Daß Benzodiazepine als unter sich austauschbar und einheitlich verwendbar beurteilt werden, geht auf die ähnliche Struktur und den
gemeinsamen Wirkungsmechanismus über eigene Rezeptoren zurück. Selbst die extrem divergierenden pharmakokinetischen Eigenschaften der
Benzodiazepine lassen sich theoretisch in ein einheitliches Korsett zwängen, da die Wirkdauer auch von der Dosierung abhängt. Jedoch sind in der Praxis
dem Versuch, aus unterdosiertem Diazepam (z.B. 0,25 mg) ein kurzwirkendes Einschlafmittel zu machen, ebenso Grenzen gesetzt wie für den, aus dem
kurzwirkenden Triazolam durch Dosiserhöhung (etwa auf 2 oder 4 mg) einen 24-Stunden-Tranquilizer zu machen. In der Anästhesie zeigen sich
vor allem bei intravenöser Gabe pharmakokinetische und pharmakodynamische Unterschiede oft in besonderer Klarheit. Auswahlentscheidend
sind Verstoffwechselung, Wirkdauer, Ausscheidung und Langzeitsedierung mit Reboundphänomen.
VERSTOFFWECHSELUNG UND AUSSCHEIDUNG: Die Verstoffwechselung der Benzodiazepine läuft über verschiedene Wege: Die
Cytochrom-P450-abhängigen Phase-I-Reaktionen mit Demethylierung und auch der Hydroxilierung sowie die Phase-II-Reaktionen mit direkter Koppelung an
Glukuronsäure (vgl. Abb. 1). Benzodiazepine, die ausschließlich glukuronidiert werden, wie Oxazepam (ADUMBRAN u.a.), Lorazepam (TAVOR u.a.) und
Lormetazepam (NOCTAMID), nehmen eine Sonderstellung ein, da sie in der Leber nicht metabolisiert werden müssen und schneller ausgeschieden
werden.
Benzodiazepine wie Clorazepat (TRANXILIUM) oder Prazepam (DEMETRIN) sind "Prodrugs" und müssen im Stoffwechsel aktiviert werden. Bei
anderen Derivaten wie Diazepam (VALIUM u.a.) oder Flurazepam (DALMADORM u.a.) entstehen aktive Metaboliten, die zur Wirkung und besonders zur Wirkdauer
beitragen. Zentrale Bedeutung besitzt Desmethyldiazepam (= Nordiazepam) mit seiner langen Halbwertszeit von 50 bis 80 Stunden, das bei chronischer Anwendung
der Muttersubstanz erheblich kumuliert. Durch Toleranzentwicklung und die große therapeutische Breite der Benzodiazepine wird die Kumulation nicht sofort
erkannt und kann anhaltende Störungen wie Dauerschlaf und verzögertes Aufwachen nach Langzeitsedierung (z.B. bei maschineller Beatmung)
bewirken.
Die Ausscheidung wird durch die Einführung einer Hydroxigruppe (meist in 3-Position des Benzodiazepins) vorbereitet. Aus Desmethyldiazepam entsteht
Oxazepam (ADUMBRAN u.a.) und aus Diazepam Temazepam (PLANUM). Diese 3-Hydroxi-Benzodiazepine, zu denen auch Lorazepam (TAVOR) und
Lormetazepam (NOCTAMID) gehören, werden ausschließlich glukuronidiert (vgl. Abb. 1). In dieser Form sind sie gut wasserlöslich und renal
eliminierbar.
Da die Glukuronidierungskapazität der Leber sehr hoch und nicht absättigbar ist, induzieren diese Benzodiazepine keine Leberenzyme und beeinflussen
den Abbau anderer Arzneimittel nicht. Ihre Inaktivierung bleibt von anderen gleichzeitig eingenommenen Arzneimitteln unbeeinflußt. Die Pharmakokinetik ist
weitgehend altersunabhängig. Die Halbwertszeit bleibt auch im Alter unverändert. Bei anderen, in der Leber verstoffwechselten Benzodiazepinen wie
Chlordiazepoxid (LIBRIUM u.a.) oder Diazepam, kann die Wirkdauer im Alter oder bei Leberzirrhose um das Dreifache und mehr verlängert sein.
Ähnliche Unterschiede bestehen bei gleichzeitiger Anwendung von Arzneimitteln, die das mikrosomale Enzymsystem blockieren, wie Cimetidin (TAGAMET u.a.),
Isoniazid (ISOZID u.a.), orale Kontrazeptiva, Disulfiram (ANTABUS), Propranolol (DOCITON u.a.) u.a. Diese hemmen die Ausscheidung aller Benzodiazepine, die
durch Phase-I-Reaktion verstoffwechselt werden. Auf dieser Interaktion beruhen unerwartete verlängerte Wirkungen mit verzögerter
Aufwachphase.
Wegen der unzureichenden Leberfunktion Neugeborener sind Benzodiazepine im letzten Drittel der Schwangerschaft zu meiden. Sonst ist mit dem "floppy-
infant"-Syndrom (vgl. a-t 7 [1988], 67) zu rechnen, d.h. mit einer starken allgemeinen Muskelrelaxation bis hin zu Atemstörungen. Falls sich vor der
Entbindung eine Benzodiazepin-Anwendung, z.B. bei Narkosen, nicht vermeiden läßt, sind 3-Hydroxi-Benzodiazepine vorzuziehen.
PRÄMEDIKATION: Die Prämedikation soll in der Nacht vor der Operation für einen möglichst physiologischen Schlaf sorgen und die
fast immer vorhandene Angst nehmen. Bei der Anwendung als Schlafmittel verursachen zu kurz wirkende Benzodiazepine wie Midazolam (DORMICUM) oder
Triazolam (HALCION) am folgenden Morgen verstärkte Angst und andere Rebound-Phänomene. Lang wirkende Substanzen wie Flurazepam
(DALMADORM) oder Diazepam sind schlecht steuerbar. Benzodiazepine mit mittellanger Halbwertszeit wie Lormetazepam (NOCTAMID) sorgen sowohl für den
Nachtschlaf als auch für die Anxiolyse am Morgen vor der Operation.
INTENSIVMEDIZIN: Für Intensivpatienten eignen sich Benzodiazepine zur Anxiolyse und Sedierung, bei schwerem Befund auch parenteral. Hier sind
Substanzen zu bevorzugen, die weder die Leber belasten noch im Organismus angehäuft werden. Sonst wäre nach einiger Zeit kaum noch erkennbar, ob
eine Bewußtseinseinschränkung auf der Grundkrankheit oder der hohen Konzentration von Benzodiazepinen und deren aktiven Metaboliten im Gehirn
beruht. Bei Langzeitsedierung (z.B. Beatmungspatienten) sind jedoch langwirkende Benzodiazepine wie Diazepam sinnvoll und auch kostengünstiger als
beispielsweise Midazolam. Bei ultrakurz wirkenden Substanzen ist mit Rebound-Symptomen zu rechnen, wenn eine Dauerinfusion gestoppt wird.
ANTAGONISIERUNG: Durch den spezifischen und selektiven Benzodiazepinantagonisten Flumazenil (ANEXATE) kann die Benzodiazepinwirkung im
Notfall durchbrochen werden. Dies ist nur selten erforderlich. Die kurze Halbwertszeit und Wirkdauer von Flumazenil sind zu berücksichtigen (vgl. a-t 4 [1989],
38). Eine durch 0,03 mg/kg Flunitrazepam i.v. erzielte tiefe Sedierung läßt sich durch 0,1 mg/kg Flumazenil i.v. sofort durchbrechen. Doch hält dieser
Effekt nicht länger als zwei Stunden an. Danach treten wieder Tiefschlafstadien im Vigilosomnogramm auf.
FAZIT: Benzodiazepine eignen sich besser als Barbiturate oder Neuroleptika für die Medikation in der Anästhesie. Die pharmakokinetischen und
pharmakodynamischen Eigenschaften bestimmen die Auswahl der Benzodiazepine bei deren Verwendung zur Prämedikation, während einer Operation
sowie in der Intensivmedizin:
Zur Prämedikation sind mittellang wirkende Substanzen wie Lormetazepam (NOCTAMID u.a.), Lorazepam (TAVOR u.a.) oder Temazepam (PLANUM,
REMESTAN) zu bevorzugen. Zur Narkoseinduktion eignet sich beispielsweise Midazolam (DORMICUM). Zur kurzfristigen Sedierung und Anxiolyse auf der
Intensivstation ist neben Lorazepam, Lormetazepam und Temazepam auch Oxazepam (ADUMBRAN u.a.) geeignet. Langzeitsedierung bei beatmeten Patienten wird
zweckmäßigerweise mit Diazepam oder Flunitrazepam (ROHYPNOL) durchgeführt.
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