Auf dem diesjährigen Treffen der Amerikanischen Gesellschaft für Klinische Onkologie (ASCO) in Orlando, Florida, stand der Nutzen der
gentechnisch hergestellten Wachstumsfaktoren G-CSF (Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor) und GM-CSF (Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender
Faktor) im Brennpunkt.1 Ihre prophylaktische Anwendung soll das Risiko der Knochenmarkdepression, insbesondere von Granulozyto- und
Thrombozytopenie nach zytostatischer Chemo- und/oder Strahlentherapie, sowie infektiöse Komplikationen verringern. Die schnellere Erholung des
Knochenmarks soll darüber hinaus eine intensivere zytostatische Chemotherapie zulassen, von der man sich höhere Ansprechraten und längeres
Überleben der Krebspatienten erhofft. GM-CSF soll außerdem vor einer Knochenmarktransplantation ruhende Leukämiezellen aktivieren und der
Zytostase zugänglich machen.
KLINISCHE STUDIEN: Nach ersten, zumeist nicht-randomisierten, offenen und relativ kleinen Untersuchungen verkürzt G-CSF (Filgrastim
[NEUPOGEN]) die durch Zytostatika zum Teil auch in erhöhten Dosierungen ausgelöste Neutropenie.2-6 Mehrere offene Studien
deuten eine bessere Verträglichkeit auch aggressiverer zytostatischer Chemotherapie durch die begleitende Behandlung mit GM-CSF (Molgramostim
[LEUCOMAX], Sargramostim [USA: LEUKINE]) an.1,7-10 Im Vergleich mit zumeist historischen Kontrollen lassen mehrere Studien mit G- und GM-
CSF kürzere Erholungszeit der Neutrophilen und kürzere Dauer des Antibiotika-Bedarfs nach hochdosierter Chemotherapie und autologer
Knochenmarktransplantation erkennen.11 Brustkrebs- und Lymphompatienten hatten unter GM-CSF verkürzte Perioden mit Thrombozytopenie und
geringeren Bedarf an Plättchentransfusionen.12
In randomisierten, plazebokontrollierten Studien an 199 bzw. 129 Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinom, die das CAE-Schema (Cyclophosphamid,
Doxorubicin und Etoposid) erhielten, verminderten durchschnittlich 4-8 µg/kg KG G-CSF Ausmaß und Dauer der Neutropenie.13,14
Febrile Neutropenien nahmen um mehr als 20% ab. Die CAE-Therapie konnte bei G-CSF-behandelten Patienten in geringem Umfang intensiviert werden, ohne
daß sich Ansprechrate oder Überlebenszeit besserten.
In einem kontrollierten Vergleich mit GM-CSF bei Patienten mit Non-HODGKIN-Lymphomen unter zytostatischer COP-BLAM-Therapie (Cyclophosphamid,
Doxorubicin, Vincristin, Procarbazin, Prednison, Bleomycin) erholte sich die Granulozytenzahl in der Verumgruppe schneller. Fieberepisoden, Verbrauch von
Antibiotika und Dauer der Krankenhausaufenthalte nahmen ab,15 jedoch ohne klinische Relevanz: In beiden Gruppen wurden, insbesondere anhand der
"intention-to-treat"-Analyse, nur gleiche Raten kompletter Remissionen erreicht, bei erhöhter Ausscheiderrate in der GM-CSF-
Gruppe.1
Nach Zytostatika-Hochdosen und autologer Knochenmarktransplantation verkürzte GM-CSF im plazebo-kontrollierten Vergleich die Zeit, in der sich die
Neutrophilen erholten, sowie die Dauer von Antibiotikabehandlung und Krankenhausaufenthalt und senkte die Zahl der Erythrozyten-Transfusionen bei Patienten mit
hämatologischen Malignomen.11 In größeren randomisierten Vergleichen von GM-CSF gegen Plazebo ließen sich bei Patienten mit
zytostatischer Chemotherapie und Knochenmarktransplantation weder positive noch nachteilige Effekte auf den Bedarf an Thrombozyten-Transfusionen
nachweisen.1,16-20
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Beide Wachstumsfaktoren gehen bei 10% bis 20% der Patienten mit Knochenschmerzen einher. G-
CSF kann Dysurie, Abweichungen der Leberfunktionstests sowie der Harnsäure- und LDH-Werte verursachen.11 Jeweils 10 bis 20% der mit
GM-CSF behandelten Patienten reagieren mit Exanthem, Lethargie oder Myalgie, 10% mit Schmerz und Erythem an der Einstichstelle bei
Subkutaninjektion.11 In einer Studie rief GM-CSF bei einem Drittel der Patienten generalisierte Exantheme und bei fast jedem zweiten Reaktionen an der
Injektionsstelle hervor.1 Das häufig durch GM-CSF ausgelöste Fieber bereitet differentialdiagnostische Schwierigkeiten, da Fieber bei
neutropenischen Patienten ein wichtiges Symptom der Sepsis ist. Nach der ersten Injektion von GM-CSF kann sich ein Syndrom mit Flush, Vaskulitis, Blutdruckabfall,
Tachykardie, Atemnot, Übelkeit, Erbrechen und arterieller Sauerstoffuntersättigung entwickeln.11 Lebensbedrohliche
Überempfindlichkeitsreaktionen und schwerwiegende Nebenwirkungen wie Herzinsuffizienz und Rhythmusstörungen, zerebrale
Durchblutungsstörungen, intrakranielle Drucksteigerung, Krämpfe, Synkopen, Lungenödem, Perikard- und Pleuraerguß, Capillary-Leak-Syndrom
sowie STEVENS-JOHNSON-Syndrom kommen vor.22
FAZIT: Neu in der Hämatologie verwendete Wachstumsfaktoren können neutropenische Komplikationen während einer zytostatischen
Chemotherapie vermindern. Bei hochmyelosuppressiver Chemotherapie mit kurativer Absicht (z.B. Non-HODGKIN-Lymphome) erscheint deshalb die prophylaktische
Anwendung von G-CSF gerechtfertigt, ebenso die Gabe von GM-CSF bei einer Knochenmarktransplantation.
Die Hoffnungen, durch besseres Beherrschen der Knochenmarktoxizität mit dosisintensivierter Zytostatika-Therapie höhere Ansprechraten und
längeres Überleben der Krebspatienten zu erzielen, haben sich bisher nicht erfüllt. Bei palliativer Chemotherapie sowie bei Behandlungsschemata mit
geringerer Inzidenz an Neutropenien ist der Nutzen der routinemäßigen Prophylaxe mit Wachstumsfaktoren unzureichend belegt und
kostenmäßig nicht vertretbar. Das gleiche gilt für die Anwendung bei Patienten mit myeloischen Leukämien. Es wäre denkbar, daß
Wachstumsfaktoren leukämische Zellpopulationen stimulieren.
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