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Im Blickpunkt

ZUM HINTERGRUND EINER VERUNREINIGUNG MIT URBASON

Ärzte und Apotheker erfuhren vom Rückruf am 1. Februar 1992 aus einer dpa-Meldung in den Tageszeitungen oder aus einem Rote-Hand-Brief, eingegangen z.B. bei einem Bremer Arzt am 12. Febr. 1992: Die Ratiopharm GmbH nimmt die Charge 42A2 der PARACETAMOL 500 T Tabletten vom Markt. Es könne "nicht ausgeschlossen werden", daß die bei Hoechst in Lohn hergestellten Tabletten durch Untermischung von Methylprednisolon (URBASON) verunreinigt seien. Bei einem Teil der Charge wurde offensichtlich Methylprednisolongranulat statt Parazetamolgranulat zugemischt. Über automatische Gewichtskontrollen soll – nach Auskunft der Hoechst AG – die Fehlproduktion überwiegend aussortiert worden sein. Unverständlich bleibt, warum bei auffällig hoher Ausschußproduktion eine fehlerhafte Teilcharge in den Handel kam. Fälschungen der Produktionsprotokolle behindern offensichtlich die Aufklärung im Hause Hoechst. Wie die Produktionspanne zustande kommt, konnte Ratiopharm bis zum 11. Febr. 1992 nicht ermitteln. Lohnhersteller und pharmazeutischer Anbieter sind zu fragen:

  • Wann kam es zu dem Vorfall?
  • Warum werden Fachkreise erst Wochen oder Monate später davon unterrichtet?
  • Wieviel mg Methylprednisolon enthalten die verunreinigten Tabletten?*
  • Warum produziert die Hoechst AG unterschiedliche Präparate nicht nach den Grundregeln der Good Manufacturing Practice in getrennten Produktionseinheiten mit strikter Trennung der Fertigprodukte (Quarantänelagerung bis zur Produktionsfreigabe, Banderolierung der freigegebenen Granulatbehälter)?
  • Warum unterläßt Ratiopharm eine Qualitätssicherung auf Chargenkonformität?
  • Wer haftet für die Folgen der Methylprednisolon-induzierten Abwehrschwäche bei Kindern und immungeschwächten Erwachsenen, die das Risiko eines schwerwiegenden Verlaufs viraler Infektionen (z.B. Masern oder Varizellen) eingehen? – vgl. Seite 23.

* Nach unserer Schätzung mindestens 1,2 mg URBASON/Tablette bei Annahme einer gleichmäßigen Untermischung – Red.

Von dem Zwischenfall sind zwei der größten deutschen Pharmaunternehmen betroffen. Abgesehen davon, daß bei Hoechst die Organisation der Herstellung zu überprüfen ist und bei beiden Firmen die Ausgangs- bzw. Eingangskontrollen versagen oder nicht vorgenommen werden, weil die Ratiopharm GmbH Kosten sparen möchte, offenbart der Vorfall eine prinzipielle Unzulänglichkeit des deutschen Arzneimittelmarktes. Auf Arzneipackungen wird nur das vertreibende Pharmaunternehmen genannt (in diesem Fall Ratiopharm), nicht jedoch der Lohnhersteller (in diesem Fall Hoechst), wie es Markttransparenz und Arzneimittelsicherheit erfordern: Fällt beispielsweise die Arzneimittelproduktion eines Lohnherstellers durch Unregelmäßigkeiten auf, etwa durch Verunreinigungen, Wirkstoffmindergehalt oder inhomogene Chargen, sind auch die entsprechenden Präparate anderer Firmen, die beim gleichen Lohnhersteller beziehen, zu überprüfen. Die übliche Markenetikettierung verschleiert den Produzenten und Herkunftsort. Markentreue Verordner und Patienten leben mit dem Risiko, daß hinter einer Handelsmarke verschiedene Hersteller mit unterschiedlichen Qualitätsstandards stehen.

Ein weiterer Gesichtspunkt: Stammen die Produkte verschiedener Firmen aus dem gleichen "Topf" eines Lohnherstellers, gewinnt das Kostenargument an Bedeutung, da dann der Preis auswahlentscheidend wird. So vertrieb Hoechst bis April 1991 Parazetamol-Tabletten unter der Bezeichnung GARDAN P – 10 Tabletten für 3,55 DM. Das Hoechster Präparat war damit pro Tablette dreifach teurer als PARACETAMOL RATIOPHARM 500 T.

FAZIT: Mit der Arzneimittelsicherheit scheint es die Ratiopharm GmbH nicht so genau zu nehmen. Wiederholt beanstandeten wir, daß die kleinste Pakkung des Ratiopharm-Analgetikums 30 Tabletten enthält – eine Menge, die, auf einmal genommen, für einen Suizid ausreichen kann (vgl. alarm-telegramm [1989], S. 140). Nach einer verspätet bekanntgewordenen Produktionspanne gelangen mit Methylprednisolon kontaminierte PARACETAMOL-RATIOPHARM-Tabletten in den Handel. Der Vorfall läßt auf insuffiziente Produktionsbedingungen und Kontrollsysteme bei der Hoechst AG und Ratiopharm GmbH schließen.


© 1992 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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