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Therapiekritik

WISSENSCHAFTLICH UND STRAFRECHTLICH BEWERTET:
GANGLIOSIDE WIE CRONASSIAL

Die im Jahr 1985 von der Firma Dr. Madaus & Co. über Anwälte trotz fehlender Wirksamkeitsbelege und trotz Sicherheitsbedenken erzwungene Zulassung des Rinderhirn-Gangliosid-Präparates CRONASSIAL hat nun für zwei Mitarbeiter des Unternehmens strafrechtliche Konsequenzen. Die 6. Große Strafkammer des Landgerichts Köln stimmte dem Antrag der Staatsanwaltschaft Köln zu, die der Körperverletzung und des Vergehens gegen das Arzneimittelgesetz Beschuldigten, Prof. Dr. med. R. FRIEDEL und Dr. med. C. GOURDIN, mit Bußgeldzahlungen in Höhe von 600.000 DM bzw. 300.000 DM zu belegen. Das Verfahren fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt und wurde "endgültig eingestellt", weil die Beschuldigten die gerichtlichen Auflagen umgehend erfüllt haben (AZ 34 JS 163/90).1

Wer die a-t-Ausgabe 5 (1986), 33 zur Hand nimmt, mag erinnert sein, daß die Firma Madaus das Gangliosid-Präparat in Verkehr brachte, obwohl bereits Mitte der 80er Jahre Bedenkliches bekannt war. Wir schrieben damals: "CRONASSIAL ist trotz aller Reinigungsschritte mindestens mit 0,02% Fremdeiweiß bzw. Eiweißbruchstücken verunreinigt. Damit wäre eine immunogene Wirkung des Präparates plausibel. Darüber hinaus findet man bei neurologischen Erkrankungen häufig Serumantikörper gegen Ganglioside. Dies sehen wir als bedenklich an, zumal sich Spätphasen immuntoxischer Reaktionen ... in Form von Schädigung des peripheren Nervensystems (GUILLAIN-BARRE-Syndrom) äußern können. Hierin erblicken wir ein besonderes Risiko." Tatsächlich sind die vorher beschriebenen Komplikationen eingetreten.

Mindestens 20 von 14.000 CRONASSIAL-behandelten Patienten erkrankten an einem GUILLAIN-BARRE-Syndrom oder an einer amyotrophen Lateralsklerose.2,3 Allein in der Bundesrepublik Deutschland bezahlten mindestens 5 Patienten die Anwendung von Rinderhirn-Gangliosiden wie CRONASSIAL bzw. des Nachfolgepräparates GM1 mit dem Leben. Eine kritische Bewertung des Sachverhalts nimmt ein WHO-Periodikum vor: Überempfindlichkeitsreaktionen vom Spättyp und Sensibilisierung gegenüber Gangliosiden wurden sowohl im Tierexperiment als auch bei wenigstens einem Patienten beschrieben. In Einzelfällen sind Anti-GM1- und Anti-GM2-Gangliosid-Antikörper mit neurologischen Komplikationen nach parenteraler Gabe von Gangliosiden berichtet worden. Außerdem ist bekannt, daß bei Patienten, die ein GUILLAIN-BARRE-Syndrom in Assoziation mit einem Helicobacter-Infekt entwickelten, Anti-GM1-Antikörper im Serum nachweisbar sind. Deshalb wird diskutiert, daß parenteral verabreichte Ganglioside dieses Syndrom selbst auslösen können. Inzwischen gibt es erdrückende Beweise für das sensibilisierende Potential der Ganglioside, wenn diese an Serum- oder Gewebeproteine gebunden sind.4

1

Bescheid der Staatsanwaltschaft Köln vom 6. April 1992

2

BERLIT, P.: Tägliche Praxis 30 (1989), 358

3

SCHÖNHÖFER, P.: Lancet 338 (1991), 757

4

WHO Drug Information 5 (1991), 175


© 1992 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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