Ich habe von dem Schering-Rundschreiben zu NALADOR-500 erst durch Ihre Mitteilung im arznei-telegramm erfahren (a-t 4 [1992], 39). Zwar war mir bekannt, daß in Einzelfällen mit der Gabe von Prostaglandinen schwere
kardiopulmonale Komplikationen auftreten; mit Betroffenheit habe ich jedoch zur Kenntnis genommen, daß Schering im Zusammenhang mit der Gabe von
NALADOR-500 sogar Todesfälle einräumt. NALADOR-500 ist unter anderem zur Einleitung eines Schwangerschaftsabbruchs (Abortinduktion) zugelassen.
Die medikamentöse Schwangerschaftsbeendigung wird medizinisch insbesondere bei fortgeschrittenem Schwangerschaftsverlauf notwendig und mit einer
chirurgischen Ausräumung des Uterus verbunden. Legale Abbrüche fortgeschrittener Schwangerschaften erfolgen stets aus gravierenden medizinischen
Gründen. Dazu gehören schwere Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes der Mutter durch die Schwangerschaft, fetale Mißbildungen
oder fetale Erkrankungen, die die spätere Lebensfähigkeit in Frage stellen.
Akute kardiopulmonale Nebenwirkungen von NALADOR-500 sind wie von Ihnen angedeutet dosisabhängige Effekte von Prostaglandinen, mit
denen man rechnen muß. Außerdem stellen Abbrüche fortgeschrittener Schwangerschaften an sich eine erhebliche Kreislaufbelastung dar. Auch die
zur Abortinduktion genutzte Wirkung der Prostaglandine, die Auslösung von Kontraktionen der glatten Muskulatur, trägt durch gastrointestinale
Beschwerden und uterine Schmerzen zur Belastung bei. Bei Überstimulation der uterinen Muskulatur ist es als weiteres zu beachtendes Risiko
bereits zu Uterus- bzw. Zervixrupturen gekommen. Daraus ergibt sich, daß Prostaglandine wie NALADOR-500 in der niedrigsten effektiven Dosis zur
Abortinduktion anzuwenden sind.
Eine Verminderung der zur Abortinduktion notwendigen Dosis an Prostaglandinen scheint generell erreichbar, wenn man ihre Anwendung mit der vorherigen Gabe
von Antigestagenen (RU-486) kombiniert. Aufgrund des Wirkungsmechanismus von RU-486 treten zwar synergistische Effekte mit Prostaglandinen bezüglich
der Schwangerschaftsbeendigung, nicht jedoch hinsichtlich der Nebenwirkungen für die Mutter auf. 1990 publizierten ROGER und BAIRD (Brit. J. Obstet.
Gynaecol. 97:1, 41-45) eine klinische Studie, die belegt, daß bei der Schwangerschaftsbeendigung im zweiten Trimester der Prostaglandinbedarf durch
Vorbehandlung mit RU-486 gesenkt werden kann und der Abbruch weniger belastend und weniger schmerzhaft wird. So betrug die mediane Austreibungszeit nach
kombinierter Gabe von RU-486 und Prostaglandin 6,8 Stunden, nach Plazebo und Prostaglandin 15,8 Stunden.
Es spricht für den Niedergang der politischen Kultur in der Bundesrepublik, daß die Sensibilität für Sachverhalte wie den hier geschilderten
völlig verlorengegangen ist. RU-486 ist kein Arzneimittel, dessen Nutzen-Risiko-Verhältnis sorgfältig und umfassend bewertet werden sollte, sondern
ein Instrument in einem Kampf als Attribut einer politischen Kultur, die mehr und mehr von blindem Dominanzstreben einzelner Gruppen bestimmt wird. Leider lavieren
auch Institutionen, zu deren Aufgaben die Nutzen-Risiko-Bewertung von Arzneimitteln gehört, im Sog dieser destruktiven Tendenzen.
Dr. Claus GÜNTHER
W-1000 Berlin 45
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