Das vor 40 Jahren entwickelte Makrolidantibiotikum Erythromycin (ERYCINUM u.a.) erlebt eine Renaissance. Es wirkt gut gegen sogenannte atypische
Erreger (z.B. Mykoplasmen, Legionellen, Chlamydien), die zunehmend an Bedeutung gewinnen. Vorteilhaft sind dabei die sehr hohen Gewebespiegel (ausgenommen
im ZNS) sowie die Anreicherung in Phagozyten, wodurch intrazellulär gelegene Erreger (z.B. Legionellen) erfaßt werden. Als Mittel der Wahl gilt es z.B.
für die Behandlung der Legionellenpneumonie, der Diphtherie sowie zur Eliminierung der Erreger bei Keuchhusten. Das Schmalspektrumantibiotikum mit
Wirkschwerpunkt im grampositiven Bereich wird auch bei anderen Infektionen der Atemwege, im HNO-Bereich und bei Haut- und Weichteilinfektionen verwendet.
Es gilt als wichtiges Reservemittel bei Penizillinallergie.
Nachfolgeentwicklungen der letzten Jahre sollen dem Erythromycin überlegen sein so argumentieren zumindest deren Hersteller. Inzwischen stehen 5
Makrolide zur Verfügung. Mit der Einführung weiterer Abkömmlinge (Azithromycin, Dirithromycin) ist in naher Zukunft zu rechnen, wobei deren
therapeutischer Stellenwert noch nicht beurteilt werden kann. Wir messen die erhältlichen Neuerungen am bewährten Erythromycin-Standard.
ERYTHROMYCIN: Erythromycin ist als säurestabiler Ester und in magensaftresistenter Zubereitung im Handel. In diesen Formen wird das Makrolid
nicht durch Magensäure gespalten und inaktiviert. Wegen der kurzen Plasmahalbwertszeit von 1,5 bis 2 Stunden empfiehlt sich eine Aufteilung der Tagesdosis
auf 3-4 Einzelgaben.
Erythromycin wirkt primär bakteriostatisch, je nach Konzentration, Bakterienspezies und -dichte auch bakterizid. Es ist effektiv gegen
Infektionen mit Streptokokken der Gruppe A (wenngleich vereinzelt Resistenzen beschrieben wurden, vor allem nach vorangegangener ausgedehnter Verwendung
bei Atemwegsinfekten), Pneumokokken, Listerien und Corynebacterium diphtheriae, darüber hinaus gegen Legionellen, Treponema pallidum, Chlamydien und
Mykoplasmen. Bei gramnegativen Keimen wird eine ausreichende Wirkung gegen Neisseria meningitidis und gonorrhoeae, Bordetella pertussis und in geringerem
Maße gegen Hämophilus influenzae erreicht. Die Aktivität gegen Staphylokokken ist durch plasmidvermittelte Resistenzentwicklung
eingeschränkt. Gegen gramnegative Stäbchen (E. coli, Klebsiellen, Enterobacter u.a.) wirkt Erythromycin unzureichend.1
Erythromycin gehört zu den relativ gut verträglichen Antibiotika. Vor allem bei Kindern ist mit Magen-Darm-Krämpfen, Übelkeit/Erbrechen
und Durchfall zu rechnen. Allergische Reaktionen, Thrombophlebitis bei intravenöser Gabe, reversible intrahepatische Cholestase (vor allem nach Verwendung
des Estolats bei älteren Patienten, Schwangeren bzw. bei vorgeschädigter Leber) sowie Hörstörungen bis zur Taubheit bei hochdosierter
parenteraler Gabe kommen vor.
Erythromycin kann die Serumspiegel von Mutterkornalkaloiden, Carbamazepin (TEGRETAL u.a.), Theophyllin (SOLOSIN u.a.), Triazolam (HALCION), Bromocriptin
(PRAVIDEL u.a.), Ciclosporin (SANDIMMUN) und Cumarinantikoagulantien erhöhen. Diese wahrscheinlich über Cytochrom P450 vermittelten
Interaktionen besitzen meist nur eine geringe klinische Relevanz.1
JOSAMYCIN (WILPRAFEN): Das 1984 eingeführte Josamycin besitzt das gleiche Wirkungsspektrum wie Erythromycin. Es wirkt bei vielen Erregern
schwächer, bei Hämophilus-Infektionen unsicher. Die In-vitro-Aktivitäten liegen rund 1,5-4fach niedriger. Die Pseudoinnovation bietet keinen
therapeutischen Vorteil, ist aber fast doppelt so teuer wie Erythromycin (vgl. Kasten).11
SPIRAMYCIN (SELECTOMYCIN, ROVAMYCINE): Spiramycin wird über die üblichen Makrolid-Indikationen hinaus gegen Infektionen der
Mundhöhle und des Kiefers propagiert.15 Dies gründet sich auf recht hohe Spiegel, die im Speichel erreicht werden, also auf theoretische
Befunde. Das Makrolid wirkt gut gegen Toxoplasma und wird daher in besonderen Situationen (Frühschwangerschaft, Allergie gegen Pyrimethamin) als
Alternativsubstanz betrachtet.16 Eine weitere Indikation stellt möglicherweise die Cryptosporoidose bei HIV-infizierten Patienten dar, wobei vereinzelt
gute Ergebnisse zu erzielen waren.6,7 Bei Infektionen der Atemwege sowie im HNO-Bereich bietet Spiramycin im Vergleich zum preiswerteren Erythromycin
keine Vorteile.
CLARITHROMYCIN (CYLLIND, KLACID): Dieses halbsynthetische Makrolid ist ohne besondere galenische Verarbeitung bzw. Veresterung säurestabil.
Es besitzt gegenüber Erythromycin eine längere Plasmahalbwertszeit. Die zweimal tägliche Einnahme reicht aus. Das Wirkspektrum entspricht
weitgehend dem des Erythromycins, ebenso die in vitro bestimmten minimalen Hemmkonzentrationen.3,19 Nach einer firmeneigenen Untersuchung besitzt
der hydroxilierte Hauptmetabolit eine zusätzliche Wirkung gegenüber Haemophilus influenzae. Diese bedeutet in vitro allerdings nur eine Halbierung der
MIC. Auch wenn tierexperimentelle Befunde zur Bestätigung dieser Beobachtung angeführt werden, bleibt die klinische Relevanz dieses geringen Effektes
offen.5
Clarithromycin scheint eine bessere Aktivität gegenüber Mycobacterium avium zu haben,14 was bei Patienten mit erworbenem Immundefekt-
Syndrom von Nutzen sein kann. Klinische Untersuchungen brachten bei der Therapie von Atemwegserkrankungen (Bronchitis und Pneumonie),8,10,13
Tonsillitiden und Sinusitiden durchweg gute klinische und mikrobiologische Erfolge bei Störwirkungen, die denen des Erythromycins gleichen. Direkte
Vergleichsstudien zwischen Clarithromycin und Erythromycin liegen für Haut- und Weichteilinfektionen sowie für ambulant erworbene und behandelte
Pneumonien vor.4,17
ROXITHROMYCIN (RULID): Das Anfang 1991 eingeführte Präparat wird wie Clarithromycin gut absorbiert und kann ebenfalls in nur zwei
Einzeldosen pro Tag eingenommen werden. Das Wirkspektrum entspricht dem des Erythromycins. Klinische Prüfungen erfolgten hauptsächlich bei
Atemwegsinfektionen und nicht-gonorrhoischen Genitalinfektionen. Die Ergebnisse waren gut bei geringen, vorwiegend gastrointestinalen
unerwünschten Wirkungen.12 Allerdings blieb die mikrobiologische Hei-lungsrate, d.h. die Elimination der Keime, in einer Vergleichsstudie zwischen
Erythromycin und Roxithromycin bei der Behandlung der Streptokokkenpharyngitis unbefriedigend (Erythromycin 90%ige Keimelimination, Roxithromycin
33%).9 Dies ist im Hinblick auf mögliche Folgeerkrankungen wie Endokarditis oder Gelenkrheumatismus bedenklich.
FAZIT: Erythromycin (ERYCINUM u.a.) bleibt Standardmakrolid zur Behandlung von Infektionen der Atemwege sowie im HNO-Bereich und gilt nach wie vor als
Mittel der Wahl z.B. bei der Legionellenpneumonie.
Von den älteren Makroliden hat Spiramycin (SELECTOMYCIN) möglicherweise eine Indikation bei Cryptosporoidose und in Sonderfällen bei
Toxoplasmose, während sich für die teure Pseudoinnovation Josamycin (WILPRAFEN) keine Vorteile gegenüber Erythromycin ausmachen
lassen.
Bei neueren halbsynthetischen Makroliden wie Clarithromycin (CYLLIND, KLACID) geht der Vorteil der lediglich zweimal täglichen Einnahme mit fast
verdoppelten Kosten einher. Die für Clarithromycin beanspruchte Überlegenheit bei Haemophilus-Infektionen erscheint nicht hinreichend belegt. Hier ist
weiterhin Amoxicillin (AMOXYPEN u.a.) bzw. Amoxicillin plus ß-Laktamasehemmer (z.B. AUGMENTAN) Mittel der Wahl. Die geringen mikrobiologischen
Heilungsraten bei Streptokokkeninfekten fallen bei Roxithromycin (RULID) negativ auf.
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